Weiß Gott, ich bin in Eurem Göttingen zuletzt so zu Hause gewesen, daß es mir beim Weggehn war, als ob ich von der Heimat schiede! Dein Haus1 freilich war ganz verlassen, und es schien mir, als wenn ich meinen Aufenthalt in Göttingen überlebte, wenn ich länger geblieben wäre, obwohl der freundlichen Nöthigung meiner hochgeschätzten Freundin, der Frau Dahlmann, kaum zu widerstehn war. Auch würde es mir schwer geworden sein, mich von ihr und dem Dahlmannschen Hause, von Beseler und den übrigen Freunden, die mir das Geleit gaben, zu trennen, wenn ich mich nicht selbst mit dem Versprechen getröstet hätte, im nächsten Sommer wiederzukommen; da Beseler seinerseits gelobte, mich nächstes Ostern2 oder Michaelis in Berlin zu besuchen.
Für Deine gastfreie Aufnahme sage ich Dir und Deiner lieben Frau den herzlichsten Dank und wünsche nur, daß ich einst selbst in den Fall kommen möchte, Dir mit Gleichem zu erwiedern. Die neidische Gottheit wollte nicht, daß ich den Gipfel der Freude in unsrem Zusammensein genießen sollte, denn erst entzog sie uns Deine Frau, dann Dich selbst. Doch will ich nicht mich beklagen, da ich des Guten bei Dir so viel genossen habe, und das Resultat der Reise für mich durchaus glücklich gewesen ist, aber Dich beklage ich, daß eine so traurige Veranlassung Dich uns entriß. Ich vermuthe, daß ein Brief am Morgen nach Deiner Abreise die Todesnachricht enthalten hat, und daß Du Deinen Vater schon unter der Erde getroffen hast. Du hast Härteres ertragen und wirst auch dies mit Deiner gewohnten, und wahrhaftig ! geübten Seelenstärke ertragen. – Möchte Dir nur im nächsten Sommer eine recht gründliche Erholung von all Deiner Arbeit, Anstrengung, Mißgeschick und körperlichem Unbehagen gegönnt sein! Das will ich zu Gott hoffen.
Ich meinerseits finde mich durchaus erfrischt und geistig-elastisch, und greife alle meine Arbeiten mit besserem Muthe an, als vorher. Die historische Betrachtungsweise der Dinge und das nationale Interesse sind zwei große Dinge, die ich gestehe meist Dir zu verdanken zu haben. Die Fruchtbarkeit der erstern für neue Ideen und für Erforschung auch des Wesens der Dinge ist mir aus unsern Unterhaltungen, besonders aus der letzten über die lyrische Poёsie, so wie aus Deinem Buche immer deutlicher geworden. Ich werde suchen mir davon so viel anzueignen, als sich mit meiner Natur und mit meinem Zwecke verträgt. – Als letztes Ziel meiner Bestrebungen fasse ich immer bestimmter ins Auge, die deutsch-nationale Erziehung am Alterthum. Du bist mit mir einverstanden, daß die ersten und letzten Lebensresultate sich nirgends reiner als aus den Alten entnehmen lassen, und daß ihre Werke uns die Norm abzugeben haben für Alles, was schön, wahr und groß unter den Menschen genannt und dafür gerühmt werden soll. So wird dann die Philologie für mich nimmer Linguistik und Kram der Gelehrsamkeit sein, sondern Wissenschaft und praktische Lehre von dem am höchsten und schönsten Menschlichen. Denn wir müssen die Blicke jetzt wieder rückwärts wenden, wie die Alten auf ein goldenes Zeitalter, wir müssen die Vergangenheit fruchtbar machen für die Zukunft. Meine Hoffnungen auf diese sind in dieser Zeit mit meinem Selbstvertrauen gewachsen; ich glaube man hofft mehr, je kräftiger man ist zur That. Es gab eine Zeit, wo ich meinte, es habe sich die Menschheit in Kunst, Geschichte und politischem Leben abgelebt, und in der Speculation sei noch Befriedigung für den Geist zu finden. Damals fühlte ich mich matt und elend in jeder Beziehung.
Wie ich hierher zurückkam, sah ich ein Bild, von Kaulbach aus München, beim Grafen Raczinsky. Es stellt die Hunnenschlacht dar, wie nach der Sage die Geister der gebliebenen Römer und Hunnen auf dem Schlachtfeld in der Nähe von Rom nächtlich ihre Kämpfe immer wieder erneuern. Denn nur die Heerführer, Attila und der römische Kaiser blieben lebend. – Auf dem Bilde, welches die Figuren in Lebensgröße darstellt, ist Rom im Hintergrunde.
Die Geister der Römer erheben sich in geordneten Schaaren, gewaffnet, in schönen Formen, voran der Kaiser getragen von seinen beiden Söhnen3; ihnen gegenüber die Hunnen und Deutschen, unordentlich herbeikommend, mit trotzig kräftigem Ausdruck. Vorne Attila, die Geißel in der Hand, auf einem Schilde getragen, stehend, in der Bewegung einer begeisterten Aufforderung zum Kampf, in der Mitte etwas tiefer ist ein Theil schon im wüthenden Kampfe begriffen und angstvoll zuschauende Frauen, und Streiter, die aber aus dem Todesschlafe erwachen. – Die Ausführung dieses Bildes ist so groß, wie ich nichts Großartigeres von neurer Kunst gesehen habe. Das Widersinnige des Gegenstandes wird durch die Kunst hier zur Wahrheit, und man glaubt an die Möglichkeit desselben, wenn man es sieht. Ich frage nicht, woher hat der Künstler die Schönheit der Formen und Gestalten, aber woher diesen Reichthum der Charaktere und des Ausdrucks, diese gewaltige Handlung, wovon ihm die Wirklichkeit das Bild nirgends darzubieten scheint? Es kann dies nur aus einer urkräftigen Phantasie sein, welche dem Leben die Gestalten vorbildet, wie im Homer die griechische Welt im Keime liegt.
Ich glaube nun, wie sonst nie, an eine herrliche Entwicklung einer neuen deutschen Kunst und deutschen Lebens; so wie Deine historischen Bestrebungen mich zum Glauben an eine andre neue Wissenschaft, die fruchtbar wäre für das Leben, geführt haben. Jede bedeutende Erscheinung ist weissagend für die Zukunft und was für eine künftige Zeit unfruchtbar ist, hat den Keim der Vergänglichkeit in sich. So unsre jetzige deutsche Littertur. In ihr scheint alles Bewußtsein von einem ästhetischen Charakter verloren gegangen zu sein, so daß wir Deutsche jetzt weder einen politischen noch ästhetischen aufzuweisen hätten.
Ich hoffe, daß Dein Werk4, wenn irgend etwas, uns wenigstens das Bewußtsein von dem Einen zurückführen dürfte. Wir Deutsche sollen entweder recht hoch stehen oder recht tief sinken, hast Du glaub’ ich irgendwo gesagt. Dieser Laube, der Deinen Buchhändler um die Aushängebogen des 3ten Bandes gebeten hat, ist damit beschäftigt, wie ich höre, eine Deutsche Literaturgeschichte zu schreiben, das heißt, er wird Dein Buch excerpiren und seine pikante Sauce darüber gießen. Es ist bei diesem Menschen und seines Gleichen, die jetzt Sturmführer Deutscher Literatur sein wollen, eine solche Frivolität der Gesinnung, eine solche Hohlheit und Mangel an Ernst, ein solches Schillern mit einer pikanten Ausdrucksweise, ein so dreistes Lügen, daß man sich lächerlich machen würde, wenn man, diesem Wesen etwas Andres als die leere Verachtung entgegensetzen wollte. Wollte man mit der Faust drauf schlagen, so würden sie wie glatte Aale drunter weggleiten. – Zu dieser Ueberlegung bin ich gekommen, nachdem ich das lügenhafte Geschmiere dieses Menschen, worin er meinem Vater seine Anerkennung zollen will, selbst gelesen habe: das Einzelne davon hatte mich dem Inhalte nach tief empört, das Ganze, wie es da ist, kann ich billig verachten, denn es trägt sein Schandmaal selbst an der Stirne. –
Nun aber höre noch etwas Neues, das mich betrifft, und meinen Lebensplänen eine ganz neue Wendung zu geben scheint. Ich erhielt in diesen Tagen den Antrag eine Erzieherstelle zu übernehmen bei einem jungen reichen Majoratsherrn, den ich demnächst auf die Universität zu bringen, dann seine Studien zu leiten hätte, um nach Vollendung derselben mit ihm zu reisen. Die weitern Anerbietungen sind vorerst nur allgemein, aber so glänzend, wie möglich, gestellt (es ist von einer Sicherstellung für das ganze Leben die Rede). Ich gestehe, daß diese Aussichten für mich reizend genug sind; außerdem daß ich noch Zeit und Freiheit für meine Studien gewönne, so daß ich mich unmittelbar für die Universität vorbereiten würde. Ich würde die Hoffnung fassen, wieder auf längere Zeit mit Dir zusammenzusein, und was alles für Pläne sich noch daran anschließen. Nichts Lieberes könnte ich mir jetzt denken, als ein solches Verhältniß zu einem jungen Mann, der ganz frei gestellt ist, dem es nicht um ein bestimmtes Fachstudium zu thun ist, sondern um freie menschliche Ausbildung, dem ich das Beste, was ich habe, mittheilen, den ich zu den lautersten Quellen des Schönen und Wahren führen könnte. Die große Frage dabei ist der Charakter des jungen Mannes selbst, sein Geist und Verstand, ob dieser bildsam und fähig genug wäre. Dann habe ich zu bedenken, daß ich mich auf fünf bis sechs Jahre binden und meine bisherige gänzliche Unabhängigkeit aufgeben würde.
Ich bitte Dich, mir Deine Meinung darüber und Deine Erfahrungen in dieser Beziehung mitzutheilen.
Ich will hier meinen Brief schließen, damit er Dir nicht zu lang werde, und Dich nicht zu lang aufhalte von der Arbeit, wenn Du ihn morgens beim Frühstück erhältst. Nur dies soll Deine Frau noch lesen, daß mein Freund Maler Xeller, genannt Cosimo, ein alter Hausfreund in ihrem elterlichen Hause gewesen ist in Heidelberg, und da außerdem meine Mutter ihrer Schwester Pathin gewesen ist, so glaube ich hinreichende Titel zu haben zu meinen Ansprüchen auf ein bischen Liebe von ihr (ich meine nur so viel wenig als Du abgeben magst). Dahlmann’s grüße; bei Frau Dahlmann denke ich mich bald selbst durch einen Brief in Erinnerung zu bringen. Wunderlich grüße, sein Bruder war bei mir; auch Carriere schon ein paar Mal.