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Susanna Maria Hegel, geb. Tucher, an Karl Hegel, Erlangen, 17./18. August 1863

ohne Anrede

Obwohl ich fürchte, daß unsre Briefe sich wieder kreuzen, so möchte ich doch, Dich nicht länger warten lassen, mein Liebster, denn ich weiß Dich verlangt nach Nachricht und Gottlob, ich kann Dir so gute geben, daß ich sie Dir nicht noch einen Tag vorenthalten möchte. Dorsch fand gestern die Kinder Alle sehr gut und heute wieder besser, Temperaturen wurden gar nicht mehr gemessen, da die Schwankungen sehr unbedeutend sind, der Appetit ist vortrefflich, auch Luischen fängt an, mit mehr Lust zu essen, sie schlafen Alle köstlich, auch der Junge schlief diese Nacht besser, nachdem gestern das Geschwür sich etwas entleerte nach Außen; er ist heute auch mal heiterer und schaut so freundlich mir entgegen, besonders wenn er im Schlüsselkorb die bonbons-Düte erblickt. Ach, wenn Du sie nur sehen könntest, wie freundlich und vergnügt sie Alle aussehen, Annchen ist so heiter, unterhält sich gern, fragt nach Allem, was sich ereignet hat und äußert lebhaftes Verlangen aufzustehen. Luischen ist ruhiger, spricht immer noch sehr langsam aber hört mit größter Aufmerksamkeit zu, wenn ich Etwas erzähle; sie sieht auch ganz vergnügt aus, besieht Bilder und unterhält sich gerne. Mariechen spricht immer noch sehr schwer ist aber ganz theilnehmend und freut sich so, wenn ich komme, weil ich meistens bei den Größern rest mich aufhalte. Alle lassen Dich viel tausend Mal grüßen und freuen sich Dir mit neuer Kraft entgegengehn zu können. Heute war Ziemssen wieder da und fand die Mäuse und das Kerlchen über alles Erwarten gut, doch war er so eilig daß ich nicht fragen konnte wegen des etwaigen Zeitpunktes unsrer Ubersiedlung. Er läßt Dich schönstens grüßen und freut sich daß es Dir so gut geht. Ja Gottlob, mein Liebster, recht dankbaren Herzens blicke ich auf die letzte Zeit auf diese sechs schweren Wochen zurück, wir haben in reichem Maße Gottes Gnade erfahren, Er hat uns die Kinder erhalten und neu geschenkt, Er hat Dich und mich und die zwei Kleinen gnädig behütet und Dich mein Herzens Manni vor Ansteckung bewahrt1; wenn ich mir das vergegenwärtige und meinen süßen prächtigen Sigmundchen ansehe, da kann ich nicht klagen, wenn’s auch oft noch ein bißchen wirr um mich her ist. Meine Zeit ist jetzt getheilt zwischen den Reconvalescenten und dem Kleinen, bei dessen Pflege mir Lene wohl behülflich mit, indem sie Alles herbei trägt und hin und her läuft, aber an ihm selbst kann sie doch Nichts machen, und ich möchte mir’s auch nicht nehmen lassen, denn der kleine Kerl ist gar zu prächtig und be- findet sich so wohl bei der mütterlichen Behandlung, daß ich aufhöre, mich wegen des Durchfalls zu sorgen; es geht auch damit besser. Ubrigens verliere ich vielleicht meinen kleinen Handlanger, als welcher Lena sehr zu brauchen ist, indem sie heute plötzlich krank geworden ist, so daß ich sie heute Abend fortschickte, um zu Hause abzuwarten, wie’s morgen geht. Seit eben Frau Zielbäuerin weg ist, schlief sie hier, daß ich doch nicht so ganz alleine mit den Kindern bin. Ich brauchte sie wohl nicht des Nachts und so ein junges Ding hat einen wunderbaren Schlaf, doch war es mir heimlicher. Diese Nacht schläft nun Rosel hier, die aber doch noch recht schwach ist; so menschelt mein Personal immer fort und ich weiß nicht, wann und wie es sich bleibend gestalten wird. Doch nun gute Nacht, Liebster, morgen füge ich noch einen Abschiedsgruß bei, wenn ich nicht Zeit finde zu mehr.

den 18ten August Guten Morgen, Liebster hast Du gut geschlafen? möge Dir ein schöner, genußreicher Tag beschieden sein.

Die Kinder haben sehr gut geschlafen und sind recht munter heute Morgen, Luischen hat 2 Tassen Milch getrunken 1 Milchlaibchen und ½ Zwieback gegessen, nicht auf ein Mal sondern in verschiedenen Parthien und jetzt ist’s 10 Uhr nun verlangen sie stürmisch nach der Suppe. Ach ich bin so glücklich, mein Liebster, daß ich den ganzen Tag loben und danken muß und alle Mühe und Plage, davon ich jetzt so viel habe wie noch nie in meinem guten Leben, mir eitel Freude und Manna ist. – Unsre kleine Lena ist heute nicht gekommen, sie scheint also noch krank zu sein, ich habe es auch nicht erwartet, daß es so bald vorüber geht, wenn sie nur nicht auch den Typhus bekommt, denn er greift immer weiter um sich und am Bohlenplatz besonders sind sehr viele Familien davon angegriffen. Gott führe doch Alles gnädig vorüber!!

Nun muß ich Dir aber noch Etwas beichten, auf die Gefahr hin, daß Du mich auslachst. Ich will den Eckert oder sonst einen ordentlichen Mann bestellen hier zu schlafen. Es war mir diese Nacht, da eben mein Kleiner trank, als ob ich Geräusch im Hause hörte, und obwohl ich mich nachher, wie ich im Dunkeln hinausschlich, überzeugte, daß es Täuschung war, so mußte ich mir doch eingestehen, wie gänzlich hülflos ich im Fall eines etwaigen Einbruch-Versuchs wäre, so daß es mir fast verwegen erschien, länger ohne irgend einen männlichen Schutz zu bleiben. Du wolltest ja doch während unsrer Abwesenheit Jemand hier schlafen lassen außer Rosel um das Haus zu schützen und zu vertheidigen und jetzt gibt’s ja noch ungleich kostbareres, was des Schutzes bedarf.

Leb‘ wohl mein Herzens Mann, übermorgen wirst Du nach Reichenhall zur Taufe2 gehen, grüße all unsre Lieben tausend Mal, ich bin bei Euch in Gedanken! von der lieben Mutter habe ich schon ein Briefchen erhalten, das mich über ihren Zustand beruhigte. Gottlob.

An die lieben Münchner schönste Grüße, ist Tante schon da?

Wegen des Garten Ginsters sorge nicht, der Himmel hat sich endlich erbarmt und gestern einen recht ausgiebigen Regen geschenkt, auch heute ist der Himmel noch wolkig und trübe. Gott mit Dir, Geliebter, möge es Dir recht gut gehen. Ein Brief mit dem Postzeichen Greifswald und dem Siegel  O. F. kam gestern, was soll ich mit machen vielleicht ist er vom Vater Flottwell. Leb wohl, ich kann nicht mehr, denn meine zwei Kleinen schreien.

Ewig Deine Susanna.