PDF

Susanna Maria Tucher an Karl Hegel, Nürnberg, 15. – 21. Februar 1850

Mein geliebter, theurer Karl! Heute war ich bei meiner herzlieben Lina, deren treue, innige Freundschaft ich erst jetzt, wo die Schranke, die immer zwischen einer Frau und einem Mädchen besteht, mehr und mehr verschwindet, wo der Gedanke an baldige Trennung zugleich so nah liegt, in ihrem ganzen Umfang erkenne. Ich denke mir manchmal, daß ich meine Jugendfreundinnen sehr vermissen und schwerlich mich an Andre wieder so anschließen werde können als wie an die, die von Gespielen der Kindheit, Freundinnen und Vertraute meiner Jugend wurden; aber anderntheils scheint es mir wieder, als ob mir eine vertraute Freundin nicht mehr so Bedürfniß sein könnte, wenn Du, mein Liebster bei mir und mir ein liebender Freund bist, was Du mir so treulich versprachest. Du wirst mir im weitesten Sinn des Wortes Alles sein, und ich finde darin die festeste Bürgschaft für völlige Befriedigung.

Zum ersten Male seit langer Zeit war ich heute wieder in der Kirche. Der Doktor hatte es mir erlaubt, da es viel, viel besser mit meinem Schulterschmerzen geht. Ich fand dort aber nicht die Sammlung, die ich gewünscht hatte, und daran warst Du, mein Liebster, die ganz unschuldige Ursache. Es wurde mir so schwer, meine Gedanken auf die Predigt zu richten, immer flogen sie zu Dir, ihren gewöhnlichen Mittelpunkt und Endziel; und da ich ihnen meistens freien Lauf lassen kann, ließen sie sich auch jetzt nicht beschränken.

Gestern Abend war ich in einem sehr schönen Concert, mein Geliebter. Wie habe ich Dich zu mir gewünscht, um Dich fragen zu können über die Musik die aufgeführt wurde unter andern über eine Sinfonie von Schubert, die ich sehr schön fand, wenn auch nicht so klar als manche Beethovensche Composition, bei welcher oft der Hauptgedanke so scharf und deutlich hervortritt, daß auch so wenig Eingeweihte wie ich, ihm zu folgen vermögen.

Die heutigen Zeitungen brachten uns eine Nachricht, die für die Einigung Deutschlands sehr trostlos lautet, für unsre baldige Vereinigung, mein Geliebter, dagegen ums so mehr Hoffnung gibt. Ich weiß nicht, ob sie begründet ist, aber bei uns wird als bestimmt angenommen, daß der Zusammentritt des Erfurter Reichstags von Österreich aus als Kriegserklärung angesehen, und mit bewaffneter Macht dagegen eingeschritten werden wird. Daß dadurch die Dauer des Reichstages sehr verkürzt werden wird, ist wohl wahrscheinlich, und während Süd- und Norddeutschland sich bekriegen, könnten wir, mein Geliebter, um so früher den deutlichen Beweis führen, daß sie sich aufs Beste miteinander vertragen und im beseligendsten Frieden stehen könnten. Gott gebe, daß unser armes Vaterland nicht die Graüel des Bürgerkrieges zu fühlen bekommt; bei uns ist man darauf gefaßt. Was erwartet man denn in Nord Deutschland von der nächsten Zukunft?

Dein herzinniger Brief2, mein Geliebter, den ich heute empfangen, hat mich hoch beglückt, wenn auch meine Sehnsucht nach Dir immer nach jedem Briefe doppelt groß ist. Wenn Du zu mir sprichst, dann möchte ich Dich tausenderlei fragen und Dir gleich auf Alles, was Du in Deinem Briefe erwähnst antworten; doch es scheint ja wirklich, als ob die Aussicht auf unsre Verbindung durch den Erfurter Reichstag nicht hinausgeschoben wird, und also diese Zeit der schmerzlichen Entbehrung bald durch eine schönere verdrängt wird, wo ich Dir dann Alles, Alles recht nach Herzenslust mittheilen kann.

Was Du mir über Schwärmen und Lieben schreibst, mein Herz-Geliebter ergreift mich wunderbar, weil ich an mir selbst die Erfahrung dessen machte, das Du aussprichst. Ich sagte Dir, mein Liebster, daß ich auch einst geschwärmt habe, und obwohl Du mich um Verzeihung bittest daß Du jetzt nicht schwärmst gestehe ich doch ganz offen, daß die völlige Befriedigung, die mir Deine Liebe gewährt, auch bei mir diese Gefühlsrichtung, die doch meistens oder immer in unbestimmten, sehnsüchtigen Träumen besteht, verdrängt hat, und schon oft wurde es mir klar, daß wenn ich auch sonst mehr geschwärmt, ich doch nie so innig und wahr geliebt habe wie jetzt. Sieh, mein Liebster, ich fühle mich viel glücklicher und besonders viel sicherer im Besitz Deiner Liebe, als es bei aller Schwärmerei möglich wäre. Ich kann es Dir jetzt nicht so recht sagen, aber ich meine ich wäre weniger glücklich und hätte Dich weniger im Herzen wohnen, wenn ich schwärmen könnte; ich sprach öfter schon mit Luise und Lina über diese Verschiedenheit der Empfindungen, und es ist mir wahre Freude, aus Deinem Briefe zu entnehmen, daß wir auch darin so Eins in Gedanken sind. – Wie freue ich mich, ein Glied dieses lieben Konsenses zu werden, der Dir, mein Liebster, so innig vertraut ist, was doch wohl sein muß, wenn solche Gespräche angeregt werden. – Meine liebe Lina war heute bei uns im Garten, um das herrliche Frühlingswetter, das wir seit einigen Tagen haben, zu genießen, und um sich in ihrer Einsamkeit zu trösten, denn sie ist seit heute Morgen Strohwittwe. Friedrich muß eine Geschäftsreise unternehmen, zu welcher er wohl 4 Wochen nöthig haben wird.3 Sie forderte mich auf, recht oft zu ihr zu kommen um miteinander zu arbeiten und von unsern Liebsten zu plaudern. Sie grüßt Dich freundlichst, auch im Namen ihres Friedrichs. – Onkel Benoit, nach dem Du fragst, ist jetzt in Neapel, der letzte Brief war von Florenz; übrigens scheint er bis jetzt nicht sehr befriedigt zu sein von dieser unstäten, zwecklosen, wandernden Lebensweise, was ich auch recht gut begreife, denn ich meine, wenn man ohne Beruf, ohne Ziel so alleine in der Welt herumreist, müßte man bald auch in den schönsten Umgebungen sich unbefriedigt fühlen. Wenn wir einmal miteinander reisen, und haben unsre trauliche Häuslichkeit in Aussicht, unsre gemeinschaftliche Heimath als Ziel, das ist freilich ganz anders; das muß herrlich sein; meinst Du nicht? – Der Brief von der theuren Mutter, den Du mir vermeldest, ist bis jetzt nicht angekommen, wir haben seit dem 12ten keine Nachrichten, die aber leider auch damals nicht gut waren (ich glaube, ich schrieb Dir davon). Es thut mir in der Seele weh, wenn ich mir die liebe Mutter so schwach und hinfällig denke, während ich sie noch so ziemlich kräftig in der Erinnerung habe. Gott gebe, daß sie bis Frühjahr so weit erholt ist, ein Bad zu besuchen; wir sprachen auch schon davon, besonders von Teplitz im Andenken an die selige Großmutter, der dieses Bad so gut gethan hat. Wahrhaft rührend ist mir ihre liebende Sorge für uns, mit der sie Alles mit meiner lieben Mutter berathen und gerne Alles selbst beschicken möchte. Auch schrieb sie, was Du, mein Geliebter, wiederholst, daß mir noch Etwas zugedacht war; ich weiß nicht was, aber ich bin beschämt durch ihre so teure Liebe.

Nur mit wenigen Worten, mein Geliebter, will ich Dir die Auskunft mittheilen, die mir mein Papa wegen der Papiere gab. Er glaubt, daß Du hier Nichts brauchst als die Erlaubniß Deiner Regierung, Dich in Mecklenburg häuslich niederzulassen und zu heirathen; um aber diese Erlaubniß zu bekommen glaubt mein Vater, daß Dir meine Papiere nöthig sind und bittet Dich, deßwegen zu fragen. Er wird sich noch näher erkundigen, und Dir darüber schreiben.4 – Wegen des Weißzeugschrankes finde ich gar Nichts zu erinnern; ich bitte Dich nur, ihn so groß als die Kleiderschränke und mit 5 – 6 Fächern zum Legen zu bestellen. Leb wohl, mein Einzig-Geliebter, es ist hohe Zeit zu schließen.

In treuer Liebe Deine Susette.

P. S. Die Hausschenke für Kieser besorge ich diese Tage, hoffentlich zu Deiner Zufriedenheit. Die Hochzeit ist für heute über acht Tage Morgens um neun Uhr anberaumt. – Wegen meiner Schulter sei ohne Sorgen, es geht ganz gut wieder. – Mein Ührchen ist jetzt ganz in Ordnung und geht sehr pünktlich. Leb wohl! Liebster.