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Georg Gottfried Gervinus an Karl Hegel, Darmstadt, 2. März 1838

Lieber Erich.

Ich schicke Dir die Einlage2 an Beseler, die Du gefälligst weiter besorgen magst, da ja doch die Briefe nach Rostock über Berlin gehen. Merke Dir das dünne Papier, die enge Schrift. So schreibst Du mir künftig nach Italien. Ich habe Beseler gebeten Dir seine Briefe zur Beförderung zu schicken. Es wird gut sein wenn ihr euch zu gemeinsamen Schreiben und Antworten verabredet. Seid ihr’s zufrieden, so schreibe ich an euch gemeinsame Briefe, ihr hört dann mehr als wenn ich getheilt schreiben muß. Allzuoft wird es ohnehin nicht werden können, da meine Correspondenz gar zu getheilt werden wird. Aber ihr müßt mir fleißig und genaue Nachricht geben von Allem was mich interessirt. Die erste Nachricht wünsche ich nach Rom zu haben, wo ich um Ostern3 eintreffen werde. Ich glaube Alles frühere wird zu riskirt sein, weil ich mich nicht aufhalte unterwegs. Al signor professore Gervinus a Roma4 postarestante. – Meine kleinen Schriften werden von Engelmann besorgt, in Carlsruhe gedruckt, ohne Censur.5 Um Heeren thut mir’s leid, allein ich kann nicht helfen.6 Die gestrichene kurze Vorrede laß ich auch aufnehmen. Die historischen Briefe hat mir der Verleger frei gestellt. – Wie sehr auch Deine sonstigen Neuigkeiten gefreut haben, brauch ich Dir nicht zu sagen. Gladbach hat mir bestätigt (er ist dieser Tage angekommen und hat wohl seinen Entschluß bereut; er wird wohl nach besserer Überlegung zurückgehen nach München, dort Dich vielleicht abwarten und mit Dir oder vor Dir reisen, aber nicht jetzt mit mir) – also Gladbach hat mir bestätigt, daß Du nachkommst. Ich wünsche nun eifrigst, daß Du Dich so einrichtest, daß Du über München, Venedig, Mailand, Genua so reisest, oder auch über die Alpen direct nach Genua und Dich dort einschiffst per Dampf7 nach Neapel, so daß Du uns dort im September träfst! Wir würden dann in diesem Monat uns zusammen in der ganzen Gegend von Neapel umsehen, der größte Genuß, den Natur und Alterthum uns je bereiten wird! Es muß der Monat September sein, kein andrer eignet sich so dazu! Dann reisen wir zusammen nach Rom. Ich hoffe daß wir 1 Jahr zusammen bleiben werden, wenigstens zum größten Theile! Wir können dann später Florenz und Venedig und Bologna u. s. w. zusammen sehen. Aber komme nicht später! Es könnten uns doch allerhand Geschicke früher zurückrufen, laß uns also ergreifen was wir haben können. Die Hitze hast Du weit weniger zu fürchten, wenn Du das erste ½ Jahr im Sommer, und das 2te im Winter da bist. Die Hitze wird dem Fremden erst gefährlich, wenn er erst an das Clima gewöhnt ist. Bist Du im August in Oberitalien, September in Neapel, den Winter in Rom, vom Frühjahr an wieder in Oberitalien, Venedig, Florenz, so ists das beste. –

Alle diese Nachrichten wie erfreulich sie sind, und alle dies Hoffnungen die sich daran knüpfen, dünken mir nichts oder wenig gegen die Neuigkeit, daß Du nun ganz zu unserer historischen Fahne geschworen hast. Ich gestehe, etwas der Art sah ich im Hintergrunde Deiner ganz neuen Richtungen liegen. Aber ich mochte nicht zudrängen und Dich nicht irren, auch gestehe ich, daß ich es für gut gehalten hatte, daß Du eine Weile die Schule des Schulhaltens durchgemacht hättest; sie war mir unendlich belehrend; daß daß Du nicht dabei geblieben wärst dafür bürgte mir schon Dein ganzes Wesen. Ich hätte dann erwartet, daß Du die Philosophie auf der Universität weiter getrieben und ihr eine practische Wendung auf Geschichte und Pädagogik gegeben hättest. Daß Deine schriftstellerische Thätigkeit Dich auf die italienische Humanistik weisen würde, scheint mir gleichsam wie ein ausgemachter Plan im Hintergrund zu liegen. Ich dachte mir es grade schön, wenn Du als Schulmann und Philolog die Geschichte derselben schreiben würdest. Aber thust Du es als Historiker, so ist mirs auch recht und noch lieber. Es ist wunderbar daß Du eigentlich denselben Studierplan durchgemacht hast wie ich, nur mit verschiedenen Accentuationen: Theologie, Philosophie, Philologie, Geschichte. Bei Dir bleibt der Accent auf der Philosophie, bei mir liegt gar kein Accent auf Allem, allenfalls auf der Philologie. Gewiß ist die Geschichte das einzige Asyl aus solchen Irrgängen, in denen uns die Zeit der Ideale herum treibt. Wir geben uns auf diese Weise die Hände immer fester, lieber Erich; ich wünsche nichts als daß uns einmal der Himmel wolle Gesundheit und Zusammenleben und -wirken an einem Orte gönne, vielleicht noch mit Beseler, dann würde ich meinen, ein gewisses poû egô8 zu haben, von wo man die Angeln des deutschen Erdkreises ein bischen lüften könnte um sie mit Oel zu salben. Kommst Du nun mit einem Plan nach Italien, so laß es womöglich einen sein, der Dich mit Einem Autor beschäftigt oder so was Geschlossenes, das weniger Material als Geistesstudium bedarf, so wie mein Machiavelli war. Reizt Dich die humanistische Zeit, möchtest Du nicht lieber eine Universale Geschichte der Deutschen zur Zeit der Reformation schreiben? Keine Kirchengeschichte, keine Regentengeschichte, sondern eine Volksculturgeschichte! ein reizvoller Stoff! Ich bitte Dich wirf Dich aufs Deutsche! mit Deinem klassischen Sinn aufs Deutsche! das thut uns so Noth. Für diesen großen Stoff nähmst Du in Italien die großen italienischen Historiker – Machiavelli, Guiccuardini, besonders Paul Sarpi9, und Pallavicini durch! Du lerntest große Männer des dortigen Bodens kennen und suchtest sie aus Einem bestimmten Gesichtspunkte. Tausend kleine Vorarbeiten bieten sich für diesen großen Stoff, den Du von Seiten der Politik, der Dichtung, Kunst, Religion, Humanistik, aller Wissenschaften u. s. w. durchnehmen müßtest. Dein Name und Deine Stellung ist bemacht, wenn Du mit einem solchen Werke aufträtest. Und wir brauchen, wir bauchen es, grade dieses Werk, in Deutschland wie das liebe Brod so nöthig. Ich sehe immer deutlicher ein daß unsere Geschichtsschreibung von der heimischen Geschichte aus gemacht werden muß, und Du bist ja wohl willens das Werk der historischen Wissenschaft und Kunst fördern zu helfen wenn Du Hand anlegst. Ich sehe ein, daß Deutschland nur zu begründen ist wenn seine Geschichte ihm nahe gerückt wird: dieß muß einzig durch den treu, simpel, wohl erfaßten Stoff der Reformationsgeschichte geschehen, wo Göthe fand, daß wir Fleisch von unserem Fleische träfen! wie griff der Hans Sachsische Ton ein in unser ganzen Wesen, durch Göthe nahe gebracht. So kann es mit der ganzen Geschichte geschehen, die durchweg im welthistorischen Verband behandelt werden müßte, mit Überlegenheit und Bewältigung, klassisch in Form und Wesen.

Ewig
Dein
Gervin

P. S. Liebster. Ich reise übermorgen den 4ten März10 ab! Schreibe / nach Rom postrestant, oder al café greco. Mit tausend / Grüßen! Auch von Victorie. Auch an die Mutter und Bruder.

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