Mein geliebtes Engels- oder Menschenkind! Die Zeit wird mir wahrlich knapp für Dich, mein besseres Ich, zugeschnitten: doch muß ich dem Sonntag so viel abgewinnen, um Dir, wenn auch nur kurz, zu schreiben. Daß ich auch sonst alle Tage an Dich gedacht habe, selbst mitten in den wichtigsten und interessantesten Sitzungen momentan an Dich gedacht habe – ich pflege dann oft unwillkürlich Deinen Ring um meinen Finger herumzudrehen – wirst Du mir glauben, meine liebe Seele, wenn ich Dir’s sage. Doch zuvörderst will ich Dir nun danken für Deinen lieben innigen Brief2, welchen Du größtentheils in den ersten Tagen nach unserer Trennung schriebst und worin Du mir Deine über alles theure Liebe aufs neue bekennest. Gewiß kannst Du mir nichts Rührenderes und nichts Lieberes sagen; denn Du weißt, daß auch mein Herz Dir allein ganz gehört. Und so wird es uns auch Niemand verargen, wenn wir diese Zeit der Trennung so viel als möglich abzukürzen wünschen, wenn wir noch den Zeitpunkt unsrer Vereinigung sehnlich verlangen. Ich hoffte auf das Pfingstfest3; doch Deine liebe Mutter glaubt, wie Du mir schreibst, bis dahin mit Ausstattung und Vorbereitungen nicht fertig zu werden: sollte es nicht doch möglich sein? was kann eine Woche viel ausmachen? denn schon in der drauf folgenden Woche ist Ende Mai herangekommen; und war es nicht unsere früher ausgesprochene Meinung, daß die Hochzeit Ende April oder Anfang Mai stattfinden solle? – Die liebe Mutter könnte entgegnen: In einer Woche läßt sich viel beschaffen; was thut’s aber Euch, wenn ihr noch eine Woche wartet! – Es thut vielleicht so viel, daß wir die Woche nach der Hochzeit noch in Nürnberg bei den lieben Eltern und Verwandten zubringen könnten; während beim längeren Hinausschieben die Woche nicht mehr übrig bleiben möchte. Es kann sein, daß das hiesige Parlament mit diesem Monat zu Ende geht; dann müßte ich nach Mecklenburg zurück und mich dort um meine Vorlesungen bekümmern, würde mir aber zu Pfingsten einen Urlaub von drei Wochen geben lassen, und in diesen drei Wochen wäre dann die Reise hin, zurück, Aufenthalt in Nürnberg, Aufenthalt in Berlin abzumachen. Es ist wahrscheinlicher, daß das Parlament bis in die erste, zweite Woche des Mai dauert; dann würde ich gleich von hier aus Urlaub auf drei, vier Wochen nehmen; müßte aber eine Woche oder mehr davon verlieren, in Berlin abwartend, bis ich zur Hochzeit kommen dürfte. – Auch ist das Pfingstfest eine Zeit, in der auch andere, nämlich manche gewünschte Gäste, wie z. B. Manuel, wahrscheinlich leichter abkommen können als später: wie es in diser Beziehung mit Onkel Gottlieb sich verhält, werdet Ihr besser wissen als ich. – Muß denn auch die Ausstattung ganz fertig sein, bis zu Hochzeit? Wir bleiben ja gerne noch einige Tage in der Nähe, halten uns wohl 8 Tage in Berlin auf und in Rostock brauchen wir sie auch nicht gleich zur Stelle, da wir doch wohl mehrere Tage noch im Gasthofe wohnen müssen. – Doch ich will nicht weiter drängen. Deine liebe Mutter wird ja wohl gewiß Alles so machen, wie es für uns am Besten ist, und wie es an sich möglich ist. Nur zu ihrer Erwägung wollte ich meine Bedenken stellen u. werde ich gern meinerseits das Mögliche thun, ihr zu gefallen. –
Die Parlamentsverhandlungen nehmen jetzt, nachdem die Ausschußberichte beider Häuser vorgelegt sind, einen raschen Verlauf. In den beiden letzten Tagen fand die große Debatte im Volkshause statt. Unser war der Sieg: Du weißt, daß ich zur Bahnhofspartei gehöre, dessen Kern die sogenannte Gothaer Partei bildet. Wir hatten die Annahme im Block vor der Revision beschlossen; doch so daß Beides in untrennbaren Zusammenhang gebracht wurde. Die Hauptsache war, den gegebenen Rechtsboden festzuhalten u. die Regierungen, die demselben zu entschlüpfen geneigt wären, daran zu binden. Gegen uns stand nicht nur die ultramontane u. die schwarz-weiße Partei, auch Radowitz u. die preußischen Minister u. mit ihnen die ministerielle Mittelpartei. Wir hielten fest an unserer gerechten Sache u. unsere Schuld wird es nicht sein, wenn Preußen sich nicht stark genug fühlt, sie durchzuführen. Zur Verkümmerung u. Verstümmelung des Werks fühlten wir uns weder berechtigt noch berufen. Siegreich wurde unsere Sache verfochten von den größten parlamentarischen Talenten Deutschlands – Vincke, Gagern, Camphausen. Es wurde noch eine Anzahl Stimmen zu uns herübergezogen u. mit 26 Stimmen wurde uns die Majorität für die unbedingte Annahme der Vorlagen. Morgen beginnt die Berathung über die Abänderungsvorschläge, die wir daneben den Regierungen zur Gutheißung anbieten: wollen sie sie nicht, oder können sie sich nicht darüber vereinigen, so bleibt es bei der unveränderten Vorlage. Die Ehre der Sache u. Unsere, die der Volksvertretung, bleibt jedenfalls gewahrt, wenn auch gegenwärtig das Werk nicht zu Stande kommen könnte: aber auch die Möglichkeit des Zustandekommens ist auf keinem andern Wege besser gesichert. – Von der Gegenseite war allein Stahl ein ebenbürtiger Gegner, ausgezeichnet durch eine wundervolle Beredsamkeit, wenngleich er weit unter der staatsmännischen Überlegenheit eines Camphausen, und unter der charaktervollen Hoheit eines Gagern steht. Die Sitzung dauerte gestern von 10 Uhr Morgens bis Nachmittags 5 Uhr. Heute Abend wird in unserer Fraction der Schlachtplan für morgen verabredet: es ist ein förmlicher Generalstab ernannt, der die Rollen während des Kampfes vertheilt, um jedem Gegner einen überlegneren entgegenzustellen.
Du erwähnst der in Mecklenburg vorgegangenen Veränderung. Dies Mal hat der Nürnberger Correspondent Dich nicht getäuscht. Die traurige Geschichte ist wahr u. berührt mich sehr nah. Durch eine elende Cabinetspolitik des Königs von Preußen, der seinen Kopf darauf gesetzt hatte, der Sache der renitenten Partei u. des strelitzschen Hofes in Mecklenburg zum Siege zu verhelfen, wurde der Großherzog zur Unterwerfung gebracht. Es wäre ebenso gut gewesen, wenn er geradezu abgedankt hätte; er wird jetzt das ganze Land gegen sich haben; auch hat er noch kein Ministerium gefunden, welches auf dem neuen Wege des Verderbens mit ihm zu gehen geneigt wäre; die renitente Ritterschaft selbst scheint ein Gefühl davon zu haben, daß sie die Sache nicht halten kann. Der Großherzog setzte seine Hoffnung auf den preußischen Unterhändler, den Grafen Bülow; aber auch der wehrt sich noch fortwährend gegen die Annahme des Ministeriums; er würde eine Stellung haben, wie Hassenpflug in Kurhessen. – Meinestheils bin ich froh, daß ich dies Elend nicht in der Nähe mit anzusehen brauche; u. wenn ich heim gehe, nehme ich Dich, mein geliebtes Wesen, mit mir u. das häusliche Glück, welches Du mir bereiten wirst, wird mir den süßesten Trost gewähren in dem öffentlichen Unglück. –
An dem Unfall, welchen Friedrich betroffen, nehme ich nahen Antheil, wenngleich ich ihm an sich keine große Bedeutung beilege. Herzlich freue ich mich über die guten Fortschritte Mariechens in ihrer Besserung. Nicht gleich gute Nachrichten habe ich von der lieben Mutter, so wie von Manuel, über ihr Befinden: ich lege ihren Brief, der zugleich für Euch bestimmt ist, bei.4 –
Nun mein einzig geliebtes Menschenkind drücke ich Dich noch einmal zum Abschied an meine Brust u. sage Dir von Herzen Lebewohl. Möge der stille Frieden unserer Liebe Deine Seele fort u. fort beglücken u. liebliche Gedanken sie erheitern. Ich muß fort in das politische Getümmel unserer Fraction.
Grüße die lieben Eltern u. Geschwister herzlichst, Friedrich u. Lina, die theuren Großeltern, Kieser, Deine Freundin Luise, Tante Fritz u. Tante Beyerlein