Oberstdorf (Mittwoch) 24. August / Vormittag / 1864
Liebste Susi! Deinen lieben Brief von Montag habe ich so eben erhalten und habe mich über seinen Inhalt herzlich gefreut.
Es ist zwar nichts Außergewöhnliches darin, aber auch das Gewöhnliche, wie Du es und wie die Kinder es treiben, ist mir anziehend genug. Der Besuch von Wilhelmine wird Dir große Freude machen, ich würde sie grüßen, wenn der Gruß noch bestellbar wäre. Wenn Du den Jungen, Luischen und
Mariechen nach Nürnberg schickst, wirst Du es ruhig im Hause haben; Annchen solle später dafür schadlos gehalten werden. Nun von meiner Reise. Das Wetter war bis hieher gut, und zum Theil schön. Erst heute morgen ist es abscheulich und muß man sich im Zimmer aufhalten oder im Wirthshaus rumtreiben. Gesellschaft habe ich genug gefunden. Spiegel mit Frau ist hier und hat mich bei anderen Bekannten eingeführt, und auch sonst gibt es Ansprache.
Am Sonntag Morgen schrieb ich Dir von Augsburg. Ich besuchte am Morgen mit Frensdorff die Gemäldegallerie und den Dom. Sehr schön neu hingestellte Holbeins fand ich in letzterem und dort die reichen und ansprechenden Bilder der schwäbischen Schule. Nach dem Essen machte ich in Gesellschaft jüngerer mit Frensdorff bekannter Männer hauptsächlich vom Gericht, Staatsanwalt v. Stauffenberg, Assessor Zürn u. a. einen schönen Spaziergang nach dem sog. Ablaß, wo ein Wirthshaus mit schattigen Plätzen an der Stelle sich befindet, wo der Lech im enger eingeschlossenen Bette mit reißender Schwelle durchbricht. |
Auch der Weg dahin durch Wiese und Wald ist schön und das Wetter war herrlich. Auf dem Rückweg sah ich auch ein fröhliches Kinderfest am Schießgraben, wo ich der Meinigen viel gedachte. In den drei Mohren habe ich gut, wenn auch theuer gewohnt.
Am Montag früh ging’s nach Immenstadt. Bis Kempten fuhr ein junger Mann mit, der ein zimlich schwerfelliges hübsch geschnitztes Bügelbrett auf dem Schoß hatte und gelegentlich äußerte, daß, wäre man nicht verheiratet, man sich mit dergleichen nicht belästigen würde: Am Bahnhof in Kempten empfing ihn ein hübsches junges Frauchen, das er Maria rief: Du würdest den Empfang mit Vergnügen gesehen haben. Zwei Männer mittleren Standes stiegen dort ein, und eingroßes Abschiedsgeleite stand vor dem Wagen; der eine, wie es schien, ein Ingenieur, reiste ab nach Neapel. So kommt man auf Reisen mit der Welt in Verbindung!
Eine sehr hübsche Fahrt war die von Immenstadt in das Thal hinein nach Sonthofen dicht unter dem grade aufsteigenden 6000 fuß hohen Grünten. Ich fand in Immenstadt eine bessere Gelegenheit als den Postomnibus in einem offenen leichten Wagen, wo mir der Postillon für geringes Geld einen Platz anbot. Die Sonne schien heiß im Thal und ich machte meinen Regenschirm gegen sie auf. Mit mir fuhr ein Mann in mittleren Jahren, den ich von der Sprache als einen Schweizer erkannte und der sich schon acht Tage in Sonthofen aufhielt. Ich stieg im ,Engel‘ ab, dem ersten Gasthofe dort, wo auch er logirte. Um ½ 1 kamen wir an. |
Das Essen war eine recht gute Hausmannskost. Ich entschloß dort zu übernachten, um am Nachmittag Hindelang zu besuchen, das uns Luise Schwarz oft mit Entzücken gerühmt hat. Der Schweizer begleitete mich und ich fand in ihm einen sehr unterrichteten Mann aus Winterthur und Mitglied des Erziehungsraths des Canton Zürich, namens Schmidt. Der Ort Hindelang liegt in der That sehr hübsch, mit Muggendorf zu vergleichen, im engeren Thal eingeschlossen und still: nur wenig Fremde kommen dorthin. Der Weg von Sonthofen ist 1½ Stunden weit. Die Beleuchtung im Thal war am Abend auf einen Moment ganz wundervoll, Wiese und Berge von warmer Sonnenluft überströmt. Am andern Morgen, gestern früh, fuhr ich mit dem Postomnibus weiter hieher, von 8 – 10 Uhr. Der Weg ist sehr schön und führt durch eine Menge freundlicher Ortschaften zwischen üppigen Wiesen, auf denen die Leute mit Heuen beschäftigt waren, im Thal der munteren Iller, welche die kleinen Gebirgsflüßchen in sich aufnimmt. Im Hintergrund erheben sich die felsigen, zum Theil mit Schnee bedeckten Gebirgsstöcke. Oberstdorf ist ein kleinerer Ort als Immenstadt und Sonthofen, die Häuser meist bloß von Holz gebaut, die Wirthshäuser verlangen von den Gästen recht bescheidene Ansprüche und Sonne und Mohr, Licht und Finsterniß streiten sich um diese. Ich wurde von einem von der Partei Mohr hieher geführt, der mich versicherte, daß man besser hier esse. Nachdem ich mich einquartiert, erfuhr ich jedoch, daß der Präsident Lerchenfeld in der Sonne logirte und dort fand ich auch nach Tische den Collegen Spiegel und seine Gesellschaft. Die | Sonnenfreunde behaupteten daß das Essen bei ihnen besser sei, gaben aber zu, daß die äußere Umgebung im Mohren weit anständiger und reinlicher sei, und so fand ich’s denn auch. So bleibe ich einstweilen im Mohren, wenn ich nicht ein Privatlogis finde, das mir entschieden besser gefällt. Platz scheint noch genug vorhanden. Am Nachmittag ging ich bei drohendem Gewitter, das sich jedoch rascher wieder verzog, mit Spiegel nach dem sog. Schänzle, 5/4 Stunden von hier, wo die österreichische Grenze ist und wo wir den österreichischen Wein versuchten. Auf dem Rückwege sahen wir den sog. Zwingsteg, der zwei ganz steil abfallende ungeheure Felswände mit einander verbindet, und unter dem in einer Tiefe von 300 Fuß ein schäumendes Wasser sich hindurch windet. Zum Abendessen war ich in der Gesellschaft der Sonne. Der Präsident, den ich übrigens nicht sprach, hatte an dem Tage die hohe Mädeli’s Gabel bestiegen, wofür er schon am Tage zuvor aufgebrochen war.
Heute Morgen regnet es trostlos; jetzt gegen Mittag hat zwar der Regen aufgehört, aber die Wolken liegen tief herunter über und in den Bergen. – Ich gedenke, das Wetter noch etwas abzuwarten und bis Ende der Woche hier zu bleiben; ob ich nachher noch auf einige Tage an den Bodenseegehe, weiß ich selbst noch nicht und hängt von den Umständen ab. Schreibe mir doch noch einmal hierher; aber Du mußt gleich antworten, damit mich der Brief noch sicher hier trifft. – Manuel’s Brief hat mich recht gefreut.
Ich grüße Euch tausend Mal, Dich und die Kinder, und denke oft an Euch, wenn ich Euch nur hier hätte!
Lebe wohl mein innig geliebtes
Suschen!
der Deinige.
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
Hegel, Susanna Maria Karoline Henriette, geb. Tucher
Susanna Maria Hegel, geb. Tucher116146891918261878Hegel, Susanna Maria Karoline Henriette, geb. Tucher (1826–1878), häufig „Susette“ genannt, Tochter Johann Sigmund Karl Tuchers (1794–1871) und Maria Magdalena Tuchers, geb. Grundherr (1802–1876), Ehefrau Karl Hegels (1813–1901); siehe auch: Tucher, Susanna Maria.
Oberstdorf47.4104347,10.2774409Markt und Kurort im bayerischen Oberallgäu, 1865 durch eine Feuersbrunst weitgehend zerstört.
Privatbesitz
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Privatbesitz
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Hegel, Maria (Mariechen, Mimi)Marie HegelTochter Karl Hegels-18551929 Hegel, Maria (Mariechen, Mimi) (1855–1929), dritte Tochter Karl (1813–1901) und Susanna Maria Hegels, geb. Tucher (1826–1878), die ab 1878 dem verwitweten Vater den Haushalt in Erlangen führte.
Spiegel, FriedrichFriedrich Spiegel11912035618201905Spiegel, Friedrich (1820–1905), in Kitzingen geborener Orientalist und Iranist, der ab 1839 an den Universitäten Erlangen, Leipzig und Bonn studierte und 1842 an der Universität Jena promoviert wurde. 1849 wurde er außerordentlicher, 1853 ordentlicher Professor der orientalischen Sprachen an der Universität Erlangen.
Frensdorff, FerdinandFerdinand Frensdorffhttps://www.deutsche-biographie.de/sfz17060.html#ndbconte11677010418331931Frensdorff, Ferdinand (1833–1931), in Hannover geborener Jurist und Historiker, der von 1853 bis 1857 an den Universitäten Heidelberg, Berlin, Leipzig und Göttingen Rechtswissenschaften studierte und 1857 in Göttingen promoviert wurde. Er war Mitarbeiter Karl Hegels bei dem Editionsunternehmen „Die Chroniken der deutschen Städte“ der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Im Jahre 1863 habilitierte er sich an der Universität Göttingen und wurde 1866 außerordentlicher, dann dort von 1873 an bis zu seinem Lebensende ordentlicher Professor der Rechtswissenschaften und Rechtsgeschichte. Im Studienjahr 1887/88 war er Rektor der Universität Göttingen.
Holbein, Hans der JüngereHans Holbein der Jüngere118552953 1185529531497/981543Holbein, Hans der Jüngere (1497/98–1543), in Augsburg geborener deutscher Maler, Sohn Hans Holbeins des Älteren (um 1465–1524).
Holbein, Hans der ÄltereHans Holbein der Ältere118552945um 14651524Holbein, Hans der Ältere (um 1465–1524), in Augsburg geborener deutscher Maler, Vater Hans Holbeins des Jüngeren (1497/98–1543).
Stauffenberg, Franz August11724227618341901Stauffenberg, Franz August (1834–1901), in Würzburg geborener Jurist und Politiker, der von 1851 bis 1857 an den Universitäten Würzburg und Heidelberg studierte und dann von 1862 bis 1866 als Staatsanwalt in Augsburg in den königlich bayerischen Justizdienst ging. Von 1867 bis 1899 gehörte er der Abgeordnetenkammer des Bayerische Landtages an, von 1868 bis 1871 dem Deutschen Zollparlament und von 1871 bis 1892 dem Deutschen Reichstag.
Zürn, Georg11886123918341884Zürn, Georg (1834–1884), in Würzburg geborener Jurist, der an der Universität seiner Heimatstadt von 1852 bis 1856 Rechtswissenschaften studierte und an der Universität Erlangen promoviert wurde. Von 1856 an war er Richter in Würzburg und Pfarrkirchen sowie 1864 in Augsburg, von 1865 bis zu seinem Lebensende war er Erster Bürgermeister von Würzburg.
Schmidt, N. N.-Schmidt, N. N., Mitglied des Erziehungsrats des Kantons Zürich.
Lerchenfeld, Ernst ChristianErnst Christian Lerchenfeld11694691118161873Lerchenfeld, Ernst Christian (1816–1873), in Würzburg geborener Jurist, der bis 1838 an den Universitäten Heidelberg und Würzburg studierte und dann zunächst in die Justiz ging. Nach Tätigkeiten in den Regierungen aller drei fränkischen Regierungsbezirke und im bayerischen Kultusministerium war er von 1858 bis 1868 Regierungspräsident von Schwaben-Neuburg mit Sitz in Augsburg und dann bis zu seinem Tode 1873 Regierungspräsident von Oberfranken mit Sitz in Bayreuth.
Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel)Immanuel HegelJurist/Konsistorialpräsident der Provinz Brandenburg11657072518141891 Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel) (1814–1891), Bruder Karl Hegels, studierte von 1832 bis 1834 und von 1835 bis 1836 Jura an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, von 1834 bis 1835 an der Ludwigs-Maximilians-Universität in München, trat 1836 in den preußischen Staatsdienst ein und war als Verwaltungsjurist in verschiedenen Verwendungen des Königreichs Preußen, vor allem im Staatsministerium, tätig, wurde 1865 Präsident des Konsistoriums der Provinz Brandenburg, heiratete 1845 Friederike Flottwell (1822–1861) und 1865 Clara Flottwell (1825–1912), beide Töchter des oftmaligen preußischen Oberpräsidenten und Staatsmanns Eduard Heinrich Flottwell (1786–1865), war u. a. Vater des preußischen Verwaltungsbeamten und Politikers Wilhelm (Willi) Hegel (1849–1925), war 1856 Taufpate seines Neffen Georg Hegel (1856–1933).
Nürnberg49.453872,11.077298In Franken an der Pegnitz gelegene ehemalige Reichsstadt, seit 1806 Stadt des Königreichs Bayern.
Augsburg48.3668041,10.8986971Auf römische Zeit zurückgehende alte Reichsstadt des Heiligen Römischen Reiches und Bischofsstadt am Lech, etwa 65 Kilometer nordwestlich von München gelegen und seit 1806 zum Königreich Bayern gehörig.
Ablaß48.3441197,10.93659202690167Gegend am Stauwehr des Lechs bei Augsburg.
LechIn Vorarlberg entspringender Nebenfluß der Donau, der östlich von Donauwörth bei Marxheim in die Donau mündet.
Immenstadt47.561006,10.2201663Stadt im Allgäu, seit 1806 zum Königreich Bayern gehörend.
Kempten47.7267063,10.3168835Alte Reichsstadt im Allgäu, seit 1806 zum Königreich Bayern gehörend.
Neapel (italienisch: Napoli)40.8358846,14.2487679Stadt an der Westküste der Apeninnen-Halbinsel am Golf von Neapel, circa 220 Kilometer südöstlich von Rom entfernt gelegen.
Sonthofen47.5135363,10.281931Stadt im Allgäu, seit 1803 zum Kurfürstentum, seit 1806 zum Königreich Bayern gehörend.
Grünten47.5549517,10.3200331Über 1700 Meter hoher Bergrücken in den Allgäuer Alpen, östlich von Immenstadt gelegen, wegen seiner Randlage „Wächter des Allgäus“ genannt.
Hindelang47.5062921,10.3699251Etwa 120 Kilometer südwestlich von Augsburg gelegene Marktgemeinde im Allgäu.
Winterthur47.4991723,8.7291498Stadt im Schweizer Kanton Zürich, nordöstlich der Stadt Zürich gelegen.
Zürich47.3744489,8.5410422Schweizer Stadt am Zürichsee, etwa 115 Kilometer nordöstlich von der Schweizer Hauptstadt Bern und etwa 65 Kilometer südwestlich von Konstanz am Bodensee gelegen.
Muggendorf49.8035845,11.262593Ferienort an der Wiesent in der Fränkischen Schweiz, etwa 50 Kilometer nördlich von Nürnberg und etwa 35 Kilometer nordöstlich von Erlangen gelegen.
IllerBei Ulm in die Donau mündender Fluß.
Schänzle47.275299,10.2151972Salzbücheljoch an der deutsch-österreichischen Grenze bei Oberstdorf.
Zwingsteg47.3934067,10.2313493Steg über die Breitnachklamm bei Oberstdorf mit Blick über die Allgäuer Bergwelt.
Mädelis Gabel47.2999076,10.2956492Mädelegabel, über 2600 Meter hoher Berg bei Oberstdorf.
Bodensee47.6477691,9.347179603746703Vom Rhein durchflossener See im Süden Deutschlands, der zugleich ein Teil der Schweizer Eidgenossenschaft und Österreichs ist.
Gemäldegalerie (Augsburg)Gemäldegalerie in der Augsburger Katharinenkirche.
Dom (Augsburg)Die Kathedrale des Bistums Augsburg wurde innerhalb der Mauern der römischen Provinzialhauptstadt seit dem 8./9. Jahrhundert im romanischen Stil erbaut, im 14. Jahrhundert gotisch erweitert und im 17. Jahrhundert barockisiert.
Erziehungsrath des Cantons ZürichAufsichtsgremium im Rahmen der Lehrerbildung des Kantons Zürich.