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Karl Hegel an Georg Gottfried Gervinus, Berlin, 7. Dezember 1840

Liebster Gervin!

Sehr lange bin ich ohne Nachrichten von Dir; das ist mein Hauptgrund zu schreiben. Ich hätte dir freilich schon eher sagen sollen, wie sehr ich mich an Deinem vortrefflichen 4ten Bande1 delectirt habe, und daß ich Dir für die Zusendung desselben herzlich danke. Klopstock und Lessing scheinen mir am gelungensten zu sein; für Göthe’sche Jugendzeit d.h. für seine Werke dieser Zeit scheinst Du hauptsächlich die Objectivität, worauf die Vorrede deutet, d.h. das Zurückhalten der Kritik als solcher, welche bei Klopstock so bedeutend hervortritt, aufbewahrt zu haben, vielleicht um der Objectivität Göthe’s ebenso objectiv entgegenzutreten, als Du der Schiller’schen Subjectivität subjectiv zuvorkommen wirst. Das wird jetzt allerdings sehr an der Zeit sein. Dein Vorwort habe ich mit Jubel begrüßt und darin den Mann erkannt, der es weiß, (und stolz darauf ist), daß er keine menschlichen Rücksichten mehr zu nehmen hat und von keiner Regierung etwas für sich will oder hofft. Mit großer Erwartung sehe ich Deiner künftigen politisch-schriftstellerischen Laufbahn entgegen. Vielleicht, daß Du hier bei uns ein Terrain dazu finden wirst. Die Meinungen und Erwartungen sind gegenwärtig in großer Gährung, das politische Interesse an unsern eignen Zuständen mehr angeregt als je, – solange ich weiß. Ich will Dir meine einzelne Meinung darüber nicht verhehlen. Der König hat erklärt, keinen vollständige Repräsentativ-Verfassung geben zu wollen; er hat dies aber in öffentlicher Rede vor dem ganzen Volk erklärt, was bisher unerhört gewesen ist. Seine Neigungen führen ihn zur Öffentlichkeit und er horcht auf die öffentliche Meinung. Seine Neigungen sind andrerseits auf mittelalterliche Constitution des Adels und der Kirche gerichtet; darauf, merkt man, wird hingesteuert; die Aufhebung der Patrimonialgerichtsbarkeiten und die Ablösung der Bauern werden schon gehemmt; die preußische protestantische Kirche soll unabhängig vom Unterrichtsministerium constituirt werden. Hassenpflug ist angestellt, Wahl ebenso. Andrerseits sucht man zugleich die öffentliche Meinung wiederzugewinnen durch die Berufung der Grimm’s und Albrecht’s, und durch die Äußerung der besten Gesinnung. So befinden wir uns in einem Schwanken zwischen den retrograden Ideen der Macht und zwischen der vorwärtswollenden öffentlichen Meinung. Die Letztere wird immer stärker werden, je länger dieser Zustand dauert; ob sie aber so stark werden wird, um den Sieg zu gewinnen, oder ob man sich entschließen wird, ihr entschieden entgegenzutreten, das weiß Gott! Die Partei, welche mit der bloßen Gesinnung des Königs zufrieden ist, d. h. die fromme, oder die jetzige Hofpartei ist überhaupt gering. Die ältere Beamtenwelt hält die Erinnerung an die Befreiungsjahre, an die Aufhebung der Leibeigenschaft usf. noch sehr fest ; eine Bevorzugung des Adels oder frommer Individuen würde sie sehr in Aufregung bringen. Mit der Anstellung Hassenpflugs ist der ganze Justizstand unzufrieden. Spottgedichte (nach: Wir wollen ihn nicht haben usf. s. Beilage2 sind auf Hassenpflug gemacht worden, und der König selbst soll über die Wirkung der Anstellung erschrocken sein. Stahl hat fast die ganze Universität und die Jugend (so weit sie nicht auch durch Pietismus oder Bornirtheit todt ist) gegen sich. In den ersten Stunden ist beständig geschaut und gelärmt worden und überall, wo ich hinhöre, ist man empört über sein Auftreten. Dieser Jude von Nation und Jesuit von Charakter und Ignorant von Wissenschaft fing damit an, die ganze Philosophie für Irrthum und Wahnwitz, die politischen Meinungen, die er Liberalismus zu nennen beliebte, und die nicht mit dem Haller’schen System, dem er sich zugethan erklärte, übereinstimmten für verderblichen Unsinn zu erklären. Er sei dazu berufen mit Haller’schen Grundsätzen und einer auf Christenthum gegründeten Rechtslehre (denn jedes philosophische Princip, wie z. B. die Freiheit, sei nicht im Stande, das einfachste Rechtsinstitut zu begründen) die Contrerevolution zu verfechten. Diese Anmaßung, verbunden mit der äußersten Trivialität des Gehalts, war doch mehr als unsere Studenten sich gefallen lassen wollten. Um dem Lärm ein Ende zu machen, sah sich der Professor endlich genöthigt, zu erklären, er wolle sich fortan aller Kritik und Polemik enthalten. So ist ihm jetzt nur die eigene Trivialität und der Obscurantismus geblieben. Der Scandal in seinen Vorlesungen hat indeß noch eine Weile fortgedauert, obgleich er alle Gelegenheit zu vermeiden suchte. – Albrecht hätte uns, glaube ich, nicht viel geholfen. Denn mit Gelehrsamkeit ist in dem Kampf, der sich da eröffnet, und der so ungelehrt begonnen wird, wenig ausgerichtet; aber mit politischer Gesinnung, mit Charakter! Hätten wir doch den Dahlmann hier! Die ganze Jugend und eine imposante Majorität von Collegen würde ihm zufallen. Seine Wirksamkeit wäre unberechenbar, und zwar nicht durch seine Vorträge allein, sondern mehr noch durch das Gewicht seiner ruhigen, festen Persönlichkeit. Sollte es wahr sein, daß Dahlmann eine Aversion gegen Berlin hegt, daß er glaubt, hier isolirt zu sehen? Ich weiß, daß er von aller Welt würde mit offenen Armen empfangen werden; ausgenommen von verstockten Aristokraten und Pietisten, die Gottlob nur eine geringe Minorität ausmachen und auch nicht regieren. – Über Dahlmann’s Berufung, die mich (obgleich ich die Hoffnung jetzt fast aufgeben muß) mehr als Alles interessirt, will ich Dir mittheilen, was ich gehört, damit Du es ihm wieder zukommen lässest. Gestern war ich bei Alexander von Humboldt der sich zunächst über Stahl mit großer Indignation ausließ und dabei äußerte, er habe eben deßwegen dem König, Albrecht zugleich mit vorgeschlagen, damit er ein Gegengewicht für jenen wäre (Notabene Du weißt, daß Humboldt beständig um den König ist und, mit seinem Einfluß auf ihn, die liberale öffentliche Meinung bei ihm vertritt; daß Stahl eigentlich vom König berufen ist, obzwar von der juristischen Facultät d.h. Savigny’s Anhang und Homeyer gewünscht und dann vom Ministerium vorgeschlagen). Albrecht aber habe, wie es scheine, aus Geldinteresse und Sentimentalität zugleich, leider nicht angenommen; beides wäre wahrscheinlich, meinte er, durch eine Zulage von einigen hundert Thalern, die er leicht erhalten hätte, wenn er ehrlich herausgesagt, daß es daran liege, beseitigt worden. Für Dahlmann’s und Grimm’s Berufung habe er ein eignes Promemoria an den König aufgesetzt. Als Albrecht’s Ruf durchgesetzt worden, habe dem König es zu viel geschienen zu Grimm’s auch noch Dahlmann hinzuzufügen. Außerdem habe Dahlmann in Briefen an die Arnim (Bettine) wiederholt erklärt, daß er gar nicht gesonnen sei auf einen Ruf hierher zu kommen, daß er eine Abneigung dagegen habe. Ich kann das nicht recht glauben, oder verstehe Dahlmann nicht recht. Es thut mir überhaupt leid, daß er sich mit diesem zwar sehr romantischen und poёtischen, aber sehr intriganten Weibe (das auch wohl die Lüge für ihre poёtischen oder vielen, weiblichen Launen für etwas sehr, nicht nur Erlaubtes, sondern Löbliches hält – denn Rechtschaffenheit und Geradheit ist ja Prosa!) eingelassen hat. Dazu nimm3 Folgendes: Vor ein Paar Tagen berichtet mir Dönniges, diese Bestie habe ihm gesagt, sie habe dem König geschrieben, er solle Dahlmann nicht berufen und zwar seiner politischen Grundsätze wegen, und das habe sie ihm sehr plausibel und mundrecht (gegen ihre eigne Überzeugung nämlich!) zu machen gewußt, – und das bloß deswegen, damit ihm Grimm’s doch gewiß gerufen werden, und daß Dahlmann diese beim König nicht im Wege stehe. – Das Ganze ist natürlich eine jammervolle Aufschneiderei; aber daß dieses Weib dem Humboldt vorredet, Dahlmann wolle nicht kommen, kann eben zu dem löblichen Zweck gelegen sein; und das wäre eine Lüge, die dem Dahlmann reellen Schaden thäte, wie mir dann auch Humboldt sagte, er habe deshalb in seinen Bemühungen nachgelassen, wenn auch noch nicht alle Hoffnung aufgegeben, denn die Schwierigkeiten seien nicht unüberwindlich.

Wichtiger freilich ist, was ich von Sch.4 habe, daß unser Gesandter in Hannover, Herr von Canitz, gegen Dahlmann gearbeitet und dessen Berufung zunächst hintertrieben hat. – Das ist was ich in dieser mir so wichtigen und theuren Angelegenheit habe erfahren können. Du bist ohne Zweifel mit Dahlmann fortwährend in Briefwechsel und wirst von seinen Absichten besser unterrichtet sein als ich. Darum scheibe ich Dir, was ich weiß; weil Du beurtheilen wirst, wie weit Dahlmann damit gedient sein kann, und ihm, was nöthig, mittheilen kannst. Ich kann mir durchaus nicht denken, daß Dahlmann sich einer großen Aufgabe, die ihm in seinem eignen Vaterlande möglicher Weise noch eröffnet wird, entziehen sollte! Die Jämmerlichkeit des Stahl, hoffe ich, wird bald genug fühlbar werden; wir brauchen ohnehin einen Staatrechtslehrer, – wer kann in dieser doppelten Noth besser helfen, als Dahlmann? Wie mag es Dir gehen in Heidelberg? wie Deiner lieben Frau? Werdet ihr uns nicht im Winter besuchen? welche Freude wäre das für mich! Jetzt sind Schulzens5 aus Rom hier. Ich sehe sie kaum alle 2 Monate einmal; denn ich bin so vom Schulamt, von zahlreichen Bekanntschaften und von meinen Arbeiten, denen ich soviel Zeit als möglich zu erübrigen suche, in der Hetze gehalten, daß es mir nicht möglich ist, sie öfter zu sehen. Die Frau befindet sich leidlich und ist sie ganz zufrieden, in der Heimath zu sein; der Mann wäre jetzt lieber in Rom geblieben; er sieht, daß es hier bei ungeheurer Concurrenz besonders im medicinischen Fach, sehr schwer aufzukommen ist und hat eine ziemlich unglückliche und malcontente Stimmung; er kaut beständig an seinem Verhältniß zum Ministerium und dessen undankbarem Benehmen gegen ihn. Das ist für einen Dritten nicht sehr unterhaltend! Ich verkehre viel mit Dönniges und Papencordt. Der letztere gewinnt sehr bei näherer Bekanntschaft; er ist ein recht gelehrtes und gefälliges Haus und eine gutmüthige Haut; er will nach Bonn gehen, hat jetzt eine Geschichte des Cola Rienzo im Druck und ist durch seine diplomatischen Bekanntschaften gleich in die haute société der Excellenzen gekommen, was ihm für sein Fortkommen gewiß sehr hinderlich ist. Ja das Fortkommen! Das ist hier das Ziel des Wettlaufs und einer enormen Concurrenz; und Connexionen, die sind der mächtige Hebel! Mein Freund Dönniges denkt auch bisweilen mehr daran, als ich wünsche. Ich denke immer und sage ihm: Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und der Andren6 etc. Er hat ein Buch: Quellen zur Geschichte Heinrich VII geschrieben, worin die Übersetzung des Dino; ich habe eben eine Recension davon gemacht und nicht verhehlen können, daß ich die Übersetzung für mißlungen und fehlerhaft halte. Wenn nur der lang vorbereitete Heinrich endlich selbst erschien! – Grimm’s werden zu Weihnachten erwartet; sobald sie ankommen, werde ich sie sogleich aufsuchen und Dir von ihnen schreiben. Von Beseler weiß ich seit langer Zeit nichts mehr. – Was ist denn der Dr. Hahn in Heidelberg für ein Mann? Du scheinst mit ihm in Verbindung zu stehen.

Deine Frau grüße ich tausend Mal; sie wird mich doch nicht vergessen haben? auch die kleine Emma von Schulzens und Schwesterchen7 lassen die liebe Tante Gervinus angelegentlichst grüßen. Lebe recht wohl und gedenke bisweilen

Deines
Hegel