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Georg Gottfried Gervinus an Karl Hegel, Darmstadt, 8. Februar 1836

Lieber Hegel.

Ich habe noch keine Antwort von Ihnen auf meine letzte Zusendung, es drängt mich aber Ihnen zu schreiben, da ich nun bald auf meine Abreise denken, die nun wirklich scheint es vor sich gehen wird ohne daß ich in Heidelberg war. Sie können denken, daß ich weder große Lust habe, von hier wegzugehen, wo mich nun die heiligsten Pflichten halten so lange es geht, noch auch besonders daß ich große Lust habe nach Heidelberg grade zu kommen, wo mich doch mancher sauere Besuch erwartete neben dem Schöneren, was ich wohl gerne noch mitgenommen hätte. Wäre es nicht gar so viel verlangt, so schlüge ich Ihnen noch ein rendez-vous in Heppenheim vor, wo ich Sie doch ohne Zugabe hätte, allein der Einmal Getäuschte läßt sich nicht gern wieder täuschen, und dann sind freilich auch die Stunden so spärlich die man da hätte. Schöner wärs wenn Ihre Heimreise Sie über Göttingen führen könnte, und darauf sollten Sie denken. Ist Alles nicht so lassen Sie uns auf eine wenn nicht häufige so doch regelmäßige Correspondenz denken. Wir haben ein Jahr zusammen verlebt, was wohl hinreichenden Stoff für unverlorene Mittheilungen geben kann, nur müssen Sie nicht so anfangen wie neulich daß Sie Ihre Selbstbekenntnisse an der interessanten Stelle abbrechen, in der Voraussetzung, daß sie mir nicht von viel Interesse sein könnten. Ich wüßte nicht was mir von ähnlicher Bedeutung sein könnte in irgend einer Correspondenz, mögen Sie auch immer diese Theilnahme vielleicht auf die Rechnung der Eitelkeit setzen. Sie sagen mir es nun selbst, daß ich nicht ohne Einfluß auf Ihre Conversion gewesen bin. Eine Umwälzung in dem Inneren eines Menschen, wie ich sie nicht sonst erlebt habe, es müßte denn deren in mir selbst sein, was mir dann das Interesse daran nur verdoppeln könnte. Ich bin nicht eitel genug zu glauben daß ich hauptsächlich, wie Sie sagen, Theil an dieser Veränderung habe; Schlosser, Beseler, der ganze Kreis1 des süddeutschen Lebens haben hier gewiß das viel wesentlichere gethan. Und was die Einzelnen dabei gethan haben, das war gewiß weit minder unser Wissen, unser Lehren und Schicken2, sondern es war das Glück und Gelingen, das Sie unsere Bestrebungen begleiten sahen, die Gemüthsruhe, die es uns gab, die sichere Heiterkeit mit der wir ungeirrt unsern Weg gingen, und daß ich es gestehe, wo ich ja einen Prüfstein an eines Menschen Thun und Treiben lege, weiß ich keinen beßern, als eben diesen, ob er zufrieden ist oder nicht; und so deuten Sie mir auch an, daß Ihre Unbefriedigtheit in sich noch weit mehr den Anstoß zu Ihrem neuen Leben gab, als es irgend eine äußere Influenz gekonnt hätte. Sie dürfen Ihrer guten Natur danken, daß Sie nicht wie so viele junge Leute bis dahin kamen, daß Sie in jenen Zwiespalt, in jener Unbefriedigtheit, in jenem Schwanken zwischen Ueberhebung und Versinkung ein Glück, und wenn nicht ein Glück, so doch eine Bedeutung, ein Großes, fanden. Es war ein zarter Punkt mit Ihnen grade über diese hochwichtigen Dinge zu reden, und es war mir immer eine rechte Beruhigung zu sehen, wie Sie sich ganz selbst überlassen im Stillen Alles hübsch zurechtlegten, sich dem neuen Wege stets lieber hingaben, die Gelegenheit immer besser kennen und benutzen lernten, und wie Sie dieß Alles zwar nicht ohne Kämpfe, aber doch ohne zu lang störende Kämpfe durch machten. Auch in Ihrem neulichen Briefe finde ich, daß Sie die Gegensätze Ihres früheren und jetzigen Treibens scharf und bestimmt fassen und so ist mir über Ihr Fortschreiten in keiner Weise bang. Was allerdings die größte Beruhigung giebt, ist, daß Sie grade auf die Philologie gefallen sind. Die Alten werden Sie mehr und mehr fesseln, und wer sie einmal durchgemacht hat, der ist für das Praktische, wie wir unsre Richtung aufs Leben allgemein nennen wollen, immer gewonnen. Wahrhaftig, dieser Richtung auch nur Einen Jünger auch unter vielen Mitwirkenden als der unbedeutendste gewonnen zu haben, greife ich als einen der schönsten Belehrungen, die mir werden könnte, und sie entschädigte für manchen Mismuth über verlorene Bestrebungen. Wenn Sie einmal erst über die Qualen des Examens hinaus sind, so freue ich mich auf freiere Mittheilung von Ihnen. Daß Sie der Philologie treu bleiben werden, bezweifle ich nicht, ob Sie nun auf Universität oder Gymnasium wirken willen, scheint mir fast gleich. Sie treffen auch in Ihrer Studienart gewiß die richtigste Methode. Das hatte der alte Voß immer gesagt: lesen Sie die Alten und lassen Sie alle Commentare liegen. Was Ihnen mit Pindor3 begegnet ist, hab ich Ihnen dünkt mir voraus gesagt. Daß Sie auf die Humboldische Ode4 gestoßen sind, freut mich sehr und ich stimme herzlich in Ihre Empfindungen daran. So wird Sie auch die Übersetzung des Agamemnon mit der Einleitung besser als Alles in den Aeschylus5 führen, und übrigens auch die warme Übersetzung des jungen Voß. Lassen Sie mich doch von Zeit zu Zeit ja wissen, was Sie Alles lesen und wie Sie es thun. Sie machen mir Freude mit manchen, woran Sie nicht denken, z. B. mit Ihren Versuchen im Aeschylus, sich nicht mit dem griechischem Begriffe zu begnügen sondern dafür den deutschen Ausdruck zu gewinnen. Es erinnert mich dergleichen an meine eigne erste Lectüre dieser Dinge und es ist gewiß das Wahre. Ich habe sogar einzelne Stellen mir practisch übersetzt und ganze Stücke zu übersetzen unternommen, und hab ich dergleichen zwar nie durchgeführt, so hat mich doch die drangewendete Mühe nie gereut.

Ich schriebe gerne mehr und besser, allein ich fühle mich noch gar matt, und liege indem ich dieß schreibe noch zu Bette. Ich eile auch jetzt von hier weg, weil ich nicht hoffen kann, in diesem Hause unter diesen psychischen Einflüssen gesund zu werden. Meine Umgebung sieht das ein und läßt mich gehen. Ich werde wohl Donnerstag6 oder Freitag7 abreisen und vorerst noch etwa 8 Tage in Frankfurt bleiben, wo mich ein freundlicher Kreis pflegen wird, bis ich ganz hergestellt bin. Schreiben Sie mir noch innerhalb dieser Woche hierher oder in der nächsten nach Frankfurt unter Adresse des Professor Hessemer. Später geb ich weitere Nachricht. Sind Sie ja in Zweifel, so schicken Sie nur Briefe nach Darmstadt, von da finden sie mich immer. Bestellen Sie doch bei dem Briefträger für alle Zukunft, daß er Alles nach Darmstadt gehen läßt; und sagen Sie doch das auch dem Buchhändler Winter, er solle bis Ostern8 dasselbe thun. (laßens ihm sagen durch Schottler.)

Herzlichst
Ihr
Gervinus.

P. S. Sie könnten mir den rechten Gefallen thun wenn Sie den Gudrungesang dem Beseler auf ein Paar Tage schicken wollten, ich hätte zu gerne seine Meinung.

Grüßen Sie Baumstark und Muth und Thibaut schön. Letzter soll meine Fata9 sein Vater sagen10 und mich entschuldigen.