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Karl Hegel an Georg Gottfried Gervinus, Erlangen, 28. März 1860

Ich darf diesen Monat nicht zu Ende gehen lassen, ohne Dir auf Deine bis zu diesem Termin sich erstreckende Aufforderung1 zu antworten. Sie hat mich die ganze Zeit hier viel beschäftigt. Daß uns ein deutsches Organ wieder recht dringend Noth thut, um unseren völlig zerfahrenen Zuständen und Stimmungen Einheit, Haltung und Achtung zu geben, davon kann niemand mehr überzeugt sein, als ich. In meiner Nähe herrscht immer noch dieselbe Abneigung gegen Preußen, wie im vorigen Jahr, und ist maßgebend für die politische Ansicht der Ton, welchen fort und fort im einigen Einerlei die Augsburger Allgemeine auffängt. Man sieht nicht ein und will nicht begreifen, wie sehr man selbst den Boden einer einheitlichen Deutschen Politik untergräbt, auf dem man doch stehen will und den man zu betreten meint. Die Kluft, die uns zerreißt, wird immer weiter und größer. Bevor noch der äußere Krieg an uns herantritt, scheint der innere loszubrechen, und alles Selbstvertrauen ist uns dem äußeren Feinde gegenüber längst verloren gegangen. Die Deutsche Zeitung müßte sich über die Gegensätze der Parteien stellen, müßte sich selbst, was freilich unendlich schwer sein wird, den Glauben verschaffen, daß sie darüber steht, und wenn ihr dies gelänge, würde sie den Einigungspunkt abgeben, der aussteht, den wir gegenwärtig weder im Hinblick auf irgend eine unsrer deutschen Regierungen, noch viel weniger auf den Deutschen Bund finden können. Auch von Kleindeutsch und Großdeutsch dürfte nicht mehr die Rede sein, sondern die deutsche Nation soll zum Durchbruch kommen, gleichviel an welchem Punkt und unter welcher Führung, und Alles was sich ihr wirklich anschließt, soll auch zu ihr gehören. Die Form wird sich finden: daß nur ja nicht sie wieder wie im Jahr 1848 vorangestellt werde! Wir streiten uns so lange darüber, bis die Gelegenheit vorüber ist, da die Hindernisse unsrer Einheit beseitigt scheinen. – Ich gestehe, daß ich Eure gedruckte Ankündigung hinsichtlich des Ziels und der nächsten Aufgabe nicht treu und bestimmt genug gefunden habe, und daß nur Zweifel darüber entstanden sind, ob auch die Unterzeichneten sich vollkommen verständigt haben, weil ein positiver Ausdruck in Bezeichnung der Richtung wie absichtlich vermieden worden ist. Ich brauche nicht zu sagen, wie hoch ich Wilhelm Beseler schätze, aber er hat schon viel zu sehr in den gegenwärtigen Zeitfragen im norddeutschen Sinne Partei genommen, als daß ich es für gut halten kann, daß gerade sein Name bei der Redaction vorantreten soll. Der Deinige oder Häussers würde um des Zweckes der Vereinigung willen, die wir wünschen müssen, besser an der Stelle sein. Dies sind einige Bedenken, die vielleicht nur meinen Standpunkt bezeichnen.

Wegen der Actienzeichnung habe ich nun mit Stintzing gesprochen und ich hätte auch mit keinem Andern davon zu reden gewußt, wenn auch nicht Deine Mahnung, die Sache nicht ins Publicum zu bringen, mich davon abgehalten hätte. Stintzing war erfreut über die Ankündigung, versicherte aber für eine Actie jetzt kein Geld zu haben und er hat sich ein Haus hier erbaut. Warum sind auch die Actien so hoch gegriffen? ich dachte an eine Vereinigung mehrer Theilnehmer, unter denen ich einer sein wollte und für mich allein ist das Ganze weit mehr als ich verantworten könnte. Es ist mir peinlich Dir in solcher Weise zu erwiedern, um so mehr als ich jetzt eben wieder in dem Falle bin, Dir für Dein mir sehr willkommenes Geschenk mit dem neusten Bande Deiner Geschichte des 19. Jahrhunderts meinen herzlichen Dank zu sagen, woraus ich mir reiche Belehrung verspreche. –

Von Deiner lieben Victorie und den Heidelberger Freunden hätte ich gern noch etwas erfahren; ich nehme es für ein gutes Zeichen, daß Du ihrer nicht besonders gedenkst. Meiner Frau und unserer kleinen Familie geht es recht gut; wir werden zu Ostern2 uns nach Nürnberg übersiedeln, dann will ich nach Leipzig und Berlin. Meine Frau Susanna grüßt Euch recht herzlich: sie schwärmt von Heidelberg.

Wir grüßen Webers und Beselers. Kußmauls scheinen nicht sonderlich erbaut von unserm Erlangen, am wenigsten die Frau, die so ganz Pfälzerin ist: übrigens gefällt er sehr gut und seine Tüchtigkeit wird allgemein anerkannt. Ich grüße meine gute alte und doch immer junge Freundin Victorie und verbleibe in unverbrüchlicher Treue

Dein
Hegel.