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Karl Hegel an Susanna Maria Hegel, geb. Tucher, München, 30. September 1869

Liebe Susi!

Nach einer langen und ziemlich langweiligen Tagesfahrt kam ich vorgestern Nachmittag vor 4 Uhr hier an. Das Wetter war prächtig, wie es seitdem geblieben ist. Auf dem Wege traf ich keinen meiner Collegen, der mit mir fuhr. Sie waren dies Mal früher hier angekommen, Waitz zwei Tage, Stälin einen Tag früher, Wegele war des Nachts gefahren. Zum Theil wollten sie vorher die Ausstellung genießen. Wegele empfing mich im Goldenen Bären, wo ich gut logirt bin; nur geräuschvoll finde ich es des Nachts von der Straße her. Stälin hatte Nachmittags mit Waitz eine Ausfahrt nach Stahremberg gemacht. Auch Makowiczka logirt im Bären und war ich gestern Mittags und Abends mit ihm zusammen. Es geht ihm gut; nachher noch mehr von ihm.

Ich kam Abends nicht in die Schöpfung; ich hatte offen gesagt keine Lust dazu mich in den Concertsaal zu setzen. Dafür wurde ich durch gute Unterhaltung im Bären entschädigt. Auch Giesebrecht kam dorthin, da seine Frau erst heute oder gestern von dem Gut ihres Sohnes, Steudach, zurückkehrt.

In der ersten Sitzung1, die gestern Vormittag war, fanden sich mit Ausnahme von Sybel und Droysen die alten Mitglieder der Commission zusammen; als außerordentliche Mitglieder war Prof. Dümmler aus Halle zugegen, Weizsäcker nicht, doch wird er erwartet.

Onkel Gottlieb mit Frau und Sohn Hermann begegnete ich schon den Abend vorher auf der Maximiliansbrücke bei dem Spaziergang, den ich mit Wegele auf den Gasteig machte. Dann besuchte ich sie gestern Morgen vor der Sitzung. Der Onkel war sehr beschäftigt in Angelegenheit des Diakonissenhauses und sprach ich ihn nur einen Augenblick, länger die Tante und die beiden Söhne. Anna wird erst morgen von Halle zurückerwartet, wo sie ihre Tante Tholuck in schwerer Krankheit zu pflegen, außerdem an ihrer Stelle bei den Studenten und Kostgängern des Hauses zu repräsentiren hatte. Die Tante sieht gut aus, fühlt sich aber doch recht angegriffen und verlangt Ruhe, freut sich daher sehr auf ihre Tochter, die ihr die häuslichen Geschäfte zum Theil abnehmen soll.

Gestern Nachmittag trank ich mit Makowiczka und Wegele den Caffe in dem Garten von Ott unter Bäumen am Springbrunnen, ein sehr hübsches neues Etablissement unweit vom Obelisken. Dann gingen wir in die Ausstellung der alten Gemälde; die Sammlung ist nicht sehr groß, vielmehr eine kleine Gallerie, aber enthält sehr Werthvolles besonders von deutschen und niederländischen Bildern aus Privatsammlungen; auch der Holzschuher von Dürer gereicht ihr zur großen Zierde. Die große Gemäldeausstellung oder vielmehr Kunstausstellung werde ich heute Nachmittag besuchen, wenn die Zeit dazu nicht zu kurz ist.

Nach Besichtigung der Ausstellung machte ich einige Besuche unter Anderem bei Schwager Löffelholz, wo ich eine Stunde verweilte. Luise sieht recht gut aus trotz den verschiedenen Calamitäten durch Krankheit ihrer Leute, die sie nun glücklich überstanden hat. Das kleine Mariechen ist ein freundliches und aufmerksames Kind, spricht auch etwas mehr als unser Gottliebchen, doch nicht so viel mehr, als dieser auch wohl in den 2 Monaten, um die er im Alter zurücksteht, erreichen wird. Der kleine Junge Georg Sigmund, dessen Name noch trotz dem, daß er deren zwei hat, zweifelhaft ist, weil beide Namen sich um den Vorzug streiten, sieht recht gut und wohlgenährt aus. Ich nahm eine Einladung zu Tisch für Sonnabend Mittag an. Am Abend spät führte Makowiczka Wegele und mich in die Clubversammlung der Fortschrittpartei. Die Lage der Dinge in der Abgeordnetenkammer ist spannend genug, da sie bei gleicher Stimmenzahl der entgegenstehenden Parteien mit der Präsidentenwahl nicht zu Stande kommen kann und deßhalb, wenn nichts Unerwartetes eintritt, binnen kurzem die Auflösung der Kammer und Neuwahlen bevorstehen.2 Die Debatte im Club war sehr lebhaft und betheiligten sich dabei alle hauptsächlichen Redner der Linken. Man kam zu dem Resultat, daß die unvermeidliche Auflösung für die Parthei nur wünschenswerth sein könne; doch will sie nicht direct darauf einwirken. Erst um 11 Uhr war diese interessante Sitzung zu Ende. Gestern fanden in der Kammer Vormittags zwei und Nachmittags eine vergebliche Wahlhandlung statt; heute wird sich dasselbe Spiel wiederholen und keine Wahl erfolgen, es sei denn daß ein Abgeordneter auf diser oder jener Seite durch Krankheit zu erscheinen und mitzustimmen verhindert wäre. –

Ich hoffe, daß es Dir und den Kindern recht wohl geht. Das schöne Wetter werdet Ihr doch wohl nicht bloß zum Schneidern benutzen. Georg wird, denke ich, heute zurückkommen. Gehst Du nicht Morgen zum Geburtstag der lieben Mutter nach Nürnberg. Bis übermorgen, wenn nicht morgen, erwarte ich einen Brief von Dir. Unsere Sitzungen werden bis Montag3 dauern; vielleicht bleibe ich aber doch Dienstag noch hier. Sonntag werden wir wahrscheinlich eine Parthie nach Feldaffing unternehmen und dort ein solennes Festessen abhalten zur Feier des 10jährigen Bestands der Commission4. Tausende Grüße, liebe Susi; ich umarme Dich und die Kinder.

Dein Getreuer.