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Karl Hegel an Georg Gottfried Gervinus, Henfenfeld bei Nürnberg, 30. Juli 1838

Lieber Gervin!

Als ich am 27ten dieses Monats in Nürnberg eintraf, fand ich schon einen Brief von Dir vor1, welcher mit bitteren Vorwürfen über mein längeres Ausbleiben angefüllt ist. Mein Reiseplan war freilich auf ein längeres Zusammensein mit Dir in Rom und eine Rückreise in Anfang des nächsten Sommers berechnet; statt dessen schreibst Du jetzt vom Abreisen im Januar oder gar im Dezember. Du lieber Gott! was für ein Teufel steckt Dir denn schon wieder im Leibe, daß Du es in Italien auch nicht aushältst? ein sehr unruhiger, scheint’s. Was treibt Dich denn zur Reise im Winter? um auch den deutschen Winter zu genießen? Es wäre gar nicht zu entschuldigen, geschweige zu rechtfertigen, Einen Fall ausgenommen; weil aber dieser gerade eingetreten sein könnte, so verliere ich einstweilen keine Worte weiter darüber, und will selbst zusehen, was es ist. – Wie unfreundlich aber sind Deine weiteren Drohungen! wenn ich im September nicht bei Zeiten komme, so willst Du nach Rom reisen und mich dann sitzen lassen, wo ich will. Du hättest mir schon auch etwas nachgeben können, wenn ich auch glauben will, daß Deine Vorschläge für mein eigenes Beste berechnet sind. – Bei allem diesen hat mich aber doch Dein Brief zur schnelleren Reise angetrieben. Dazu half auch ein gleichzeitiger Brief von Wunderlich2, der mich in die Schweiz begleiten will, dieses aber nur kann, in der ersten Hälfte des August. Auch ist mir lieb, daß ich noch vor dem Krönungsspektakel nach Mailand komme. – So werde ich dann mich Dir willfährig beweisen, und Anfang September in Neapel erscheinen, nämlich mit dem Dampfschiff, welches von Genua am 2 September (?) abgeht; dagegen hoffe ich auch von Dir bei Gelegenheit eine ähnliche freundliche Nachsichtigkeit. –

Was soll ich auf den sonderbaren Vorschlag in einem sonderlichen P.S. Deines Briefes, die Fr. Schulz3 mitzubringen, sagen? – wenn ich ein galanter Mensch wäre, sagst Du, – nein, galant wie ein Franzose oder Italiener bin ich nicht. Aber wäre ich’s auch, so kann ich nicht glauben, daß die Schulz auf einen Vorschlag solcher Art eingehen würde. Dennoch machte ich ihn, wüßte ich, daß Euch ein sehr großer Gefallen damit geschähe; denn, warum habt Ihr selbst sie nicht mitgenommen? Doch muß ich glauben, daß es Victorien sehr lieb wäre, sie bei sich zu haben; aber warum hat sie selbst das P.S. nicht geschrieben? ich glaube, weil sie den Vorschlag für die Schulz für unanständig gehalten hat. Aber selbst, wenn ich wollte, könnte ich nicht; wenigstens könnte ich nicht eher mit ihr sein, als in Mailand oder in Genua. Kann sie denn Fußreisen mit mir und Wunderlich in der Schweiz machen wollen? Was es übrigens heißt, mit Frauenzimmern reisen, das habe ich jetzt eben erst gesehen. Acht Tage lang wurde in Berlin die Abreise von einem Tag zum andern verschoben und dann noch wurde die Freundin meiner Mutter in Weimar krank; wir mußten 3 Tage in Weimar liegen bleiben, und blieben so 9 Tage unterwegs. – Doch will ich nicht verschweigen, daß mir dieser Aufenthalt in Weimar in anderer Weise wieder zu gute kam, denn ich benutze ihn zu einer Fahrt nach Jena, wo Dahlmann’s noch nicht lange von Kissingen zurückgekommen waren. Das hatte mir Jacob Grimm gesagt, den ich in der Nacht in Naumburg auf der Post einen Augenblick sprach. Er war in Leipzig gewesen, um dort das Terrain zu recognosciren, und ging nun eben Dahlmanns in Jena zu besuchen. Die traf ich also da zusammen und verlebte einen Mittag und Nachmittag mit ihnen. Dahlmann erschien mir durch das Unglück, welches das Land, ihn und seiner Familie betroffen, gehobener, edler, größer. Er spricht ohne Grimm und ohne Heftigkeit, ja sogar mit Ruhe undMäßigung über das kürzlich Vergangene. Die Hannöverischen Angelegenheiten, welche nun, wie Du schon wissen wirst, bis zum Siege der Opposition in der 2ten Kammer, zur Vertagung derselben, dann zur Eingabe einer Protestation an den Deutschen Bund von Seiten der siegreichen Opposition gediehen sind – haben in diesem Fortschritt alle seine Erwartungen übertroffen. Was ihn an der Seele nagt, ist die Bekümmerniß, vielleicht selbst Noth, und das unstete Leben mit seiner Familie. Doch erträgt’s die Frau mit Fassung; leidet wie immer an den Nerven, an Kopfweh, er an Heiserkeit. Das Bad in Kissingen hatte nichts geholfen. Dorothea (auch Hermann) ist nachdenklich geworden; es läßt ihr recht gut, das schnippische Wesen ist ganz weg. Dahlmann hofft nichts für sich von Sachsen mehr; im Herbst will er nach beck, die dänische Geschichte zu bearbeiten. Ich war durch den Besuch entzückt, gestärkt, erhoben; wie wenn man etwas Großes angeschaut hat. Jacob Grimm geht nach Cassel, um sich mit seinem Bruder Wilhelm dort zu vereinigen. Auch sie scheinen Leipzig aufgegeben zu haben. Basel ist für Dahlmann auch nicht verloren, wie Du meinst. Er kann es noch jeden Tag annehmen; doch hält er es nicht für gut Deutschland zu verlassen; er will die Ereignisse abwarten, und seine Anwesenheit war bisher nicht ohne Einfluß auf dieselben. Von Dorotheen bring ich Victorien einen Brief mit, Dir von Beseler. An Dahlmann dürftest Du wahrhaftig mal schreiben; ich bringe Dir von ihm seine Schrift mit; auch die von Grimm und die neuste von Ewald sollst Du haben. Deine Vorrede ist jetzt eben mit den vermischten Schriften angekommen; ich sah sie zuerst in Weimar. Dahlmann glaubt dasselbe von Dir, was Du von ihm; daß es nach dieser Vorrede Dir unter Allen am schwersten werden möchte, in Deutschland wieder festen Fuß zu fassen. – Ueber das Uebrige, was Dein Brief enthält, sprechen wir ausführlicher miteinander. Du schüttest eben, wie häufig, das Kind mit dem Bade aus. Wollt ihr an die Frau Schulz schreiben, daß sie mich in den letzten Tagen des August in Genua pensione Svizzera erwarten dürfe; von wo ich sie dann nach Neapel bringen würde, so ist das Alles, was ich thun kann. –

Auch von Dir würde ich um diese Zeit gern einen Brief in Genua antreffen, worin Du mir sagst, wo ich Dich finde; wohin in welches Gasthaus ich mich zuerst wenden soll, wenn ich ans Land steige – meinen besten Gruß an Victorie.

Auf ein baldiges Wiedersehen.
Dein Hegel