Gestern Abend glücklich und in jeder Beziehung befriedigt von Friedrichsdorf zurückgekehrt, fand ich Deinen lieben Brief2 und fühle ihm an, wie Dich nach Nachricht verlangt. Wohl wirst Du seitdem den Brief erhalten haben, den ich poste restante3 nach Straßburg sandte4, ich glaube es war Mittwoch oder Donnerstag, hast auch wohl durch Kerler von uns gehört, daß Georg glücklich durchgekommen ist etc. aber die große Frage unsrer Friedrichsdorfer Reise ist Dir noch ungelöst und Du denkst ein bißchen mit Sorge daran wie Deine kleine unselbstständige Frau sich alleine durchhelfen wird. Mit Dank und Freude kann ich Dir sagen, daß Gottlob Alles sich gut entwickelt hat und ich heute mit rechter Befriedigung auf die Zeit zurück- blicke. Doch laß Dir erzählen.
Am Freitag5 Morgen nachdem wir am Donnerstag mit Packen etc. ganz gut fertig waren, fuhren wir nach 8 Uhr ab. Luischen wohl mit ein Paar Thränen aber sie versicherte, daß es ihr doch mal schwerer wäre, wenn der Plan nun plötzlich aufgegeben würde. Von Bamberg aus hatten wir ganz amüsante Gesellschaft, ein junges Mädchen, die zu ihrem, politisch flüchtig gewordenen, Vater reiste und uns Mancherlei erzählte, auch in der Gegend bekannt war. Gegen 12 Uhr kamen wir nach Schweinfurt, wurden empfangen von unsern Lieben und in die sehr freundliche nahe Wohnung von Marie geführt. August war leider auf Inspektion abwesend. Nach Tisch führte uns Marie über den Wall in die Stadt und ich war erstaunt über das eigenthümliche, theils reichsstädtische, wohl erhaltene und durch Industrie und Reichthum verschönerte Aussehen der Stadt. Ich begreife nicht, daß Du bei Deinen wiederholtem Aufenthalt dort uns nicht mehr davon erzähltest. In Erinnerung an die warme Freundschaft von Bayers suchten wir sie auf und ich war wahrhaft gerührt über deren Freude. Mutter und Töchter waren zu Hause, die arme Ottilie liegt seit 4 Jahren zu Bett an Unterleibsleiden und Brustkrämpfen, ohne daß der Zustand sich bessert, ist aber freundlich, ergeben und dankbar für jeden Beweis von Liebe. Nach einem Vergnügungsort in der Nähe auf der Wasserleitung, von wo man einen schönen Rundblick genißt, begleiteten uns Bayers, er war leider abgehalten und Luischen besuchte die arme Kranke noch auf ein halbes Stündchen. Dann ein gemüthliches Theetischchen bei Maria mit den lieben Eltern und fort gings in die kalte, finstre Nacht um 9 Uhr 40. Ich brachte die Nacht im Ganzen gut zu, Luischen konnte weniger schlafen und kam etwas kaput in Frankfurt an. Dort fuhren wir gleich auf den Homburger Bahnhof, gaben den Koffer ab und installirten uns in der Restauration, wo wir ein Zimmer bekamen, um ein bißchen Toilette zu machen nach der durchgefahrenen Nacht, und zu frühstücken. Dieweil war es 8 Uhr geworden und wir wanderten im schönsten Sonnenschein nach dem zoologischenGarten, in dem wir uns über 2 Stunden mit viel Genuß und Vergnügen aufhielten. Luischen unterhielt sich sehr gut dabei; der Rückweg über die Zeil führte uns in eine Conditorei zu einer guten Tasse Chokolade, und dann zu Friederike Götz, der ich unsre Ankunft gemeldet hatte. Sie empfing uns sehr freundlich, hatte auch einen Imbiß hergerichtet, lag aber leider zu Bett. Doch orientirte sie mich noch etwas genauer, als ich nach der Erinnerung vermochte und nachdem wir uns ein halbes Stündchen aufgewärmt hatten wanderten wir nach der Sinagoge, Judengasse, am Dom vorüber zum Römer, von da an Göthes Haus vorüber wieder zu unserm Bahnhof. Guttenbergs und Göthes Denkmal hatten wir schon vorher gesehen. Nachdem wir in der Restauration gesessen fuhren wir nach Homburg II und da wir dann ein Stündchen Zeit hatten, führte ich Luischen in den Curgarten, dort war noch Musik und elegante Welt, wenn auch nicht mehr wie vor 2 Monaten, auch gespielt wurde noch an 2 Tischen Pharao, an 2 Tischen Roulette. Luischen sah sich das mit dem Interesse des Gauselers an und dann rief uns aber die Zeit zur Abfahrt. Im schönsten Sonnenschein fuhren wir durch die fruchtbare, jetzt im Herbst wieder so frische, grüne Landschaft und waren bald an Ort und Stelle. Nun wurde es Luischen recht bange und sie meinte: Jetzt kann ich nicht hingehen, ich sehe ja verweint aus. Aber bald beruhigte sie sich und ich führte sie hin, wo wir von der Haushälterin empfangen und in das gemüthliche hübsche Wohnzimmer oben geführt wurden. Bald kam Frau Bagge und redete Luischen freundlich und tröstend zu, ließ Kaffee bringen und ein Paar sehr nette Mädchen rufen, eine Selma, dieselbe die im Garten saß und lernte, wie wir dort waren und eine Sophie, ein sehr gescheudtes, angenehmes Mädchen. Die begrüßten dann Luischen sehr herzlich, fingen mit ihr an zu plaudern und führten sie in die Schulstube zu den Andern, wo sie dann bald mitten zwischen saß und fröhlich spielte. Diese freundliche zutrauliche Weise der Mädchen ist sich gleich geblieben in diesen Tagen und Luischen konnte mir des Abends nicht genug erzählen, was diese und Jene gesagt und gethan habe. Es sind natürlich noch Viele abwesend, ich glaube 16 die erst in diesen Tagen erwartet werden, aber das erleichtert es der Neuangekommnen auch. Am Sonntag Morgen gingen wir miteinander in die protestantische Kirche nach Seulberg, ein schöner freundlicher Weg, eine kleine halbe Stunde weit. Nachmittags wurde gespielt, gelesen, geschrieben, durchaus ein fröhliches, harmloses frisches Leben unter und mit der Jugend. Die Engländerinnen, es sind deren 5 hielten sich am Sonntag zusammen, wollten wenigstens nicht mitspielen, auch durften sie englisch sprechen, sowie die andern deutsch, welches Vorrecht III der Sonntag gewährt. Französisch hörte ich nicht sprechen, da keine Französin unter den Maidchen ist und die Lehrerin auch für sich blieb. Doch versichern die Maidchen Alle, daß es ihnen ganz leicht ist sich während der 5 Tage immer französisch zu unterhalten, 1 Tag wird englisch gesprochen von Allen die es können und am Sonntag deutsch.
Frau Bagge ist höchst liebenswürdig, auch Herr Bagge, den die Mädchen Alle sehr gern haben und gegen den sie sich zutraulich und kindlich stellen. Es ist durchaus ein liebenswürdig freundlicher Verkehr, wie in einer großen Familie; freilich wird das etwas anders sein außer den Ferien, die Mädchen versichern, sie hätten sehr viel zu thun und keine Zeit außer am Sonntag Briefe zu schreiben oder zur Unterhaltung zu lesen.
Ob Luischen englischen Unterricht haben soll, überließ ich Herrn Bagges Entscheidung, der nach ihren Kenntnissen erst sieht, in welche Klasse sie paßt und ob sie das Englische treiben
kann, ohne zu sehr angestrengt zu sein. Es wäre doch sehr vorteilhaft, wenn sie jetzt englisch anfinge, da sie nie mehr diese Gelegenheit haben wird, soviel zu hören und zu sprechen. Wir können das ruhig Herrn und Frau Bagge überlassen, denn die Mädchen werden nicht überanstrengt, wenigstens sehen sie Alle prächtig frisch und blühend aus.Recht unangenehm war es, daß das Faß noch nicht angekommen ist, ich hatte seinen Abgang nach Friedrichsdorf gemeldet und der Fuhrmann fragt jeden Tag nach, aber bis jetzt vergebens. Ich hätte so gern Luischens Sachen noch eingeräumt und geordnet, hoffentlich kommt es doch bald. – Am Montag Morgen ging ich wieder weg von dem mir merklich so liebgewordenen Ort und Kreise, das ganze Haus war schon auf, die Frühstücksstunde um eine Stunde verfrüht und dann begleitete mich Herr Bagge, Luischen und das nette Kleeblatt das sich besonders ihrer angenommen hatte, Selma von Kassel, Auguste von Crefeld und Sophie von Frankfurt auf die Post und wir nahmen Abschied.
IV Da flossen freilich Luischens Thränen, aber ich bin überzeugt, daß sie bald getrocknet sind und habe den festen Glauben daß wir sie nirgends hätten besser unterbringen können. Gott segne und behüte sie.
Die Rückreise war viel einfacher und kürzer; um 9 Uhr war ich in Frankfurt, ich suchte wieder Friederike auf, weil ich 2 Stunden liegen bleiben mußte, stärkte mich bei ihr und fuhr um 11 Uhr mit dem Schnellzug, den wir auch benützt hatten, aber nur bis Würzburg, da schloß sich gleich der Zug nach Bamberg an, für den ich auch schon Billet bekommen hatte. In Schweinfurt sah ich mich sehr um, ob nicht zufällig Jemand da sey, und wen sehe ich? Professor Bayer der mit seiner Frau nur einen Spaziergang zum Bahnhof gemacht hatte und es nun als eine „besondre Güte Gottes“ prieß des Glückes theilhaftig zu werden, das er am Freitag versäumen mußte. Ohne Anstand und nach kurzem Aufenthalt in Bamberg kam ich gestern Abend 7 Uhr 44 hier an, erwartet von Therese, Marie und Georg und fand Gottlob zu Hause Alles wohl. Annchen sehr erfreut über einige Unterrichtsstunden, die für diesen Winter eingerichtet sind, gestern Generalbaß und Harmonielehre bei Herzog mit Luise Scheurl, und heute mit Betty, Frl. Cesar und Andern französische Conversations-Stunde bei Frl. Besold. Georg versichert, es ginge ganz gut in der Schule, wollen wirs hoffen. Denke nur heute sollte Lottchen mit ihrer Tante nach Altann abreisen, nun kommt gestern Nachricht daß wieder Jemand in dem Hause Nervenfieber habe und da sind natürlich Stintzings zu ängstlich; das arme Kind muß zurückbleiben. – Bei Genglers ist großer Jammer, die 2te Tochter, Braut vom Andrian, war auf der Rückreise von Miesbach ein Paar Tage in München, kommt krank hier an und liegt nun am Typhus darnieder, wie man sagt, hoffnungslos. Wie müssen wir Gott danken, daß Annchen so wohl geblieben ist, hoffentlich hat auch Rosa alles Übelbefinden glücklich überwunden.
Alles Andre wonach Du fragst hat Dir mein Brief beantwortet, den Du gewiß Freitag er-u sagen; daß ich Weizsäcker nicht gesehen thut mir sehr leid, grüße ihn sehr herzlich.
halten hast, ich schickte ihn am Donnerstag ab, eben ehe Kerler kam, um Adieu zIch sehe aus Deinem Brief, daß Du uns schon Donnerstag auf der Reise suchst, ich hatte aber nie vor früher als Sonntag zu reisen.
Ich kann leider den Plan durchaus nicht finden und schicke also den Brief allein. Seis nicht böse, ich kann nicht anders.
Den Brief von Knochenhauer6 lege ich bei, da es das Gewicht erlaubt.
Leb herzlich wohl, mein Liebster, die Kinder grüßen und freuen sich Deiner baldigen Wiederkehr.
Leb wohl, mein Liebster, ich umarme Dich von Herzen