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Karl Hegel an Georg Gottfried Gervinus, Berlin, 25. November 1837

Lieber Gervin!

So eben höre ich von Hotho, daß Du mit sechs andern ehrenhaften Leuten der Universität gegen die despotischen Patente Eures Tyrannen eine mannhafte Protestation habt ergehen lassen. Nachdem ich ein Glas Wein auf Euer Wohlergehen mit ihm geleert habe, weiß ich mich in meiner Freude an keinen Andern lieber zu wenden, als an Dich selbst. Ich bin ein Esel, daß ich nichts vorher wußte, daß Ihr so handeln würdet, und daß mir die Nachricht so überraschend kommen mußte. Du hast Deiner ganz würdig gehandelt. Doch was brauche ich Dir das zu sagen! Ich möchte Dich umarmen, lieber Mensch, und darüber jubeln, daß Du mein Freund bist. Wie hättest auch Du, wie hätte Dahlmann länger ruhig zusehen können, daß ein einzelner Mensch mit seinem Willen meint, über Nacht das Grundgesetz eines Staats umstürzen zu können! und daß andre Nationen ein Recht gehabt hätten, uns zu verachten, wenn wir solchen Umfang geduldig ertrügen!

Denn wir, alle Deutsche, hätten den Schimpf davon tragen müssen. Aber Schimpf und Schande und Verachtung über den, der noch hinter Euch zurückbleibt, der sich nicht Eurer Erklärung anschließt. Ist denn noch Einer zurückgeblieben? sind es wirklich nur sieben? werden denn die Andern nicht schamroth, wenn sie Euch sehen? oder verkriechen sie sich aus Furcht ganz in ihre Nester? In Froschpfuhl mit diesem egoistischen Volk! Ihr seid weder warm, noch kalt, sondern lau, drum speie ich auch aus, heißt’s in der Schrift von solchen.1Wolan, wir wollen sehen, was kommt. Ihr seid auf alles gefaßt! Vielleicht ist dies ein kleiner Anfang zu großen Dingen „Oft große Flamm’ aus Fünklein kam, Staht schon im Lauf, drum setz ich drauf, mag gehen oder brechen.“2
Das Resultat wird von der ungeheuersten Wichtigkeit sein für die ganze Zukunft; denn die Frage ist jetzt wiederum: Wird die rohe Gewalt und der knechtische Anhang, der ihr folgt, gesetzgebend sein oder die öffentliche Meinung? wird die Stimme der Rechtlichkeit und bürgerlichen Tugend, von wenigen geachteten Männern laut geworden nicht die schwerfällige Masse des Volks in Bewegung setzen und beleben? thut sie es, dann wird dies Beispiel von eminenter Wichtigkeit sein für alle deutschen Staaten; thut sie es nicht, dann noch von größerer, und höchst verderblicher Wirkung. Denn Wehe der Deutschen Nation, Wehe den deutschen Universitäten, die noch die letzte Zuflucht einer durch Gelehrsamkeitsballast verkümmerten Intelligenz waren! Die Folgen auf beiden Seiten des Ausschlags sind unberechenbar. Die gute Sache muß endlich doch siegen, das hoffe ich von Gott und vom Menschengeiste. Und wir leben auch nicht mehr in den Zeiten des Constanzer Concil’s. Heut zu Tage kann auch die Gewalt Euch nicht des Unrechts zeihen, wo Ihr so offenbar das Recht auf Eurer Seite habt. Der beste Theil der Nation zeugt für Euch, und schon im Voraus haben die deutschen Ständeversammlungen Zeugniß für Euch abgelegt. Der Bundestag muß endlich zeigen, ob er eine Maske der Gewalt und der Unterdrückung ist, oder ob es ihm darum zu thun ist, auch nur das Bestehende, wie es besteht, aufrecht zu erhalten. –

Ich preise Dich glücklich, lieber Freund, und beneide Dich wegen des herrlichen Ruhm’s, unter den Verfechtern des Rechts und der Freiheit zu stehen, in einer Sache, welche die ganze Nation im höchsten Grade interessirt, und von der ihr Wohl und Weh zum Theil mit abhängen wird.

Ich bin höchst ungeduldig, das Nähere darüber von Dir zu hören. Ich weiß noch nicht immer die Namen aller Sieben: Du, Dahlmann, Grimms, Ewald, Weber sind sechs; ist Berthold nicht der Siebente3? In welcher Weise ist die Protestation geschehen? an wen? Durch die lumpigen Zeitungen wird das Publicum wenig davon erfahren, und doch läge Alles daran, die Sache recht publik zu machen. Ich will das Meinige dazu thun, daß man hier überall erfährt, was nöthig ist.

Ich bin im Augenblicke nicht recht aufgelegt, über die Italiänische Reise mich mit Dir zu verständigen. Auch Dir wird sie in den Hintergrund getreten sein bei dem überwiegenden, momentanen Interesse: und Du würdest sie auch mit Freuden überhaupt aufgeben, wenn Deine Gegenwart hier nöthig wäre. So wirst Du Dich auch nicht wundern, wenn mir das Wichtigere voran geht; Du wirst nicht wollen, daß ich mein Leben in Unbestimmtheit verpfusche und mich bald da bald dorthin verleiten lasse. In diesem Fall ist die Versuchung für mich groß genug; eine Italiänische Reise in so lieber Gesellschaft ist das Reizendste, was mir jetzt überhaupt geboten werden kann, bedeutende äußere Hindernisse sind auch nicht vorhanden, ich würde gern (wie könnte ich es besser anwenden?) einen dritten Theil meines kleinen Vermögens dran wenden. Da es mir aber nicht das Höchste ist, süß und angenehm zu leben, sondern etwas im Leben auszurichten und der Menschheit meinen auch noch so kleinen Tribut zu zahlen, da ferner die besten Lebensjahre knapp bemessen sind; so muß ich diese schicklich und klug einzutheilen wissen. Ich käme mir sonst vor, wie Einer der seine Trümpfe zu früh ausspielte und das Spiel drüber verlöre. Wenn Du meine Verhältnisse bedenkst, so mußt Du dies selbst finden und es bedarf keiner langen Auseinandersetzung. Dagegen was Dich betrifft, auch wenn Du einer körperlichen Erholung nicht bedürftig wärst, finde ich nichts vernünftiger, als daß Du diese Reise unternimmst, welche herrliche Früchte Deiner Arbeiten in Dir zeitigen und zur Vollendung bringen wird. Für mich würde die Anregung ungeheuer sein und ich wüßte nicht, wozu? Die allgemein geistige Anregung, die ich erhielte, würde in keinem Verhältniß stehen zu den dürftigen besondern Beschäftigungen, die ich gleich drauf wieder vornehmen müßte. Laß mich das Alles erst hier abthun. Bin ich erst Herr meines ganzen Materials, übersehe ich das Alterthum dem Stoffe nach, dann will ich nach Italien, um Behandlung und Form für irgend etwas Eignes mir in der Anschauung des Schönen zu gewinnen, – und vielleicht fehlst Du mir dann auch nicht.

Der Frau Dahlmann habe ich geschrieben, daß es mit der Erzieherstelle nichts ist. Meine schönen Vorsätze, lebhaft ergriffen, sind wie Seifenblasen zerronnen.

À propos, weißt Du um die Händeln, die Preußen jetzt mit dem Erzbischoff von Cölln, Drost von Vischering, hat. Der eifrige Pfaffe hat sich ohne Mitwissen der Regierung eine päbstliche Bulle gegen die Hermesianer ausgewirkt. Dafür soll er des Hochverrath’s angeschuldigt und arretirt sein. Ein energisches Einschreiten gegen die wiederholten Anmaßungen der katholischen Klerisei in den Rheinlanden, wäre endlich sehr wünschenswerth. –

Halte Dich wacker, grüße mir Dein liebes Menschchen (den versprochenen Brief schrieb ich ihm nicht) und meinen trefflichen Gladbach, auf dessen Hierherkunft ich mich sehr freue
Dein
Hegel

Postscriptum Mein Brief ist 2 Tage liegen geblieben, weil ich noch auf Bescheid von der Bibliothek wegen des Muntaner4 wartete. Derselbe ist im Original auf der hiesigen Bibliothek nicht vorhanden, wie Du auf beiliegender Karte erfährst.

Der Skandal mit dem Erzbischoff von Cölln ist indeß durch die Zeitungen bekannt geworden.5