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Karl Hegel an Georg Gottfried Gervinus, Florenz, 21. April 1839

Lieber Gervin!

Für mich ziehe ich bis jetzt immer Nieten auf der Post und gehe betrübt und ungeduldig fort, für Euch bin ich zwei Mal glücklich gewesen.

La Sua Excellenza1, die liebe Victorie, an die der eine Brief aus Sorrent gerichtet war, wird mir nicht übel nehmen, daß ich den halboffnen Brief ganz eröffnet habe, um ihn aus seiner schwerfälligen Hülle herauszunehmen und leichter zu machen. Den Korb von portogalli kann ich leider nicht mitschicken, weil ihn die Post nicht hieher gebracht hat; Schade, daß Jemandem der Mund oder das Mündchen danach vergebens wässern wird! Und à propos der naive B. B! Doch ich verrathe mich, daß meine ungeweihten Augen zu viel gelesen haben, aber das Lesen ist ihnen zur Gewohnheit geworden, wo sie das unverwehrt Geschriebene sehen.

Ich bin hier bald aus einer für mich lästigen Einsamkeit herausgekommen, die mir nach der Trennung von Euch doppelt drückend gewesen wäre, – durch die Bekanntschaft mit Dr. Gaye, da wir uns gleich mit Zuneigung aneinander angeschlossen haben. Der Gaye ist Hollsteiner und hat das Ehrenhafte und Gediegene von Dahlmann und Beseler; an letzteren erinnert er mich sehr oft in Haltung und Gebehrden und einzelnen Hollsteinischen Ausdrücken. Er ist seit vier Jahren hier, seit 9 Jahren in Italien, hat die Kunstgeschichte Italiens in den Archiven und in den Kunstwerken überall aufs gründlichste studiert und eine Reihe von interessanten Briefen und Documenten für diese gesammelt, welche er in drei Bänden2 demnächst herausgeben wird.3

Mir war er gefällig und nützlich darin, daß er mich in die Bibliothek eingeführt hat und in die Donnerstagsgesellschaften bei Vieusseux, wo die hiesigen und fremden Litteraten zusammenkommen, worauf Du mich aufmerksam gemacht hast. Capponi war leider nicht da; mit einigen Andern habe ich mich nur besehen und beschnüffelt Repetti, der ein Dizionario über Toskana schreibt, ist immer bereit einem Artikel aus demselben herzusagen. Diese Gelehrten, wie die meisten, hören am liebsten sich selber. So auch Micali.

In der Magliabechiana bringe ich täglich einige Stunden zu und lese dort ein Manuscript über Florentinische Verfassung, zu Hause den 2ten Band von Cavalcanti, Vasari und Dante. Über den Cavalcanti will ich etwas schreiben.

Übel, daß die Bibliotheksstunden mit denen der Gallerien zusammenfallen! So war ich seit Eurer Abreise nur einmal in den Uffizien und einmal im Pitti. Aber ich merke, daß überhaupt mein Interesse für Sachen der Kunst, obgleich noch groß genug, nicht mehr so feurig ist, wie vor 6 Jahren, da ich dafür schwärmte, und 14 Tage lang in Dresden fast nur in der Gallerie war. Es müssen die reiferen Jahre sein, die die bloßen Liebhabereien abwerfen, und das politische und historische Interesse, welches das Übrige absorbiert.

Meine Wünsche und Hoffnungen sind alle für Deutschland und nichts ist mir wichtiger, als was dort geschieht, und von dorther kommt. Der brave Dahlmann steht wie der Wächter auf dem Thurme über Hannover und Deutschland. Hast Du gelesen, daß er die Gutachten der drei Juristenfacultäten bekannt gemacht hat – ich hoffe 3 Nägel am Sarge des Königs von Hannover! Jetzt reist er in Deutschland herum, war in Frankfurt, Stuttgard, Tübingen – er versichert sich seiner Freunde und der Freunde Deutschland’s. – Ich bitte Dich dringend, was Du von ihm und über ihn und von Beseler hörst, mir ausführlich zu berichten.

Von Rom habe ich Niemanden hier gesehen, auch Müller, der Dröseler, ist noch nicht angekommen. Nach einem Brief, den Gaye von Reumont bekommen, sollten Boisserées in diesen Tagen von Rom abreisen; auf welchem Weg, ist nicht gesagt.

Ich habe die Bitte an Dich, daß Du mir schreibst, was die Hauptsachen in Siena sind. Damit ich gleich weiß, wohin ich zuerst zu gehen habe. Wenn ich den Gaye drum frage, wie ich auch thun werde, so fürchte ich, wird er mir zu viel sagen. Auch müsste ich von Dir wissen, wo ich in Venedig einzukehren habe, oder ob Du mir eine Privatwohnung dort empfehlen kannst. In meiner hiesigen bin ich sehr gut, ich esse auch mit meinen Wirthsleuten. – Abends gehe ich mit Gaye gewöhnlich in die Cascinen, wo dann die Sonne immer sehr schön hinter den Bergen untergeht und Himmel und Berge mit den schönsten Farben überzieht, und wir reden dabei eines und anderes an den grünen Wassern des Arno, worin sich das Abendroth spiegelt.

Dies schreibe ich Euch zum ersten Mal wieder aus der Ferne, auch mit wehmüthigem Herzen über unsre Trennung. Ihr sollt immer ausführliche Nachrichten über mein Thun und Treiben erhalten, und bitte dafür auch um baldige Nachricht von Euch. Für Dich werden immer meine wärmsten Empfindungen rege sein, liebster Freund; und das liebe Menschchen habe ich so lieb gewonnen, wie ich nur meine Schwester lieb haben würde und da mir der Himmel eine solche versagt hat4, so mag sie mir gestatten, sie dafür ansehen zu dürfen, wobei ich mich auch auf die Meinung der Leute in Tivoli, Olevano und Palästrina berufe. –

Lebt wohl.
Euer treuer Hegel

P.S. Nachdem ich dieses geschrieben, habe ich zum Fenster hinaus auf den Platz, wo eben eine militärische Revüe, vorgenommen wurde und erkenne in einem Mann mit schwarzem Mantel, gelbem Strohhut und schwarzem Schnurrbart unsren Dröseler, Müller, den ich anrufe, der mich erkennt, heraufkommt und mir sagt, daß er gestern Abend (Sonnabend) über Siena mit Heus und seiner Frau5 angekommen sei. Morgen wollen sie nach Pisa, und bis gegen Ende des Monats hier bleiben, dann nach Venedig, wo sie Euch also nicht mehr treffen, wenn Ihr den Aufenthalt dort nicht bis in den Mai hinein ausdehnt. Er läßt herzlich grüßen. Von Rom brachte er nichts Neues, als einen Skandal, den er mit dem Preußischen Assessor Böhme6, (Gaurath7 bei Lépré8) gehabt! Florenz kommt ihm sehr gering vor nach Rom.