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Susanna Maria Hegel, geb. Tucher, an Karl Hegel, Erlangen, 31. August 1863

Tausend Dank mein Herzliebster für Deinen lieben Brief1, den ich gestern Nachmittag erhielt, nachdem ich ihn schon mit Ungeduld erwartete. Es ist mir ja so süß immer wieder zu hören daß es Dir gut geht, wenn ich auch nicht zufrieden bin, daß immer Dein Schlaf noch nicht recht ruhig und gut ist, und wieder zu hören, daß Du Dich mit mir freust über die viele Gnade Gottes die wir täglich mehr und mehr an den Krankenbetten unsrer Kinder erfahren. Gottlob es geht gut, recht gut und heute soll endlich mal ein Versuch des Aufstehens mit Annchen und Mariechen gemacht werden. Am langsamsten erholt sich Luischen, selbst der Bubi sieht schon viel besser aus als sie. Doch ist sie ganz wohl, hustet gar nicht, es ist überhaupt gar kein Zeichen irgend einer zu fürchtenden Nachkrankheit vorhanden, aber ihre zarte Organisation2 scheint eben schwerer die verlorenen Kräfte wieder zu gewinnen. Der Bubi bekommt ordentlich dicke Backen und ist so munter, ein Spiel- zeug nach dem andern muß ich bringen, heute verlangte er Tafel und Stift, auch sein Lesebuch um sich damit zu unterhalten. Mariechen ist ganz die alte, übermüthige Person über deren trockene Bemerkungen die Andern oft herzlich lachen. Sie sieht jetzt wieder ganz gut aus, hat runde rothe Backen und ihre alten lebendigen, treuherzigen Schelmenaugen. Annchen hat auch fast schon ihr früheres rundes Gesichtchen, ihre Haare sind gestern gekämmt worden und sie sitzt so nett und klar in ihrem Bett, daß ich immer meine Freude an ihr habe. Glaube aber nicht, daß es mit Luischen irgend besorglich steht, wie gesagt sie ist ganz wohl, aber sie fing ja auch am spätesten an sich zu erholen.

Ich wurde so oft unterbrochen, daß ich nicht weiß, ob es möglich sein wird, die Sendung bis zum Eilzug zu besorgen, erst kam Frau Zielbauerin um sich nach ihrem Büble umzusehen und freute sich seines guten Aussehens; er ist auch prächtig und nun kam  –  Frau Reis von mir und den Kindern freudig begrüßt. Sie sieht noch etwas angegriffen aus, ist auch noch matt, so daß sie noch nicht wieder in Thätigkeit treten könnte, aber doch ist sie wieder ganz hergestellt; und ihre Krankheit war wohl nur eine leichte Ansteckung verbunden mit Übermüdung. Auch Lena ist nicht bedenklich krank, ein gastrisches Fieber, das sie aber im Hause der Eltern abwarten darf. Sonst ist die Epidemie leider noch ziemlich heftig hier und ganz besonders am Bohlenplatz, doch hört man im Ganzen wenig von Todesfällen.

Annchen ist sehr glücklich über Deinen langen, lieben Brief, ich mußte ihn den Kindern allen vorlesen und Jedem das Bildchen zu Deinen erläuternden Worten zeigen. Wir freuen uns des schönen Wetters und der dadurch veranlaßten lieben Besuche mit denen Du die Herrlichkeiten doppelt erfreut besehen kannst. Was Du über den Mond schreibst, der so schön in Berchtesgaden über den Bergen aufgeht, hat Luischen besonders erfreut und sie meinte: Ach, das möchte ich auch gernesehen! Das wäre freilich schön, mal Alle zusammen so einen Ausflug zu machen; aber für dieß Jahr müssen wir all solche Gedanken fern liegen lassen und es wird vielleicht im beseeligenden Bewußtsein, daß uns der liebe Gott all unsre Liebe erhalten hat; sie Dir in Nürnberg recht gekräftigt zuzuführen, das sind meine einzig möglichen Herbstpläne.

Nachmittag.  –  Die Zeit des Eilzugs ist vorbei, verzeih mein Lieber, aber es ging wahrlich nicht, denn denke, ich bin abermals ohne Kindermädchen, und da waren die unabweislichen Anforderungen mehrerer. Vorgestern theilte mir Elise weinend mit, daß sie nach Haus müsse, da nicht nur ihre Mutter sondern auch ihre Schwester krank seyen und Niemand hätten, der sie verpflegt oder Etwas besorgt. Ich konnte und wollte sie unter diesen Umständen nicht zurückbehalten und so ging sie gestern Mittag fort; wenn ihre Schwester bald wieder wohl ist und ich bis dahin Niemand Brauchbares gefunden habe, kommt sie wieder. So soll ich nicht in Ruhe und Ordnung kommen.

Es ficht mich aber nicht weiter an, als nur muß ich bedauern, nicht mehr viel bei unsern Kranken sein zu können. Sie sind übrigens durch Emilie versorgt, die gutwillig wie sie ist, wenn sie mal angewiesen ist und nicht selbst nachzudenken und zu beachten braucht, ordentlich ihre Schuldigkeit thut. Aber die armen Dinger freuen sich ja, wenn ich komme und beklagen sich daß es seltener und nur auf kurze Zeit geschieht. Doch denke ich nicht daran, mir Jemand zu nehmen von dem ich nicht überzeugt sein kann, daß das Kind gut und treu versorgt ist, so lang wir allein sind, kann ich die Pflege schon übernehmen. Es ist ja ein so gutes ruhiges Kind das im Bettchen oder auf dem Polster liegt, auch wenn es nicht schläft und gar keine Ansprüche an Herumtragen etc. macht. Er spielt so allerliebst mit seinen Händchen und fängt so nett an zu plaudern, daß ich oft ganz ungeduldig werden möchte, bis die liebe Mutter den kleinen Prachtjungen gesehen hat, um sich an ihm wie am Crailsheimer Enkelchen zu freuen. – Rosel besorgt das Geschäft des Windelwaschens, ist überhaupt viel besser und frischer seitdem sie wieder in Thätigkeit ist und so geht es ganz gut.

Die gewünschten Bücher3 folgen mit, ich denke aber, Du solltest nicht so viel lesen, besonders jetzt bei dem herrlichen Wetter, das Dich doch zum Spazierengehen lockt; hast Du denn wieder nette Gesellschaften gefunden? Der Brief von Wegele kam vor einigen Tagen, ich machte ihn auf und entzifferte so viel, daß der Inhalt nicht gerade eilig sey, doch folgt er jetzt mit, ebenso Brief und Broschüre von Weech. Das Leibchen kannst Du vielleicht doch brauchen.

Und nun Gott befohlen, mein Liebster, wir d. h. Sophiechen und ich beobachten auch allabendlich den Mond, wenn sie gewaschen und zur Ruhe gebracht wird, ging er an diesen letzten Abenden auf, sie sagt ihm gute Nacht und bittet ihn, Papa zu grüßen. Sie ist lieb und artig und spielt den ganzen Tag vergnügt für sich allein, neulich sahen sie die Geschwister durchs Fenster, wohin die Frau Schuster sie getragen hatte. Nun leb wohl Lieber; die Kinder grüßen herzlich. In treuer Liebe

Deine Susanna.

P. S. Gestern haben die Kinder mit größtem Appetit ein Hühnchen verzehrt, ebenso heute, dazu tranken sie Bier, es ist eine wahre Freude zu sehen wie es ihnen schmeckt.

Der Doktor ist gestern und heute nicht gekommen und so unterblieb auch der Versuch des Aufstehens; morgen aber jedenfalls lasse ich sie hinaus.