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Georg Gottfried Gervinus an Karl Hegel, Heidelberg, 22. Juli 1844

Lieber Erek.

Nur wenige Worte, die unser allzulanges Stillschweigen endlich einmal unterbrechen sollen. Mir wächst meine Correspondenz unter den Händen ins Ungeheure, und ich muß nothwendig dieß mit Gewaltstreichen ändern, sonst kann ich nicht bestehen. Darunter leiden meine Freunde billig zuerst; und ihr sorgt dann dafür, mir dieß mit Repressalien zu vergelten. Keiner darf übel nehmen.

Vor allem möcht ich gar zu gern daß Du im Herbst nach Berlin kämst. Du wart zwar erst Ostern1 dort, wo ich unseligerweise wieder nicht hinkam. Aber da Du Deine Mutter da hast und ich glaube jetzt auch Deine künftige Schwägerin, so hoffe ich Du kommst doch in jedem Falle hin,um mir den Aufenthalt da etwas zu versüßen. Wir reisen anfangs August durch Franken perge und werden im frühsten Falle Mitte August dort sein, und gewiß bis zu Ende September bleiben, daß Du als dann doch noch den October arbeitsfrei hast. Beseler wird auch auf einige Zeit hinkommen. Ich hoffe Du fehlst uns gewiß nicht!

Warum hast Du mir denn die längst versprochene Abhandlung über Dante nicht geschickt?

In dem Bedürfniß uns in die neueste Geschichte einzubürgern sind wir uns begegnet. Ich habe den Entschluß definitiv gefaßt, dieß zur nächsten Aufgabe meines Fleißes zu machen. Ich spanne alle Segel auf um aus diesem Stoffe etwas zu machen, was mir einige Ehre bringt und der Nation hoffentlich einigen Nutzen. Ich habe ein bewegtes Leben vor mir. Herbst nach Berlin, nächstes Frühjahr wenn nicht der Himmel es anders will nach England, Herbst drauf nach Paris, und im Jahr 1846 wenn es mir irgend möglich ist nach Wien, Constantinopel und Athen, damit ich mich mit der Physiognomie der handelnden Völker, Menschen und Zustände möglichst selbst bekannt mache – das ist ein unruhiges Leben, das aber hoffentlich etwas neuen Reiz in meine Existenz werfen und den Kern meines Thun und Treibens neu stärken wird, um junge Schößlinge zu treiben. Das Schicksal ist mir scheints günstig. Ich habe Gelegenheit gefunden mein Haus zu verkaufen, und bin nun wieder frei.2 Daß ich mich gebunden habe hier Vorlesungen zu halten sehe ich für keinen Zwang an. Man hat mir den Eintritt in die Facultät angeboten, ich ziehe aber vor, als Honorarprofessor nur Eine Vorlesung semesterlich zu halten, wohl auch einmal ganz auszusetzen, und mir den Rücken von Amtsgeschäften ganz ledig zu halten. Ich werde Allem was ich lese die Beziehung auf diese meine Arbeit geben und diese dadurch eher fördern als aufhalten denke ich.

Ich schwankte lange zwischen dieser Arbeit und meiner deutschen Geschichte3. Allein der Stoff ist hier zu groß, als daß man hoffen könnte eine Arbeit machen zu können, die mit einem gegenwärtigen Interesse belebt werden könnte. Bis man vom Anfang zum Ende zu kommen wäre, hätte sich das Bedürfniß vielleicht so geändert, daß man was man anfangs verfolgen möchte zuletzt nicht mehr würde ins Auge fassen dürfen. Vielleicht ist es viel gerathener, später, wenn der politische Blick geschärfter, das Bedürfniß dringender und bestimmter geworden ist, eine ganz kurze Deutsche Geschichte zu geben, die sich rasch in Einem Geiste und Zuge entwerfen läßt. Dafür gibt es die schönste Gelegenheit inzwischen mit Vorlesungen vorzubereiten.

Kann es uns gelingen die Universität hier etwas zu heben, so soll es mich freuen, ihr mich künftig ganz zu widmen. Man wollte Dahlmann rufen, und ich nahm es ihm sehr übel da er nicht kam. Er hätte hier ungemein viel Gutes stiften könne. Man hat auch endlich Lust zu einem Philosophen, und ich habe halbwegs den Auftrag auf dieser Reise Rundfragen zu halten. Es scheint, Rosenkranz möchte und könnte man am liebsten haben. Ich bin gar nicht dafür. Alles was er schreibt wiegt gar zu wenig – was ist das wieder für ein Buch über Deines Vaters Leben! Aber welchen besseren soll man rufen? Faute de mieux wird man wohl doch zu ihm greifen müssen. Weißt Du etwas Besseres?

Ich habe nicht recht Drang Dir viel zu schreiben, weil ich Dich zu sehen fast erwarte. Vielleicht kommt Thöl4 oder Wunderlik5 ein bischen hinüber, das wäre sehr schön! Solltst Du schreiben wollen, so geschäh es wohl am besten nach Berlin, gegen Ende August, etwas durch Grimms die unsre Loosung wohl am ersten erfahren werden.

Grüße die Freunde und ihre Frauen schön von mir; und folge ihnen bald nach, und Deinem emporstrebenden Bruder.

Dein
Gervinus.