Straßburg Gründonnerstag 18. April Abend 1867
Liebstes Suschen!
Deine Briefe fliegen schneller zu mir, als meine zu Dir. Den Deinigen von vorgestern erhielt ich schon gestern Abend 8 Uhr in meiner Wohnung. Der letzte meinige war am Freitag 12. April Abends hier aufgegeben und kam erst am 16. Morgens in Deine Hände. Das ist räthselhaft! Vielleicht ist die Nürnberger Post diesmal präziser als unsere armselige Erlanger. Ich schreibe gleich heute, um Dich nicht warten zu lassen.
Deine eindringliche liebevolle Vorstellung, die mich zu schneller Rückkehr bewegen soll, hat mir das Bleiben hier über das Fest hinaus doppelt schwer gemacht. Ich muß doch bleiben, wenn es mich auch ein Opfer mehr kostet! Ich darf nicht die nach der Lage der Verhältnisse allein verständige Entschließung dem Zuge der Neigung unterordnen; ich darf nicht meine Arbeiten im besten Fortgang abbrechen, um sie, wer weiß unter welchen erschwerden Umständen später fortzusetzen. Im nächsten Herbst werden Archiv und Bibliothek in der besten Zeit geschlossen sein, und wenn es wirklich noch, wie wir nicht denken wollen, zum Kriege kommen sollte! Man soll überhaupt nichts verschieben, was man gleich thun kann. Ich wäre gern mit Euch in Nürnberg | aber ich würde unbefriedigt sein von dem Ergebniß einer Reise, an die ich nun einmal so viel Zeit, Kosten, Mühe und Arbeit, Entsagung mancherlei Art gewendet habe. Es kommt mir gerade jetzt noch auf die acht Tage an; morgen Charfreitag allein und heute Nachmittag sind Archiv und Bibliothek geschlossen; doch habe ich Bücher auch zu Hause, die ich aber nur hier haben kann. So tröste Dich nun, liebes Suschen, und tröste auch die Kinder. Im Grunde wird das doch nicht so schwer sein bei dem was Euch der Aufenthalt in Nürnberg bietet, daß August und
Maria uns dort erwarten, habe ich bis jetzt nicht gewußt. Ich werde sie jedenfalls noch sehen und hoffe auch noch den guten Großvater am Leben zu treffen. Es sind nur 8 Tage weiter! Ich denke auch Dir wird der Besuch in Nürnberg recht gut thun; für Dein körperliches Befinden vielleicht schon durch bloße Luftveränderung. Heute wolltest Du hinüberfahren; es war heute einmal wieder ein schöner, wenn auch immer noch kühler Frühlingstag. Wir machten Nachmittags einen Spaziergang ins Freie nach dem benachbarten Königshofen, von welchem Ort der Chronist den Namen führt, den ich bearbeite. Die Umgebung von Straßburg ist keineswegs schön zu nennen, nur nach der einen Seite gegen Mitternacht sind Parkanlagen, doch ohne andern Schmuck als hochgewachsene Baumalleen und Grasplätze. Nach dem Rhein hin gegen |
Kehl zu hat man ¾ Stunden zu gehen auf einförmiger Landstraße. Aber der Fluß ist mächtig und imponierend mit der doppelten Brücke. Wir waren am letzten Sonntag wieder drüben, um uns des deutschen Bodens und der deutschen Landsleute, wenn auch nur in Wirthshaus und Inlandsladen, zu erfreuen. Ich gönne Frankreich das uns entfremdete und für uns verlorene Elsaß. In Beziehung auf Luxemburg denke ich so, daß Frankreich es nicht bekommen darf, aber daß das Land und seine Bewohner es nicht werth sind sie mit Strömen deutschen Bluts zu erobern: möge es als neutrales Gebiet oder zu Belgien geschlagen werden; es gehört uns nicht mehr an als dieses, abgesehen von dem mit Holland getheilten Besatzungsrecht Preußens in der Festung. Diejenigen schreien jetzt in Deutschland wieder am lautesten, die am wenigsten thun werden, wenn es darauf ankommt. Auf Bismark setze ich das unbedingte Vertrauen daß er was irgend erreichbar, durchsetzen wird. Was der Mann weiß und was Preußen, und nur dieses allein, für Deutschland bedeutet, das erfährt man am besten, wenn man es daheim noch nicht wußte oder sich dagegen hartnäckig verwendet hätte, im Ausland! Heute bringen die Pariser Zeitungen schon die gestrige Schlußrede des Königs. Also das schwierige Werk ist trotz allen Widerwärtigkeiten, aller Bosheit und Intriguen, die dagegen aufgewendet werden, glücklich zum Abschluß gebracht! Es ist ein großer hoffnungsreicher weiterer Schritt zum Ziel – angestrebt und | immerfort verfehlt seit langen Jahrhunderten.
Die Menschen wissen nichts von der Geschichte unserer Nation, die das verkennen.
Es freut mich, daß Du gute Nachricht hast von unserem lieben Kinde in Berlin; ihren Brief werde ich noch zu lesen bekommen. Von Kern erhielt ich gestern Nachricht; er will morgen von Nürnberg abreisen. Auch ich beklage herzlich den Abgang von Delitzsch, wie den von Thiersch. Der theologische Schwiegersohn V. wird wohl unvermeidlich sein; der junge Mann hat viel Glück, möge es ihm nicht gehen, wie Rösler!
Ich grüße die lieben Kinder. Mögen sie recht vergnügt sein und sich die Osterfreude nicht verderben lassen! es wird ja wohl auch nicht geschehen! Ich grüße die lieben Eltern, Schwäger und Schwägerinnen, ich grüße den theuren Großvater, von dem ich noch nicht Abschied nehme. Ich werde gleich nach meiner Rückkehr nach Nürnberg kommen, oder auch zuerst dorthin, wenn wir uns dort treffen können. Wie ich meine Reise einrichte, werde ich erst in meinem nächsten Brief anzeigen, wenn ich Deine Nachrichten aus Nürnberg erhalten habe, die mit bestimmend sein werden.
Lebe wohl, liebes Suschen, und gedenke
Deines Liebsten.
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
Hegel, Susanna Maria Karoline Henriette, geb. Tucher
Susanna Maria Hegel, geb. Tucher116146891918261878Hegel, Susanna Maria Karoline Henriette, geb. Tucher (1826–1878), häufig „Susette“ genannt, Tochter Johann Sigmund Karl Tuchers (1794–1871) und Maria Magdalena Tuchers, geb. Grundherr (1802–1876), Ehefrau Karl Hegels (1813–1901); siehe auch: Tucher, Susanna Maria.
Straßburg48.584614,7.7507127Ehemalige Reichs-, Universitäts- und Bischofsstadt am Westufer des Rheines und an der Ill zwischen Vogesen im Westen und Schwarzwald im Osten gelegen.
Privatbesitz
.
Privatbesitz
1000
Hegel
, Karl: Königshofen, Jakob Twinger bzw. Jakob v[on] K[önigshofen], in: ADB 16 (1882), S. 525-526.
Hegel
, Königshofen, S. 525-526
1882
Die Chroniken der deutschen Städte
vom 14. bis in’s 16. Jahrhundert, hg. durch die Historische Commission bei der Königl. Academie der Wissenschaften von Karl
Hegel
, Bd. 8, Die Chroniken der oberrheinischen Städte, Straßburg, bearb. von Karl
Hegel
, Bd. 1, Leipzig 1870. (https://dlibra.bibliotekaelblaska.pl/dlibra/publication/59555/edition/54954 )
Chroniken der deutschen Städte
, Bd. 8, Straßburg, Bd.1
1870
Twinger von Königshofen, Jakob11915235513461420 Twinger von Königshofen, Jakob (1346–1420), Priester, Historiker und Chronikenschreiber. Siehe auch: Königshofen, Jakob (Jacob) Twinger.
Bismarck, Otto11851136X18151898Bismarck, Otto (1815–1898), in Schönhausen an der Elbe geborener preußischer und deutscher Politiker, der 1850 Mitglied des Erfurter Unionsparlaments war, von 1862 bis 1890 preußischer Ministerpräsident, zugleich von 1867 bis 1871 einziger Bundeskanzler des Norddeutschen Bundes und von 1871 bis 1890 erster Reichskanzler des Deutschen Reiches.
Kern, TheodorTheodor Kern11614072018361873Kern, Theodor (1836–1873) wurde am 5. Mai 1836 in Bruneck in Tirol im Kaisertum Österreich geboren und starb am 18. November 1873 in Veytaux am Genfer See. Theodor Kern stammte aus einer österreichisch-badischen Handwerker- und Beamtenfamilie. Er besuchte das Gymnasium in Innsbruck und studierte seit 1853 zunächst Jura, später Geschichte und Philologie in Innsbruck, Göttingen, Heidelberg und München. Julius Ficker in Innsbruck, Georg Waitz in Göttingen, Ludwig Häusser in Heidelberg sowie Heinrich Sybel in München waren seine akademischen Lehrer. Das Staatsexamen für das Höhere Lehramt hatte er 1857 „mit glänzendem Erfolg“ absolviert. Promoviert worden war er als Schüler Ludwig Häussers im darauffolgenden Jahr 1858 in Heidelberg. 1863 habilitierte er sich über die „Chronik der Stadt Nürnberg vom 14. bis in’s 16. Jahrhundert“ und wurde im selben Jahr Privatdozent. Er war seit 1859 erster wissenschaftlicher Mitarbeiter Karl Hegels beim Editionsunternehmen „Die Chroniken der deutschen Städte“, für das er viele Forschungsreisen unternahm. Mit seiner sehr ordentlichen Arbeitsweise war Karl Hegel als Editionsleiter sehr zufrieden. Ab 1866 war Theodor Kern außerordentlicher, 1871 ordentlicher Professor der Geschichte an der Universität Freiburg im Breisgau, wo er einen historischen Verein gründete und die „Zeitschrift für Geschichte des Breisgaus“ herausgab. Auch noch in dieser Zeit blieb er dem Editionsprojekt der „Chroniken der deutschen Städte“ als Mitarbeiter auf Honorarbasis verbunden. 1873 starb der sehr begabte junge Historiker an den Folgen einer schweren Erkrankung.
Delitzsch, Franz JuliusFranz Delitzsch11852455018131890Delitzsch, Franz Julius (1813–1890), in Leipzig geborener Theologe, der nach seiner Habilitation an der Universität Leipzig im Jahre 1842 von 1844 bis 1846 dort außerordentlicher Professor war. Von 1846 bis 1850 war er ordentlicher Professor der evangelisch-lutherischen Theologie (Altes Testament) an der Universität Rostock, dann von 1850 bis 1867 an der Universität Erlangen und von 1867 bis 1890 an der Universität Leipzig.
Thiersch, Karl11875702418221895Thiersch, Karl (1822–1895), als Sohn des Klassischen Philologen Friedrich Wilhelm Thiersch (1784–1860) und seiner Ehefrau Amalie Thiersch, geb. Löffler (1794–1878), in München geborener Mediziner, Ehemann Johanna Liebigs (1836–1926), Tochter des Chemikers Justus Liebig (1803–1873), Schwiegervater u. a. desevangelischen Theologen Adolf Harnack (1851–1930) und des Historikers Hans Delbrück (1848–1929). Er studierte bis zur Promotion im Jahre 1843 Medizin an der Universität München und wurde nach weiteren Ausbildungsjahren in Berlin und Wien 1845 in München als Arzt approbiert, habilitierte sich 1849 an der dortigen Universität und wurde 1853 außerordentlicher Professor der Medizin an der Universität München, 1854 ordentlicher Professor der Chirurgie und Augenheilkunde an der Universität Erlangen und war von 1867 bis 1895 Ordinarius an der Universität Leipzig. In Erlangen war er im Studienjahr 1861/62 Prorektor, in Leipzig 1876/77 Universitätsrektor.
Rösler, Leonhard11659410118391910Rösler, Leonhard (1839–1910), in Nürnberg geborener Chemiker und Önologe, der nach seinem Studium der Chemie an den Universitäten Erlangen und Göttingen 1861 Privatdozent der Nationalökonomie in Erlangen wurde. Nach wissenschaftlichen Stationen an den Universitäten Göttingen und Halle wurde er 1867 ordentlicher Professor der Technologie und Agrikulturchemie am Polytechnikum Karlsruhe und setzte ab 1870 seinen beruflichen Weg in Klosterneuburg und Wien fort.
Nürnberg49.453872,11.077298In Franken an der Pegnitz gelegene ehemalige Reichsstadt, seit 1806 Stadt des Königreichs Bayern.
Erlangen49.5928616,11.0056Mittelfränkische Universitätsstadt, etwa 20 Kilometer nördlich von Nürnberg gelegen, seit 1810 Stadt und Universität des Königreichs Bayern.
Königshofen48.5806908,7.7108814Westlich der Altstadt von Straßburg gelegener Ort, später Teil der Großstadt.
RheinCirca 1233 Kilometer langer, im Schweizer Kanton Graubünden entspringender Fluß im Westen des Gebietes des Deutschen Bundes, von der Schweiz, durch den Bodensee, am Ende durch die Niederlande fließend und in die Nordsee mündend.
Kehl48.5728929,7.8109768Auf der rechten Rheinseite, dem linksrheinischen Straßburg direkt gegenüberliegender Grenzort zwischen Deutschland und Frankreich.
FrankreichNach der Französischen Revolution von 1789 wurde das in Westeuropa am Atlantik gelegene Frankreich 1791 konstitutionelle Monarchie, 1793 Republik, 1804 Kaiserreich, 1830 Königreich, 1848 wieder Republik, 1852 erneut Kaiserreich und von 1871 bis 1940 zum dritten Mal Republik.
ElsaßLandschaft im Osten Frankreichs, von den Vogesen bis zum Flußlauf des Rheines und von der Burgundischen Pforte im Süden bis zur Stadt Weißenburg an der Lauter im Norden reichend, an die Schweiz und Deutschland grenzend.
BelgienAb 1830 eine in Westeuropa am Atlantik gelegene parlamentarische Monarchie mit Leopold I. (1790-1865) aus dem Hause Sachsen-Coburg und Gotha als König der Belgier an der Spitze.
HollandProvinz des Königreichs der Niederlande, das auch als Ganzes als Holland bezeichnet wurde.
Preußen, Prusse Königreich Preußen (französisch: Prusse), auch Ostpreußen als östlichste Provinz des Königreichs.
Berlin52.5170365,13.3888599Hauptstadt des Königreichs Preußen und ab 1871 auch des Deutschen Reiches.
Eisenbahnbrücke bei KehlDie erste feste Brücke wurde 1861 eingeweiht und verband das Großherzogtum Baden und das Kaiserreich Frankreich über den Rhein hinweg.
Luxemburger FrageIn der sog. Luxemburg-Krise, verursacht durch Verhandlungen des niederländischen Königs Wilhelm III. (1817-1890) mit dem französischen Kaiser Napoleon III. (1808-1873) über den Verkauf des Großherzogtums Luxemburg, ging es 1867 zwischen Frankreich und Preußen um die Vorherrschaft in Luxemburg, das 1866 aus dem Deutschen Bund ausschied, aber im Deutschen Zollverein blieb und 1867 nicht Mitglied des Norddeutschen Bundes wurde. In der Londoner Konferenz vom Mai 1867 einigten sich die Großmächte, Italien, Belgien und die Niederlande darauf, daß sie die Unabhängigkeit und Neutralität Luxemburgs garantierten. Das gegenseitige Mißtrauen zwischen Frankreich und Preußen blieb allerdings weiter bestehen.
Festung (Luxemburg)Im Zuge der Herstellung der Neutralität des Großherzogtums Luxemburg wurde im Jahr 1867 die Wehranlage der Stadt Luxemburg gemäß dem Londoner Protokoll vom Mai 1867 geschleift, nachdem die preußische Garnison aufgelöst worden war.