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Karl Hegel an Georg Gottfried Gervinus, Berlin, 20. Oktober 1839

Liebster Gervin!

Du wirst nun längst schon in dem lieben Heidelberg und in unserer alten treulichen Wohnung1 eingewohnt sein und Dich einer schönen Muße zum Arbeiten erfreuen, in dessen ich eben in das Schulamt eingetreten, dasselbe auch wie eine drückende Last empfinde, die mich meinen liebsten Arbeiten, und Beschäftigungen entzieht. Es ist das erste Mal in meinem Leben, daß mit das begegnet, und ich glaube nun, meine goldene Freiheit verloren zu haben. Die Gewohnheit muß auch das erträglich machen! ob zu meinem Vortheil, das kann ich nicht beurtheilen, und werde vielleicht erst das Gegentheil einsehen; wenn es zu spät ist, umzukehren. Das drückt mich bisweilen ganz darnieder. O erinner doch jetzt die Zeiten von Heidelberg, wo wir zusammen so frische und kühne Hoffnungen nährten, mit welcher Lust wollte ich dort die Universität ergreifen! und die Verhältnisse hätten mich dort nicht gebunden. Doch wer weiß was der Zukunft einfällt! vielleicht führt mich auch dieser Weg noch zu meinem Besten. Wenn ich nur dessen gewiß wäre.

Leider muß ich mir selbst sagen, daß viel Egoismus bei meiner Unzufriedenheit ist. Ich sollte mit diesem Beruf zufrieden sein, in solchen er mir Gelegenheit gibt, mich für die menschliche Gesellschaft nützlich zu erweisen. Bin ich mir doch gewiß, daß ich an meinem Theil dazu beitrage, den Charakter, das Gemüth und Verstand dieser Jugend zu bilden. An sich sind auch meine Unterrichtsgegenstände nicht so übel – deutsch und französisch in 2 Klassen, wo die Jungen 15-17 jährig sind. – Geschichte wurde mir versprochen, und dann doch nicht gegeben. Doch bei alle dem – !

Meine florentinischen Sachen habe ich liegen lassen müssen, weil ich meine Bücher von Florenz noch nicht erhalten habe. Wer weiß, wie lange sie jetzt noch ruhen werden! Wenn Du wüßtest, mit welchem Eifer ich in Florenz 3 Monate lang da hinterher war, als ob es sich um meine Seele handelte, so kannst Du begreifen, wie mich das schmerzt. Ich habe die Aufgabe erhalten, die zugleich Pflicht der Pietät ist, meines Vaters Philosophie der Geschichte neu zu bearbeiten. Das allein wird mir alle übrige Zeit bis Ostern2 wegnehmen, da das Buch zum großen Theil neu zu schreiben ist. Ich hoffe übrigens, daß es an Inhalt sehr dadurch gewinnen wird, da in meines Vaters Papieren, die Gans aus Flüchtigkeit nicht benutzt hat, noch sehr viel steckt. Ich bin schon vor dem Anfang meiner Schulstunden mit dem Theil von der Reformation bis zum Schluß fertig geworden. Außerdem habe ich jetzt ein Paar Recensionen für die kritischen Jahrbücher geschrieben, die wohl, im nächsten Monat werden gedruckt werden.3 Die eine geht Dich sehr nahe an, da sie über die Historik ist. Ich bin sehr gespannt darauf, wie Du sie aufnehmen wirst. Lob und würdest Du von mir weder annehmen noch erwarten. Ich habe meine Anerkennung ebenso einfach und unumwunden ausgesprochen, als meine abweichende Ansicht. Diese zu begründen und bis zur Überzeugung zu bringen, habe ich mir hauptsächlich um deinetwillen Mühe gegeben. Doch wage ich kaum zu hoffen, daß ich damit zum Ziele kommen werde. Es war mir dann darum zu thun, einen Theil unserer jungen Philosophie gegenüber der Geschichte eine entschiedene und unabhängige Stellung von der Philosophie zu geben, wobei ich glaube, weder der Geschichte noch der Philosophie Etwas vergeben zu haben. An Deiner ächten Geschichtsschreibung habe ich hauptsächlich diesen Standpunkt gefunden, indem ich ihn in seinem Verhältniß zur Philosophie etwas anders auffaßte, als Du. Ich wünsche damit Dir und Deiner historischen Wissenschaft einen Dienst geleistet zu haben, indem ich diese für die einzig ächte zeitgemäße halten muß. Notabene Die dritte Person und Referent, ist in dieser Rezension nicht durch mich, sondern durch das Verlangen der Sozietät hineingekommen,, demgemäß ich mein Ich immer einer dritten Person verwenden mußte. Man will ja objectiv sein!

Wenn die Überzeugung, daß mit Deinem Schreiben unmittelbar für unsre Zeit nicht viel bereitet würde, bei Dir fehlen sollte, so sollte ich Dich nicht zur Unlust, wie Du zuletzt schreibst, am Schreiben überhaupt führen, sondern zu einem wissenschaftlichen Arbeiten im Sinn der ächten und vollendeten Geschichtsschreibung und Du würdest dann, wenn auch vielleicht weniger unmittelbar erwirken, was ja immer so problematisch ist! aber für immer etwas Vollendetes hervorgebracht haben. –

Meine beiden Rezensionen, – die andre über Italien II4 – werden wohl erst im Laufe des Novembers gedruckt werden. – Von Dir habe ich dieser Tage eine neue Auflage der kleinen Schriften gesehen. Wie sind die so schnell abgegangen! etwas hat wohl auch dazu die jetzt ausgelassene Vorrede beigetragen. Ich begreife, warum Du sie ausgelassen. Du schreibst wohl jetzt fleißig am 4ten Bande der Literaturgeschichte, auf den ich sehr erwartungsvoll bin?

Mich freute sehr zu hören, daß Boisserées den Winter nach Heidelberg kommen. Deiner Frau und Dir wünsche ich dazu Glück aus verschiedenen Gründen. Den Boisserée könntest Du als 4ten glücklichen Umstand, der Deiner Literaturgeschichte zu Statten gekommen, hinzufügen. – Aber warum sollte sich kein Verhältniß von Victorien zur lieben Ida machen können? (Ihre die Du mir mit soviel Dampf ankündigst, hatte ich schon früher erfahren.) Du wirst doch nicht schlimmer sein als Jehovah, und an der Braut oder Frau des Dr. Weber die Wissenscha 5 seines Spartanischen Hafens heimsuchen wollen? Ida kann so was Sch nicht gewählt haben. Dazu kenne ich sie zu gut. Du grüßt sie mir ganz recht herzlich und wünschst ihr Glück von meiner Seite, wenn Du sie mal bei Schlosser siehst. –

Den Dönniges habe ich hier aufgesucht und einen recht angenehmen Umgang an ihm gefunden. Er gedenkt Euer mit vieler Anhänglichkeit und wirft sich vor, bisweilen etwas zu hastig gegen Dich gewesen zu sein. Das Klima und der viele Wein, den er mit Dir trinken müsse, habe ihn immer in Hitze gehalten. Er hat Dir seine acta Henrici zugeschickt, schon vor längerer Zeit. Du mußt ihm doch Etwas darauf antworten! – Er hat sich jetzt hier habilitirt und wird in diesem Winter hier anfangen zu lesen – Mittelalter.

Von öffentlichen Dingen hört man hier nichts, als was Du auch aus den Zeitungen wissen wirst. So, daß der Erzbbischof von Posen ausgerissen ist nach Posen, und von dort nach Collberg gebracht worden.

Schreibe mir bald, wie’s Euch in Heidelberg geht, mit wem Ihr lebt, wie’s an der Universität aussieht? Warum ist Nebenius abgetreten und wer hat jetzt das Curatorium? Wird’s besser oder schlimmer damit werden?

Wenn sich der alte Schlosser meiner noch erinnert, so bitte ich auch den zu grüßen. Dir und Deiner lieben Frau wünsche ich immer und fortan das Allerbeste,

Dein unglücklicher
Schulmeister Carl Hegel