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Susanna Maria Hegel, geb. Tucher, an Karl Hegel, Berlin, 20./21. Oktober 1866

Liebster Manni!

Schönsten Dank für Eure lieben Briefe2, die endlich gestern lang ersehnt in meine Hand kamen. Freilich hatte ich erst Antwort auf meinen Eisenacher Brief3 erwartet und mich deßwegen nicht so sehr beeilt, aber nun steht ja Alles gut, und ich danke Gott dafür und Dir, mein Liebster, und den lieben Kindern für die freundlichen Briefe. Du hast inzwischen wohl auch meinen Brief erhalten4, ich gab ihn Donnerstag5 Mittag auf und hatte bis dahin auch einen flüchtigen Bericht unsres bewegten Lebens gegeben. Donnerstag Morgen gingen wir zu Erhard, in dem wir einen netten, vertrauenerweckenden Mann fanden, der dann gleich eine vortreffliche Untersuchung mit Annas Ohren anstellte und die Erklärung abgab, es wäre eine Verstopfung des sehr engen Canals, in Folge eines sehr hartnäckigen Schlundcarthars. Er versuchte nun vermittelst einer in die Nase gebrachten Röhre, die mit einer Luftzunge in Verbindung gesetzt war diese Verstopfung zu entfernen und versicherte schon oft glänzende Erfolge erzielt zu haben, unter Andern bei Gerhard Eichhorn wie die Mutter schon erzählt hatte. Leider aber ging es bei Annchen nicht so gut, momentan ging der Luftstrom durch aber die Verstopfung trat gleich wieder ein. Nun will er den ganzen Schlund täglich tüchtig auspinseln, nebenbei verordnete er aber eine fortgesetzte Kur von Salzbädern und Trinken von Tölzer Adelheidsbrunnen und wir stehen nun mit unserem scheinbar so gesunden Kind in einer vollständigen Behandlung auf Skropheln. Sie ist sehr unglücklich darüber um so mehr, da das Gehör durch die verschiedenen Experimente sich eher verschlechtert als verbessert hat. Auch ich bin etwas unglücklich darüber und thut mir sehr leid, daß die lieben Geschwister solche Noth mit ihr haben, obwohl andererseits Berlin der einzige Ort ist wo sie einen längern Aufenthalt unter Behandlung eines so bedeutenden Ohren-Arztes machen kann. Hoffen wir dann das Beste und lassen wir den Muth nicht sinken.

Der Mittag bei Heffter war recht nett blos im engsten Familienkreise. Außerdem hatten wir auch eine schöne Kunst-Ausstellung in der Akademie gesehen, und mit Frl. Baum wegen der Singstunde Rücksprache genommen. Gestern war die erste Stunde, der ich beiwohnte. Sie ist eine sehr gründliche, liebenswürdige Lehrerin, und findet Annchens Begabung sehr glücklich.

Sonntag d. 21ten. Eben von der Kirche zurückgekehrt, nicht von Büchsel, der heute nicht predigte, sondern von dem, wo wir eine gute Predigt und besonders den schönen Domchor hörten, sollst Du Liebster Nachricht haben. Der gestrige Tag war wieder bewegt und unruhig, wir sahen die Wagnersche Sammlung, hatten wieder eine Conßultation bei Erhard, die leider unser armes Annchen und auch mich sehr wenig erbaute durch die Äußerungen über ihr Gehör. Er läugnet die Verschlimmerung die auch sehr auffallend ist, nicht schiebt sie auf eine inzwischen eingetretene Erkältung und sagt, jetzt Nichts unternehmen zu können, sie solle jetzt erst 8 Tage Ruhe haben bis dahin würde das Gehör wieder auf dem alten Stand sein und die Kur mit Pinseln, Bädern etc. beginnen. Wir haben nun Alle an Annchen zu trösten und zu beruhigen und es ist auch wirklich sehr schwer, gerade jetzt wo ihr so Viel geboten wird, sich so überall gehemmt zu finden. Gott gebe daß es doch bald besser werde.

Einen ganz besondern Genuß hatten wir am Freitag, wo wir die Hugenotten bei brillantester Ausstattung im Opernhaus sahen. Lucca als Valentine, Wachtel sang den Raul. Die Dekorationen waren wundervoll, die Lucca hinreißend und Wachtel flötete wie eine Lerche, fürs Auge ist er weniger bezaubernd. Annchen war nicht so hingenommen wie ich vermutete, sie ist zu sehr durch ihr Gehör jetzt gedrückt und gestört. Die Lieben sind aber Alle sehr rücksichtsvoll und schonend mit ihr, Mariechen erklärt ihr Alles so bereitwillig und freundlich, daß ich doch hoffe, sie wird viel Nutzen und Freude hier haben. Morgen sollen nun die Stunden in der Schule beginnen, Bei Frl. Hofmeyer wo wir vorgestern waren fanden wir freundliches Entgegenkommen, sie wird Französisch, Geschichte, Kirchengeschichte, Geographie, Literatur und Physik haben, wöchentlich 14 Stunden, das Honorar beträgt sonst 6 Thaler monatlich, da aber mehrere Stunden anfallen, will Frl. Hofmeyer auf 5 Thlr. Heruntergehen, immer noch genug, hoffentlich wird ihr Gehör sie nicht hindern an den Stunden recht mit Nutzen Theil zu nehmen.

Liebster, ich schließe in Eile, wir sind eben vom Tisch aufgestanden, Onkel Theodor war auch hier, der arme; jetzt wollen wir nach Charlottenburg fahren. Wegen meiner Rückkunft kann ich noch nicht recht bestimmen, ich dachte Mittwoch6, aber die Lieben wollen mich vor Freitag7 nicht weglassen. Was meinst Du?  

Wir kommen eben von Charlottenburg zurück, es war ein wundervoller Spaziergang. Erst fuhren wir hinaus, es war hübsch das Wogen der Menge und diese Masse Wagen die die Straße belebten, freilich Alles angefüllt in eine Wolke von Staub. Draußen sahen wir gleich das herrliche Mausoleum im magischen Abendlichte, welch reizend rührendes Bild des Todesschlafes ist die schöne Gestalt der Königin Luise, wie schön und würdig die ganze Umgebung, der stille Garten mit den schönen Bäumen, der dunkle Gang von Nadelbäumen, der zu dem Mausoleum führt. Zurück gingen wir, nachdem wir uns in einem Wirthslokale mit Kaffee gestärkt hatten, längs dem Canal, der Mond schien so schön, der Canal spiegelte so klar den Himmel, die schönen Landhäuser und Bäume; es war so still und idyllisch, wie ich es bis jetzt in Berlin noch nicht gesehen habe. Zu Hause fanden wir noch Onkel Theodor, der Dich schön grüßen läßt, so wie alle Lieben hier Dir ihre herzlichen Grüße senden. Annchen ist heute Abend wieder ruhiger und getroster, es scheint mir auch als ob es nicht mehr so schlimm wie gestern ist. –

Seid Ihr am Ende heute in Simmelsdorf gewesen? ich glaube es nicht, aber das Wetter wäre noch sehr günstig. Wir haben hier gar keinen Nebel, vom frühen Morgen bis Abend den schönsten Sonnenschein und frische klare Luft. Grüße und küsse mir doch meine lieben Kinder groß und klein, wie oft denke ich Eurer, es scheint aber, Ihr werdet ganz gut allein fertig; wie geht’s denn Rosel? Bist Du vielleicht so gut gewesen nach Simmelsdorf zu schreiben, ich kann von hier aus nicht schreiben und die Lieben sind so lange ohne Nachricht. Manuel läßt Dir sagen daß er die Amerikaner für Dich besorgt habe. Leb wohl, das Blättchen ist wieder voll und ich werde zum Thee erwartet.

Gott behüte Dich mein Liebster und

Deine Susanna.

Schönste Grüße den Kindern, die Briefe haben uns köstlich unterhalten.