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Karl Hegel an Susanna Maria Hegel, geb. Tucher, Straßburg, 20./21. Oktober 1868

Liebes Suschen!

Ich komme so eben mit der Eisenbahn aus Colmar zurück, wohin ich heute morgen bei kaltem und regnerischem Wetter abfuhr, um auch dort noch in Archiv und Bibliothek eine Nachforschung anzustellen. Ich kam erst um ½ 11 Uhr dort an und fuhr um 3 Uhr Nachmittags wieder ab, habe wenig gefunden und nichts was die unangenehme Reise verlohnte; indessen ist es mir lieb mein Gewissen in diser Hinsicht beruhigt zu haben. Morgen und übermorgen gedenke ich noch hier in Straßburg zu verweilen; leider kann ich dann nicht gut in Einem Tage von hier nach Erlangen kommen; ich müßte dann von morgens früh bis Mitternacht fahren; deßhalb ziehe ich es vor in Würzburg zu übernachten, wo ich mich bei Wegele anmelden werde und komme mit dem Eilzug über Bamberg am Sonnabend1 Nachmittag.

Deinen lieben Brief2, nach Ankunft von Friedrichsdorf geschrieben, habe ich mit freudiger Theilnahme und herzlicher Beruhigung gelesen. Mit einer Umsicht, welche Dir alle Ehre macht, hast Du Deinen Plan durchgeführt und bist von jedem Unfall glücklich verschont geblieben; nur daß die Tonne nicht zur rechten Zeit angelangt war, hatte ich mit Dir und Luischen zu bedauern. Die Hauptsache aber ist, daß unser Töchterlein in Friedrichsdorf allem Anschein nach gut aufgehoben ist und sich auch bald dort eingewöhnen wird, da es ihr nicht an freundlichen Altersgenossinnen fehlt, die sich ihrer annehmen. Vermuthlich hast Du schon weitere Nachrichten von ihr und ich hoffe auch von Dir noch hier einen Brief zu erhalten, wobei ich freilich voraussetze, daß Du nicht mehr zuvor auf den meinigen wartest, weil es sonst zu spät sein würde. Dann werde ich auch erfahren, wie es den anderen Kindern zu Hause geht, ob Annchen sich von den anstrengenden Genüssen in der Bayrischen Hauptstadt erholt hat, Marie und Georg fleißig lernen, Sophiechen und Mundel mit Eifer in die Schule wandeln, Gottliebchen mit Vergnügen seine Suppe isset. Sie Alle seien von mir herzlich gegrüßt und umarmt.

Mit meinem diesmaligen Aufenthalt in Straßburg bin ich wohl zufrieden. Meine Wohnung ist angenehm, die Bedienung von Helene pünktlich und aufmerksam, die Wirthin Frl. Strohl anspruchslos und sorgsam, daß es mir an nichts fehle. Im Archiv, oder vielmehr in den beiden Archiven des Departements und der Stadt, ebenso in den beiden Bibliotheken, der Stadt und der Universität, kommt man meinen Wünschen aufs freundlichste entgegen. Meine früheren Freunde Cunitz und Reuß wetteifern in Liebenswürdigkeiten und schaffen überall Rath und Hülfe, wo es nöthig ist. Außerdem habe ich zum beständigen angenehmen Verkehr Mittags und Abends die drei deutschen Arbeitsgenossen, Weizsäcker und seine zwei Gefährten, Dr. Kerler und Dr. Schäffler (vom Münchener Reichsarchiv). Über das schlechte Wetter darf ich mich in dieser Jahreszeit nicht beklagen. Ich könnte wohl etwas wärmere Kleidung für draußen brauchen; doch bei mir zu Hause und in den Localen, in denen ich arbeite, ist für Heizung gesorgt. Von unserer Tagesordnung habe ich schon geschrieben, daß wir Mittags 12 Uhr frühstücken, um 6 Uhr Abends die Hauptmahlzeit halten und zwar diese im ‘Rindsfuß‘ wo es gute einfache Hausmannskost und guten Tischwein giebt. Am letzten Freitag Abend gab uns Cunitz ein feines Souper, wobei auch Frau Reuß mit ihrem Mann und Prof. Baum nebst Frau eingeladen waren; morgen Abend werden wir bei Reuß sein. Ich schrieb Dir wohl, daß ich bereits am ersten Sonntag auf seiner Besitzung in Neuhof mit Cunitz bei ihm zu Mittag war. Am lezten Sonntag das ist vorgestern veranlaßte ich meine drei Gefährten, trotz des trüben und unsicheren Wetters zu einer Ausfahrt auf der Eisenbahn nach Zabern, welches an dem Paß der Vogesen auf der großen Straße nach Paris gelegen ist. Es war dort früher die Residenz der Bischöfe von Straßburg und die Umgebung von waldigen Höhen, die mit alten Burgruinen gekrönt sind, ist sehr malerisch. Wir fuhren erst nach Tische ab und bestiegen die eine dieser Höhen, auf welcher das verfallene Schloß von Hohen Barr steht: die Aussicht wäre gewiß prächtig gewesen, wenn nicht der Nebel und trübe Himmel die Ferne ganz verhüllt hätte.

Ich hoffe morgen und übermorgen mit allen meinen hiesigen Arbeiten bequem abschließen zu können, und es ist Zeit, daß ich nach Hause komme. Ich brauche nicht zu sagen, daß mich herzlich nach dem Daheim mit Frau und Kindern verlangt. Manches hat sich unterdeß an der Erlanger Universität verändert, wie wohl ich nur 4 Wochen fort war: zwei neue Collegen3 sind berufen und der Verlust von zwei alten steht uns nach dem traurigen Lauf der Natur bevor4.

Ich sende diesen Brief erst morgen früh ab; vielleicht kommt noch heute Abend einer von Dir: der Briefbote bringt um 9 die um 8 mit dem Bahnzug angekommene mir ins Haus, welches weit von der Post entlegen ist.

P. S. Mittwoch5 Morgens. Dein lieber Brief6 lag wirklich auf meinem Tisch, als ich nach 10 Uhr Abends wieder zu Hause kam; er bringt mir zum voraus die Antwort auf disen hier. Gottlob, daß Ihr Alle wohl seid! der guten Rosel wünsche ich baldige Genesung. Sollte ich nicht, wie ich jetzt beabsichtige, mit dem Eilzug vor 4 Uhr am Sonnabend7 eintreffen, so komme ich mit dem Postzug von Bamberg vor 8 Uhr Abends. Weizsäcker und Kerler bleiben noch bis Sonntag. Sei tausend Mal gegrüßt von

Deinem Getreuen.