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Susanna Maria Tucher an Karl Hegel, Nürnberg, 18. Mai 1850

So eben, mein herzliebster Karl, erhalte ich Deinen lieben Brief1, der mir einerseits die Zerstörung einer süßen Hoffnung andrerseits aber auch eine Entscheidung bringt, die ich auch schon heimlich für besser unter den jetzigen Verhältnissen anerkennen mußte. Es ist mir schwer, Dich meinen Geliebten entbehren zu müssen, aber das fühlte ich in den letzten Tagen wohl oft, daß Deine Anwesenheit hier und der Wunsch, mich Dir widmen zu können, mich immer in einen innern Widerspruch und Streit versetzt hätten, bei den Pflichten, die Gottliebs und Mariechens Pflege mir bringen. Ich danke Dir mein geliebter Karl für die Versagung meines Wunsches, und weiß doch, daß ich deßwegen nicht an Deiner Liebe, die sich nach unsrer Vereinigung sehnt, zweifeln darf.

Von unsern Kranken möchte ich Dir gerne Erfreuliches berichten können, doch warum wollen wir uns Täuschungen hingeben, die doch bald oder später vielleicht einer traurigen Wirklichkeit weichen müßten. Für Gottlieb fürchtet der Arzt in diesem Augenblick keine Gefahr, verhehlt uns aber nicht, daß seine Brust wahrscheinlich schon lange leidend ist, was sich auch durch seinen immerwährenden Carrthar und Husten angekündigt hat, und daß dieser Sturm die Lunge jedenfalls so angegriffen hat, daß viel für die Folge zu fürchten ist; ob ärztliche, jahrelange Behandlung, sorgfältige Beobachtung und Schonung unter Gottes Segen ausreichen, um die kranke Lunge wieder auszuheilen, weiß nur Gott, von dem wir diese schwere Prüfung ergeben annehmen und dem wir Alles anheimstellen wollen. Es wäre wohl das Schwerste, was meine armen Eltern und uns Alle treffen könnte, ihn seinen beiden vorangegangnen Brüdern folgen zu sehen, aber ich habe die feste Zuversicht zu Gott, daß er uns tragen hilft, was er sendet, wenn wir es als von ihm kommend hinnehmen. Meine theure Engelsmutter ist gefaßt und ergeben, und wir Alle ruhig, seitdem wir so weit gekommen sind, Zeit und Stunde und Art der Hülfe ohne eigne Bestimmung Gott zu überlassen. Er kann ja die trübe Aussicht wieder aufhellen und Alles besser wenden als wir denken. – Mit Mariechen hatten wir abermaligen Schrecken durch einen dritten Endzündungsanfall, der vorigen Donnerstag2 wieder 8 Blutiegel nothwendig machte, doch geht es ihr ziemlich gut, sie liegt wohl wieder vollständig, fühlt sich aber ziemlich kräftig und heiter; ihr Zustand ist weniger bedenklich, nur sehr langwierig und im Fall die Entzündung sich noch öfter wiederholen sollte, doch recht ängstlich.

Sieh, mein geliebter Karl, so steht’s bei uns, überall Sorge und Angst, und doch soll dieser Brief die bestimmte Nachricht, bestimmt so Gott will, wegen unsers Hochzeitstages bringen. Der Arzt selbst rieth uns, ihn nicht weiter zu verschieben, da sowohl bei Gottlieb als vielleicht auch bei Mariechen gar kein Termin der Genesung anzugeben ist, so daß eine Verzögerung von 8 Tagen oder sogar mehreren Wochen gar keinen Unterschied macht. Im Gegentheil, die Kranken selbst sind ruhiger, wenn sie kein bestimmtes Ziel mehr vor Augen haben, bis wohin sie ihre Krankheit beendigt sehen möchten, und von einer freudigen Hochzeitsfeier, ohne ernste, trübe Gedanken und Besorgnisse, kann ja unter diesen Verhältnissen noch lange, lange keine Rede sein. Die lieben Eltern stimmen also ganz dafür, den 28ten Mai, Dienstag über acht Tage, festzusetzen, und dann natürlich nur eine ganz stille, ruhige Feier zu begehen; ich selbst, mein geliebter theurer Karl, obwohl mir das Scheiden aus dem Elternhause, bei diesen trüben und ernsten Befürchtungen schwer wird, sehne mich doch mehr als je nach der Vereinigung mit Dir, dem jetzt doch mein innerstes Wesen angehört, und der, das weiß ich, Leid und Freud des Vaterhauses, in Liebe mit mir trägt und theilt. Ich bin jetzt in einer innern Zerrissenheit und sehne mich nach Einklang, den nur Du mir geben kannst.

Der geliebten Mutter sage doch meinen schönsten Dank für ihr liebes Briefchen; wie geht es ihr denn, sie schreibt gar Nichts von ihrem Befinden. Den theuren Geschwistern möchte ich gar gerne selbst danken für ihre Liebe, die sie bewegt, uns die unendliche Freude ihrer Anwesenheit bei unsrer Hochzeit zu machen, es ist mir ein so lieber, süßer Gedanke, daß ich mich an dieser schönen Aussicht ganz erquicke. Wir dachten hauptsächlich an die liebe Friederike und Manuel, die gewiß gar gerne den Geburtstag ihres Mariechens den 24ten3 noch mit feiern möchten, bei Festsetzung des Hochzeitstages und wählten deßhalb den 28ten Mai; grüße sie in inniger Liebe von mir. Die lieben Neuburger und Leitheimer, auch Tante Sophie werden gewiß kommen, und heute erwartet Fritz Haller Tante Rosenhayn; Wilhelmine Haller kommt von Linz. Alles vereinigt sich in Liebe, um sich mit uns zu freuen, aber der liebe Gott erinnert uns vielfach daran, daß wir unsre Zuversicht nur auf Ihn setzen. Er hat Alles in Händen. Doch, mein liebster Karl, freue ich mich all der lieben theilnehmenden Herzen, und danke Gott dafür, liegt auch der Gedanke an die, die fehlen, schwer auf der Seele.

Du fragst theilnehmend nach den andern Kranken, von welchen ich Dir schrieb; Luise ist noch sehr leidend, so daß ich ganz auf ihre Anwesenheit verzichten muß, auch Tante Wiß erholt sich sehr schwer, und es ist eine Wiederholung sehr zu fürchten.

Dieß ist so Gott will der letzte Brief! Ich erwarte Nachrichten von Dir, mein Geliebter, über die Zeit Eurer Ankunft und sehe Dir, und den lieben treuen Geschwistern, mit Sehnsucht entgegen. Gott gebe, daß Ihr uns doch ohne ernste Besorgniß für die nächste Zeit findet, und uns erfreuliche Nachricht von der lieben Mutter bringt. Leb wohl! mein Herzliebster, wollen wir unser Gebet vereinen, daß Gott Alles zum Besten wende.

In ewig treuer Liebe
Deine Susette.

P. S. Der inliegende Brief4 ist vor dem meinigen geschrieben, macht also keine Änderung in unsern jetztgefaßten Beschlüssen!