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Georg Gottfried Gervinus an Karl Hegel, Darmstadt, im Oktober 1835

Lieber Erich.

Welch ein Ansturm! Sie werden ohne Zweifel glauben Ihr Brief2 sei zu spät gekommen. Und es ist anders. Ich bin am Samstag ganz plötzlich von einem solchen Seitenschmerz überfallen worden mit Fieber perge, daß er mich im buchstäblichen Sinne nicht stehen, nicht sitzen, nicht liegen ließ und mir den Athem fast versetzte. Ich bin heute etwas besser aber fern von gut. Ich hätte verzweifeln mögen daß ich Ihnen nicht einmal irgend Nachricht geben konnte. Nun werd ich Sie wohl um Alles gut zu machen noch in Heidelberg aufsuchen müssen. Leider schiebt mir dieß nun Alles gar sehr auf. Wenn ich wieder hergestellt bin, weiß ich nicht. Es kommt dazu daß meine Mutter krank liegt, mein Bruder sehr gefährlich. Es ist uns doch kein reines Glück gegönnt. Ich fürchte diesen meinen einzigen Bruder werde ich verlieren. Wie bald werde ich hernach mein ganzes Haus verödet sehen; denn ich ahne es daß ein solcher Fall mir Mutter und Vater bald nachziehen wird. Sie können denken daß mir die hiesigen Tage viel Schatten auf meine frohe Reise werfen.

Nächstens mündliche oder falls es sich hinausschiebt schriftliche Antwort auf Ihren Brief. Gladbach grüßt; er schreibt Ihnen den fertigen Gudrungesang zum Andenken fertig ab. Ich sende ihn sobald er fertig ist, und bitte um Ihr schärfstes Urtheil; komme ich später nach, so geben Sie mirs ganz motivirt und umständlich. Sie müssen aber immer dabei im Auge haben, daß es nur der erste harmonisierte Entwurf ist, um die Form vor Allem sicher zu stellen, und daß außerdem was ich von deutscher Seele hineingelegt zu haben meine, nun auch noch nachträglich altdeutsche Culturfarbe darüber gestrichen wird, was das scharf-Nachgehende mildern wird.

Nichts für ungut. Ich darf mich wohl für entschuldigt halten? Wie soll ich Ihnen die ausgestandene Langweile und Täuschung vergüten?

Ihr
Gervinus