PDF

Karl Hegel an Susanna Maria Hegel, geb. Tucher, Straßburg, 9. Oktober 1868

Liebes Suschen!

Heute bist Du wohl schon in Frankfurt und auf dem Wege nach Friedrichsdorf, vorausgesetzt, daß Du gestern bis Schweinfurt gekommen bist. Aber ich bedaure Dich und Luischen, wenn Ihr wirklich bei der gegenwärtigen rauhen Witterung zur Nachtzeit gereist seid. Hier in Straßburg wenigstens ist es rauh und regnerisch; man heizt bereits und eben jetzt brennt ein lustiges Ofenfeuer in meinem Zimmer während ich schreibe. Ich bin sehr gespannt auf Deinen nächsten Brief, zu ersehen, wie es Georg im Examen, Luischen beim Abschied, Annchen auf der Rückreise von München und bei der Ankunft, Dir und unseren Kindern in Schweinfurt, Frankfurt, Friedrichsdorf ergangen ist. Du hast in diesen letzten Wochen viel zu beschicken gehabt, viel allein ausgerichtet, wozu Du sonst einer Hülfe bedurftest; möge es Dir wohl gelungen sein, liebes Suschen!

Von München wird Dir unser Annchen – die ‚Rose unter den Dornen‘ wie sie bei der historischen Commission heißt – viel erzählen. Unser Zusammensein in der Commission war recht erfreulich und befriedigend. Die Sitzungen begannen am Mittwoch 30 September und wurden am Montag 5 October geschlossen. Bei Cornelius, Döllinger, Löher waren wir zum Diner, bei Giesebrecht zum Souper. An den Ausflügen nach Starnberg und am Sonntag1 bei sehr trübem und nebeligem Wetter nach dem Peißenberg habe ich mich nicht betheiligt. So oft ich Zeit übrig hatte, namentlich des Abends war ich beim Onkel, wo es immer heiter und gemüthlich war, der Onkel theilnehmend und anregend, die Tante liebevoll, Annchen unser Cousinchen frisch, heiter und anmuthig, Sigmund gut, gefällig, freundlich, August desgleichen und gewandt; Sigmund erfreute durch sein Spiel die beiden Mädchen, die Annen durch Gesang, Röschen sah immer vergnügt aus wie Sonnenschein, ungeachtet sie nicht immer wohl war. Unser Annchen hat sich immer gut gehalten und allen Ansprüchen genügt: es war nichts Kleines für sie der Abend bei Giesebrecht, unter den Herren sie allein neben Frau Giesebrecht, oft allein auf dem Sopha sitzend, angesprochen von diesem und jenem und dabei immer unbefangen, ruhig, nicht verlegen, dann bei Tisch unter den jungen Historikern in der Mitte am Ende der Tafel, gerade dem alten Präsidenten der Commission gegenüber, worauf in den Tischreden hingewiesen wurde, der Gegenstand eines artigen Toastes von Cornelius, ‘die Rose unter den Dornen‘!

Am Mittwoch2 Früh 5 ¾ Uhr fuhr ich von München über Augsburg, Ulm, Stuttgart, wo mich Freund Stälin in liebenswürdiger Weise auf dem Bahnhof begrüßte, nach Carlsruhe, wo ich nach 2 Uhr Nachmittag ankam. Ich hatte Archivrath v. Weech, meinen ehemaligen Gehülfen, von meiner Ankunft benachrichtigt3, weil ich auf der Bibliothek ein Paar Handschriften anzusehen wünschte, und er hatte dort schon Alles für mich vorbereitet. Ich dachte daran, wie wir vor Jahren auf der Reise so vergnügt waren und Du auf mich wartetest, während ich in der Bibliothek war. Ich hielt mich nur kurz in dem schönen Schloßgarten und im Archiv bei Weech auf, blieb eine Stunde in der Bibliothek und fuhr um 4 ½ Uhr weiter, kam bei Nacht um 8 Uhr hier in Straßburg an und stieg am Austerlitz Thor im Stadt Basel beim Herrn Arbogast, den ich von früher her kenne, ab. Dort traf ich einige Straßburger Bekannte und hatte mit ihnen eine Wiedererkennungsscene. Doch in dem schmutzigen Gasthof wollte ich nicht länger bleiben, ging daher am folgenden Morgen sogleich an den Schifferstaden zu meiner früheren freundlichen Wirthin, die erfreut war mich wiederzusehen; und glücklich fand ich in demselben Hause wieder ein ebenso freundliches Zimmer wie das, welches ich vor anderthalb Jahren bewohnt hatte4, nur eine Treppe höher, mit schöner Aussicht auf den Fluß, die Straße, den Palast, den Münster. In diesem Zimmer und einem guten reinlichen Bette habe ich nun recht gut ausgeschlafen und begrüße ich von hier nun Dich mit einem guten Morgen, liebes Suschen! Auch im Archiv und in der Bibliothek wurde ich gestern freundlich aufgenommen und mit Aufmerksamkeit behandelt, in das Casino, wo ein reiches und bequemes Lesezimmer, eingeführt. Im ‘Ochsenfuß‘5 aß ich zu Nacht, wo mich die Wirthin sogleich wieder erkannte. Freund Weizsäcker, von dem ich in München Nachricht aus Köthen erhielt6, wird Dich in Erlangen besucht haben7; ich erwarte ihn und Kerler hier in Straßburg. Erkundige Dich doch sogleich nach Kerler, ob er noch nicht abgereist ist, und gieb ihm in diesem Fall meinen Plan von Straßburg mit, den ich schmerzlich vermisse. Er ist in Duodezformat im Futteral und steht auf dem Bücherbrett unmittelbar hinter meinem Schreibpult auf der Höhe desselben. Sollte Kerler schon abgereist sein, so schicke den Plan an mich nach Kehl poste restante8, nicht in dünnes conceptpapier, sondern in der Sterke, welche Du in meinem Secretär findest, eingeschlagen, als Brief, 7 Kreuzer Porto (das dünne Concept kommt jedesmal zerrissen an). Deinen Brief kannst Du beilegen, das Porto von 7 Kreuzern gilt bis zu 15 Loth. Sonst ist meine Adresse in Straßburg, quai des bateliers (oder Schifferstaden) no. 27. Die Professoren Reuß und Kunitz sind noch nicht von der Reise zurückgekehrt, werden aber heute erwartet. Frau Professor Reuß sprach ich gestern Abend.

Schreibe mir, wie es bei Euch im Hause und in Erlangen steht, wie es Dir und den Kindern geht. Ich verlange nach Nachricht. Sei tausendmal mit den Kindern gegrüßt von

Deinem Getreuen.