Da ich weiß daß Sie sich so theilnehmend für meine „Victoriensache“, wie es Frau Dahlmann nennt, interessiren, so will ich Ihnen (auch weil Sie es überdieß verlangen) sagen, daß ich nun alle Ursache habe, auf den besten Ausgang zu hoffen, und daß ich – wie es Schwester Margrete nennt – immer nur Geister sehe. Victorie schreibt mir wieder; sie schreibt wirklich mit Einwilligung des Onkels2 und ohne einen Gedanken an eine Änderung in unserem Glücke. Vetter Edmund3, der Advocat, fordert sogar auf, ich solle kräftig gegen den Vormund bei der Obervormundschaft Klage führen, ich könne ihn gerichtlich zur Einwilligung zwingen. Ich will nichts übereilen und mir erst persönlich festen Fuß fassen; aber dann könnte mich mein antiker talionischer Sinn verführen, dem Pfarrer jeden Streich zu spielen, wenn er sich nicht ganz gutwillig fügt. Meine Victorie blüht in Wohlgefühl und Glück auf, daß es mich bis hier durchdringt; im Hause dort denkt man nicht allein das beste von mir, man erwartet sogar meinen Besuch und meine Briefe im Interesse für Victorie, man macht unter den Cousinen Plane4, wie man uns die Zeit meines Daseins hübsch bräutlich einrichtet und die Zusammenkünfte unter 4 Augen fördert. Kurz hier hab ich schon festen Fuß, scheint es, und ich will nun auch nicht länger säumen als grade nöthig ist, um nach Osnabrück und H.5 zu kommen. Beseler wird sich noch freuen. Daß Sie mir von ihm nicht bald einen Brief nachschicken konnten wundert mich. Der Brief aus Hannover war von Stralenheim+ hannoverscher Minister.; noch kein Decret dabei. Auch dieser Brief höchst ehrenvoll und freundlich.
Ans Arbeiten bin ich noch nicht viel gekommen. Auch hab ich noch keine Antwort von Engelmann, die mich erst mehr treiben wird. Sie bringen wohl stille Tage hin jetzt?
Sein Sie herzlich gegrüßt und lassen Sie von sich hören. Sie werden oft Gelegenheit haben.
Ihr Gervin.
1Mit Bleistift auf unterem Briefrand linksbündig ergänzt. 2Onkel mütterlicherseits in Osnabrück, ein weiterer lebte in Hamburg, vgl. dazu sowie zum gesamten Kontext hier: Gervinus, Leben, S. 300 ff.3Wohl ein Cousin der oder des Verlobten. 4Wohl „Pläne“ gemeint. 5Vermutlich aufgrund des Kontextes zu schließen: Hamburg, wo ebenfalls Verwandtschaft Victories mütterlicherseits (Onkel) lebte, ggf. auch Hannover.
Gervinus (Gervin), Georg Gottfried jun.Georg Gottfried Gervinus11853891818051871Gervinus, Georg Gottfried jun. (1805–1871), deutscher Historiker, Literaturhistoriker und Politiker, Sohn von Georg Gottfried Gervinus sen. (1765–1837) und seiner Ehefrau Anna Maria Magdalena Gervinus, geb. Schwarz (1772–1837). Er war Ehemann von Victorie Gervinus, geb. Schelver (1820–1893), 1835/1836 Professor der Geschichte und Literatur an der Universität Heidelberg, 1836/1837 an der Universität Göttingen (einer der „Göttinger Sieben“), 1844 Honorarprofessor an der Universität Heidelberg, 1848 Mitglied der Frankfurter Paulskirchen-Versammlung.
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
Darmstadt49.872775,8.651177Etwa 30 Kilometer südlich von Frankfurt am Main gelegene Haupt- und Residenzstadt des Großherzogtums Hessen.
UB Heidelberg
.
UB Heidelberg1000
Gervinus
, Georg Gottfried: Leben. Von ihm selbst (1860), Leipzig 1893.
Gervinus
, Leben
1893
Horn, Wilhelmine Albertine Luise (Louise), verh. DahlmannLuise Horn, verh. Dahlmann11601453918001856Horn, Wilhelmine Albertine Luise (Louise) (1800–1856), war die zweite Ehefrau des Historikers und Politikers Friedrich Christoph Dahlmann (1785–1860), Tochter des dänischen Oberstleutnants Friedrich Bogislaus von Horn und der Sophie Georgine Luise Warnstedt sowie Stiefmutter von Dorothea Dahlmann (1822–1847) aus Dahlmanns erster Ehe mit Julie Dahlmann, geb. Hegewisch (1795–1826).
Schelver, Victorie (Victoria), verh. GervinusVictorie Schelver, verh. Gervinus11659528018201893Schelver, Victorie (Victoria) (1820–1893), Gesang- und Klavierlehrerin, Musikwissenschaftlerin, Ehefrau von Georg Gottfried Gervinus jun. (1805–1871).
Stralenheim, Karl Wilhelm August11730639817771847 Stralenheim, Karl Wilhelm August (1777–1847), war hannoverscher Beamter, Jurist, Politiker, Justizminister, Staatsminister.
Engelmann, Wilhelm11868480918081878Engelmann, Wilhelm (1808–1878), war Verlagsbuchhändler in Leipzig und Bibliograph, der auch die Schriften Georg Gottfried Gervius’ (1805–1871) verlegte.
Osnabrück52.2719595,8.047635Auf das Frühmittelalter zurückgehende Stadt bei dem dortigen Bischofssitz entstanden, in Mittelalter und Früher Neuzeit Hansestadt im nördlichen Westfalen gelegen.
Hannover (Stadt)52.3744779,9.7385532Ehemalige welfische Residenz- und Festungsstadt und bis 1866 Hauptstadt des Königreichs Hannover, dann Hauptstadt der preußischen Provinz Hannover, etwa 300 Kilometer westlich von Berlin an der Leine gelegen.
Hannover (Stadt)52.3744779,9.7385532Ehemalige welfische Residenz- und Festungsstadt und bis 1866 Hauptstadt des Königreichs Hannover, dann Hauptstadt der preußischen Provinz Hannover, etwa 300 Kilometer westlich von Berlin an der Leine gelegen.
VictoriensacheDies bezieht sich auf die heimliche Verlobung Georg Gottfried Gervinus (1805-1871) mit der damals noch sehr jungen Waise Victorie Schelver (1820-1893), Tochter des Heidelberger Naturphilosophen und Biologen Franz Joseph Schelver (1778-1832), Mitte der 1830er Jahre, deren Hauslehrer er gewesen war; als ihr Vormund das herausfand, wurde sie zu ihren Verwandten nach Osnabrück geschickt. Karl Hegel (1813-1901) war damals „nächster Vertrauter“ seines Freundes Gervinus in dieser Angelegenheit.
VetterCousin.
Advocat, AdvokatAnwalt.
VormundMännliche Person, die von einem entsprechend zuständigen Gericht dazu bestimmt ist, die rechtlichen Angelegenheiten einer anderen Person, z. b. eines Minderjährigen, zu regeln, also: gesetzlicher Vertreter.
ObervormundschaftÜbergeordnete Vormundschaft für eine nicht bzw. nur eingeschränkt geschäftsfähige Person, z. B. wegen Minderjährigkeit, der die Vormünder kontrolliert; auch ein Vormundschaftsgericht.
talionischAus dem Lateinischen von „talio“ für Vergeltung abgeleitetes Adjektiv bezogen auf „Talion“, Synonyme: ius talionis oder Talionsprinzip, bezüglich eines antiken, im Ausnahmefall auch vorantik-altorientalischen, Rechtsprinzips, das zwischen dem Schaden von Seiten des Opfers und demjenigen, das dem Täter zugefügt werden soll, einen Ausgleich, ein Gleichgewicht erstrebt.
Dekret (Decret)Verordnung,
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Zitierempfehlung
Die wissenschaftliche Korrespondenz des Historikers Karl Hegel (1813-1901), bearbeitet von Helmut Neuhaus und Marion Kreis