Ich habe Deinen Sonntag1 Abend aufgegebenen Brief2 so eben erhalten; er ist also in einem Tage diese Nacht angekommen – und beantworte ihn umgehend, damit Du den meinigen morgen Nachmittag bekommst.
Ich danke es meinem lieben Bruder recht herzlich, daß er Euch Gelegenheit giebt, so viel Schönes zu hören und zu sehen, was die glänzende preußische und deutsche Hauptstadt darbietet. Ihr seid in wenigen Tagen schon viel herum gekommen und habt des Guten aller Art reichlich genossen. Auch das Glück war Euch günstig mit dem andauernden schönen Wetter. Bitte doch Manuel, daß er Euch auch die jüdische Synagoge noch sehen läßt, die ein Prachtbau ihrer Art ist. Es freut mich, daß Ihr am Sonntag den Domchor und eine gute Predigt gehört habt und einer glänzenden Opernaufführung beiwohnen konntet. Und an allem Guten, das Euch zu Theil wird, nehme ich den herzlichsten Antheil, als ob ich es selbst mit genossen hätte. Aber auch an dem Schlimmen! Was Du mir über Annchens Ohrenleiden, das verfehlte Experiment und die vorgeschriebene weitere Behandlung mittheilst, hat mich recht betrübt, daß die auffallende Verschlimmerung von einer neuen Erkältung hergekommen sein soll, glaube ich nicht; diese müßte doch auch sonst bemerklich gewesen sein, und eine ähnliche Wirkung haben wir allein davon bisher noch nicht erfahren. Die fernere Behandlung mit Salzbädern wird eine langwierige und vermuthlich auch angreifende Cur sein. Tägliche Salzbäder wird Annchen kaum ertragen, ich wünschte, sie müßten nur alle zwei oder drei Tage wiederholt werden. Ich begreife, daß sie recht unglücklich darüber ist, hoffe jedoch, daß ihr jugendlich heiterer Sinn ihr auch darüber hinweg helfen wird. Unsere lieben Geschwister werden freilich, wie Du schreibst, manche Sorge und Noth mit ihr haben in einer Weise, wie wir es uns nicht dachten. Der Winter erschwert die Kur und macht doppelte Vorsicht nöthig. Hoffen wir zu Gott das Beste!
Hier im Hause steht es gut und geht Alles seinen regelmäßigen ungestörten Gang fort, so daß es wenig Neues zu berichten giebt. Am Sonnabend3 Nachmittag war ich mit den Kindern, ohne die Kleinen, wieder auf dem Rathsberg und ließ sie durch das Fernrohr nach Streitberg und Forchheim sehen. Am Sonntag Nachmittag machten wir dieselbe Beobachtung in der entgegengesetzten Richtung nach Nürnberg von dem Altstädter Berg aus. Sophiechen war zur Geburtstagsfeier bei Ziemssen und kam sehr vergnügt nach Haus.
Ich habe außer der gewöhnlichen Abendgesellschaft in der Harmonie wenig Leute gesprochen; die Juristen haben ihre Prüfungen.
Viel Reden und großes Aufsehen macht die Freisprechung des Redacteurs des Volksboten Zander in München, der den Generalstabschef von der Tann in den stärksten Ausdrücken der vollkommenen Unfähigkeit beschuldigt hatte. Und die gedruckten Prozeßversendungen haben wirklich neue schlagende Thatsachen an’s Licht gebracht, wenn auch auf der andern Seite gezeigt, daß die Schuld nicht so sehr an der Führung, wie man immer behauptet hat, als an der mangelhaften Beschaffenheit der ganzen Armee und ihrer Ausrüstung gelegen hat. Prinz Karl hat im Unmuth über den Ausgang des Prozesses alle seine militärischen Stellen niedergelegt. Warum hat man nicht lieber ihn ganz vermieden? –
Die Kinder lassen schönstens grüßen. Luischen sagt mir, daß Lottchen Stintzing zu ihrem Geburtstag4 einen Brief von Annchen wünsche und daß das Mädchen …5 bei Frau Graul sie grüßen lasse. Dieses feierte am Samstag auf dem Rathsberg Gretchens Geburtstag, wobei Annchen gewiß nicht gefehlt haben würde. Ich sprach dort Frau Graul, die Dich grüßen läßt. Auch Frau Hofmann deßgleichen.
Nach Simmelsdorf habe ich geschrieben; ich denke sie werden Ende dieser Woche oder Anfang der nächsten zurück kommen, Ferdinand und Frau sind weg in Nürnberg.
Ich dränge Dich nicht zur Eile mit der Rückkehr, wiewohl ich Dich alle Tage, wie oft, vermisse. Aber Du kannst nicht so bald wieder nach Berlin und es ist mir lieb, daß Du noch ein Paar Tage abwartest, wie es mit Annchen weiter geht und wie es sich mit ihren Unterrichtsstunden macht. Darum erwarte ich Dich nicht vor Ende der Woche, und in einem Tage, von Morgens bis Mitternacht, bist Du hier. Ich denke, Du wirst vorher noch Nachricht geben; wenn ich sie Sonnabend6 früh erhalten soll, mußt Du den Brief Donnerstag7 Abends aufgeben.
Noch einige Visitenkarten lege ich bei; den vorigen vermuthlich doch doppelten Brief wollte ich nicht mehr beschweren.
Ich grüße die lieben Geschwister recht innig und danke Ihnen herzlich für alles Gute und Liebe, das sie Dir und Annchen erweisen; ich grüße Annchen in väterlicher Liebe und bitte sie, sich zu trösten und guten Muths zu sein, damit sie nicht sich und andern das Übel erschwere; Gott wird es ja hoffentlich bessern!
Ich danke Manuel auch für die Besorgung des Geldgeschäftes; die Papiere8 wirst Du mitbringen.
Und nun lebe wohl, geliebte Susanna, bis auf ein nahes und glückliches Wiedersehen.
NB.
Rosel hat alle Tage gesagt, Du solltest ihr was mitbringen.