Es passiert Dir bisweilen im Eifer des Disputirens, daß Du den Andern wenig hörst und seine Einwendungen nicht genug beachtest, daß Du in der Hitze des Gefechts mehr auf den Angriff als auf die Vertheidigung bedacht bist, und dadurch Blößen gibst, wo auch der viel ungeschicktere aber ruhigere Fechter Dich verwunden kann. – Auf Treu und Glauben mußt Du freilich das zu erst hinnehmen, daß ich in der vollsten Überzeugung der Wahrheit über Deine Historik geschrieben habe2, und daß mich dabei so wenig eine Pietät gegen meinen Vater bestimmt, als die gegen Dich mich abgehalten hat, meine abweichende Ansicht auseinanderzusetzen. Deine Ansicht von der Lyrik bin ich geneigt, als eine weak hide von Dir anzusehen; doch will ich vom ersten was Du bei Klopstock darüber bringst und die Hoffnung nicht aufgeben, mich darüber mit Dir zu verständigen. Du erklärst es für Unnatur, daß wir Lieder und Dramen lesen, statt zu singen und darzustellen. Man nehme sich in Acht mit der „Unnatur“, daß wir nicht wie Rousseau alle Bildung so heißen, und auf den Naturzustand der Wilden zurückkehren wollen. Wäre es in diesem Sinne nicht auch schon Unnatur, daß jene alte Dichter selbst ihre Lieder und Dramen3 aufgeschrieben haben, gleichwie zum Beweis, daß sie die Art des äußeren Vortrags für etwas Unwesentliches gehalten haben? Für Unnatur kann ich nur halten, wenn wir an einem Dinge das Wesentlichl als unwesentlich behandeln, und umgekehrt. Nun beweise mir aber erst, daß die scenische Darstellung dem Drama und die Musik dem lyrischen Gedicht etwas schlechthin Wesentliches ist und den Alten als solches gegolten hat. ? !
In Bezug auf die scenische Darstellung beim Drama, so gibt von ihr, was von allem bloß Äußerlichen, daß es gleichgültig ist, ob es ist und ich es mit leiblichem Auge sehe, oder ob ich es mir vorstelle. Die scenische Darstellung ferner kann gut oder schlecht sein, je nachdem die Schauspieler sind; das ist ganz der Zufälligkeit anheimgegeben und zeigt sich auch Dein als dem Kunstwerk äußerlich und unwesentlich, weil dieses der Zufälligkeit entkommen ist. Gute Schauspieler machen sich bekanntlich am meisten in mittelmäßigen Stücken geltend, weil sie da aus den Rollen etwas machen können; gute Stücke verderben sie meistens, weil sie selten sich etwas Vollkommen abzubilden verstehen. Die Griechen haben zur vollkommenen Darstellung des Schönen die Künste zusammenwirken lassen; dieselben standen aber dabei nicht in gleicher Bedeutung nebeneinander; einige dienten nur um die Wirkung des Vortrags zu erhöhen. So haben sie ihre Tempel und ihre Statuen durch Farben gehoben, so ihre Dichtung durch Tanz und Gesang. Wenn uns die lebendige Darstellung ihrer Poësie abgeht, so ist das ein Mangel, aber keine Unnatur. Es fehlt uns zum Genusse die Seitwirkung der untergeordneten Künste, aber das Hauptwerk, welchem sie zum Schmuck und Putz dienten, ist uns geblieben. Beweise mir, daß bei ihrer Lyrik die Musik Hauptsache war, und die Worte derselben nur so dienten, wie bei uns der Text und das Sujét der Oper und Du sollst Recht haben. Wenn Du das aber nicht kannst, wenn es ausgemacht ist, daß die Musik bei den Alten diese selbständige Stellung nicht hatte, daß sie vielmehr, auch bei ihren dramatischen Darstellungen, nur das that, was der Schauspieler bei uns durch den Ton und Ausdruck, womit er spricht, zu bewirken sucht; so ist es nicht richtig, daß ihm Lyrik der Musik anheimfällt, so ist sie vielmehr fast so entbehrlich (für’s Wesentliche daran) als der Chorreigen. Warum sind die Worte in so künstliche Rhythmen gefügt? Weil sie die Musik beherrschen und nicht umgekehrt, denn sonst wäre der Rhythmus völlig überflüssig, die Musik hätte ihn angegeben und enthalten, wie bei uns. Die Musik war untergeordnet, und drum kann die lyrische Dichtung ihr nicht anheim fallen. So haben’s die römischen Lyriker auch angesehen und Horazens Oden sind gewiß nicht gesungen worden.
Mein lieber Freund, wirf mir ja nicht Mangel an Logik vor, da wo ich sie gerade habe und an Dir vermisse. Du sagst, die ächte das heißt die beste Geschichtsschreibung sei nicht der Ort, sondern um dem Grade nach von den beiden Arten oder Gattungen unterschieden. Das Wasser verdunstet in der Hitze und wird ein fester Körper in der Kälte. Der quantitative Unterschied wird zu einem qualitativen. Du kannst eine Zeit lang gerade nicht die Temperatur verändern, ohne daß eine verschiedene Beschaffenheit einzutreten scheint, bis die Punkte eintreten, wo plötzlich auch die Beschaffenheit sich als eine andre zeigt, Du sagst, Thucydides schrieb eher unlogisch, Machiavelli pragmatisch, wirst aber nicht sagen, Thucydides war ein Chronist und Machiavelli ein Pragmatiker; denn sie haben von diese Arten nur noch eine Färbung und erheben sich in der That zu einer höheren Gattung deren Vorzüge sie zu den großen Historikern, die sie sind, machen, während sie die Mängel jener einseitigen Gattungen, die Du so gut beschreibst, nicht oder nur in geringstem Grade theilen. Darum sage nicht, daß diese Geschichtsschreibung nicht eine dritte und höhere Art sei, und länger nicht, daß es auch möglich sei, selbst die einseitige Färbung die jene auch haben, auch vollends abzustreifen. Ich wüßte z. B. nicht, daß Schlosser mehr von der einen als von der andern Art an sich hätte. Du selbst beschreibst die ächte Geschichtsschreibung als eine solche, die über jenen beiden Arten steht, und ich habe Dir gewiß nicht Unrecht gethan, wenn ich sie als eine dritte Art genommen habe. Du führst mich mit der Consequenz, als ob die dramatische Poësie allein öfter Poësiegattung wäre, ad absurdum. Wer erlaubt Dir aber diese Consequenz zu ziehen? Wenn Du das thust, so wird Deine ganze Analogie schief. Denn die Gattungen der Poësie sind andrer Art und stehe in einem anderen Verhältnisse zur Poësie überhaupt. Der Poësie ist Eine bestimmte Form wesentlich, an der Geschichtsschreibung ist Eine bestimmte und ausschließende Form nur eine Einseitigkeit und Mangel. Je reiner die Poësie ihre bestimmte Form bewahrt, als Epos, lyrisches Gedicht, Drama, desto schöner und vollkommener ist sie, je ausschließender der Historiker, Chronist oder Memoirist ist, desto mangelhafter die Form seines Werks. Die Poësie ist ächt in jeder ihrer Formen, die Geschichtsschreibung nur in der geschickten Vereinigung der in ihr möglichen Formen. Daß Du diesen wichtigen Unterschied nicht genug beherzigt hast, zeigt mir die angegebene Consequenz. Über die Ähnlichkeit der Analogie darf man ihr Unstehthaftes nicht außer Acht lassen. –
Die Philosophie der Geschichte ist im Druck schon ziemlich vorgerückt und ich habe den Rest nur noch einer Durchsicht zu unternehmen. So habe ich dann schon angefangen mich zu meinen florentinischen Studien zurückzuwenden, und mich hauptsächlich auf den Dante geworfen. Anfangs wollte ich diesen nur nebenbei lesen und in Bezug auf meinen Gegenstand; er hat mich aber bald so gefesselt, daß er mich absorbirt hat und mich nicht eher Auslassen wird, bis ich ihn ganz in mich aufgenommen. Übrigens brauche ich zu meiner Arbeit über die florentinische Verfassung auch vielmehr Studien über das Städtewesen, Rechtsgeschichte, Verfassungen usf., so daß ich mit der Absicht etwas Solides zu leisten, viele Zeit drüber zubringen werde.
Das Schulamt, das mir oft vom Tage nur wenige Stunden übrig läßt, ist dabei sehr hinderlich und dünkt mich sehr oft eine saure Last, um so saurer, da sie sich schwer wieder abwerfen lassen wird. Um Deine Lebensweise beneide ich Dich manchmal. Wie herrlich muß das Frühjahr in dem schönen Heidelberg sein! Hier ward man die liebe Natur kaum gewahr. Meine Mutter wird eine Wohnung außerhalb der Stadt beziehen (für den Sommer), wo man wenigstens freies Feld in frischer Luft hat: in den Sommerferien werde ich dann auch draußen wohnen und sonst Sonnabend und Sonntag dort zubringen. In welchem Glanze erscheint mir nun mein Aufenthalt in Italien! Dabei fällt mir ein, daß in diesen Tagen Raumer’s Briefe über Italien erschienen sind. Wie ist es möglich, daß man etwas so Elendes, so Nichtiges, so Plattes über Italien schreiben kann! und das wird mit Posaunen und Trompeten der Welt schon lange vorher angekündigt, mit gespannter Erwartung aufgenommen und ohne Zweifel mit Anerkennung gepriesen. O Ruhm, was bist Du für eine Seifenblase!
Dein 4ter Theil4 bleibt länger aus, als ich dachte. Ich freue mich sehr darauf. Wie geht’s der lieben Victorie? ich grüße sie recht herzlich. Es freut mich, daß sie mit Ida verkehrt. Dein letzter Brief5 gibt einige treffende Andeutungen über das Verhältniß von Ida zu ihrem Manne. Übrigens habe ich nirgends darauf hingedeutet, wie Du sagst, daß sie durch andre Einflüsse zu ihm wohl bestimmt worden sei. Der Gedanke ist mir bei ihr nie in den Kopf gekommen, weil sie sich mir wenige nur aus sich und aus dem Antriebe ihres Herzens bestimmt; ist diese Bestimmung bei oft langem Schwanken und innerlichen Kämpfen geschehen und der Entschluß gefaßt, so ist sie dann auch völlig entschieden und unerschütterlich darin.
Ist es wahr, daß Reichlin Maldegg jetzt Geschichte vorträgt und damit Glück macht und Schlosser überstrahlt? Wie steht’s mit der Philosophie; hat auch sie jener Freibeuter in Beschlag genommen? Um Rosenkranz Berufung ist’s wieder still. Wie erhältst Du Dich zur Universität, zu der Professur? wie steht’s mit dem Geist der Studenten? haben die Preußen nicht einige Anregung hineingebracht?
Wie standest Du zu dem alten Thibaut? Hast Du ihn gar nicht mehr gesehen vor seinem Ende? Wen werdet ihr an Thibaut’s Stelle erhalten? Gute Juristen sind rar und Gans’ Stelle ist auch noch unbesetzt geblieben, weil man nicht weiß, wen nehmen. Habe die Geduld mir einige meiner Fragen zu beantworten.
P. S. Mit Dönniges sehe ich mich öfter; er gefällt mir immer besser; er hat ein gutes Streben, tüchtige Kenntnisse und geht ordentlich ins Zeug.