Meine geliebte Susette! Gestern war Dein Namenstag1, da Du doch eigentlich eine Susanna (zu deutsch: Rose) bist. Daß es Dein Namenstag war, habe ich heute erst gesehen; aber es bedurfte nicht dieser Veranlassung, um gestern wie heute und alle Tage an Dich zu denken und Dich zu lieben. Doch habe ich gestern auf Deine Gesundheit angestoßen, weil meine Freunde wohl wissen, daß sie mich damit erfreuen, wenn sie nur Deinen Namen nennen – in einer Mittagsgesellschaft bei dem Engländer Samsum, dessen Geburtstag war. Ich hatte eine schöne Nachbarin zur Seite, die Frau eines Gutsbesitzers Namens Stever, die aber meine Gedanken so wenig von Dir abzuziehen vermochte, daß mir meine süße Geliebte, bei der Vergleichung mit der eitlen und hohlen Schale, nur im allervortheilhaftesten Lichte erschien. Übrigens kannte ich sie auch schon vor ihrer Verheirathung und sie wurde mir gerühmt als eine sehr reiche Parthie, und schön war sie ohne Zweifel: aber sie kam mir auch damals schon vor wie ein bloßes Futteral, und sie hat es mit Verdruß bemerkt, daß sie nicht den geringsten Eindruck auf mich machte. Jetzt ist sie seit zwei Jahren verheirathet, schwimmt in der Üppigkeit des von beiden Seiten zusammengebrachten Reichthums und ist doch nicht befriedigt, denn zum wirklichen Glück fehlt ihr, gleich wie ihrem Manne, die innere Möglichkeit.
Heute Freitag wird hier zu Lande ein Buß- u. Bettag gefeiert. Ich besuchte den Gottesdienst in der schönen Marienkirche, wo mein College Krabbe die Predigt hielt. Er sprach mit Wärme u. Innigkeit u. Nachdruck von der Buße und der versöhnenden göttlichen Gnade, mit manchem Seitenblick auf die herrschende Irreligiosität unserer Zeit. In der letzteren Beziehung steht es hier so schlimm wie irgendwo, und ist neben den allgemeinen Gründen, die in der Zeitrichtung liegen, für besonders auch der längere Zeit sehr verwahrloste Zustand unserer Landeskirche daran schuld. Unter den hiesigen Predigern ist außer Krabbe, der aber nur alle 4 Wochen den Universitäts-Gottesdienst hält, kaum Einer, den man mit Erbauung hören kann. Und auch Krabbe befriedigt mich im Ganzen nicht sehr, da es ihm bei allen schätzenswerthen Eigenschaften doch an einer Hauptsache fehlt, an der vielfachen Kenntniß des inneren menschlichen Lebens, welche durchaus nöthig ist, um einer Predigt die rechte Beziehung und praktische Anwendung auf die Gemüther der Zuhörer zu geben. Denn Krabbe ist ein gelehrter Theolog und hat in keiner Weise mit der Seelsorge zu thun: darum bleiben seine Predigten bei den Allgemeinheiten stehen, und wie er selbst davon auch innerlich durchdrungen ist, so weiß er sie doch nicht bei seinen Zuhörern lebendig zu machen; es fehlt so das eigentlich erbauende Element. – Ich denke, meine theuerste Susette, wir werden unsere Erbauungsstunde am Sonntage durch Lesen einer schönen Predigt zu Hause feiern, wenn wir sie in der Kirche nicht finden können, und die Gemeinschaft mit Dir und Deinem frommen Gemüth wird mich besser dazu stimmen, als ein Kirchengesang wie der hier übliche, der kaum zu ertragen ist. –
Am Nachmittage war ich bei Frau Bruns, die Dein Bild zu sehen begehrt hatte. Ich brachte ihr das Daguerrotyp, und als sie es gesehen, sagte sie, daß sie sich nun noch viel mehr auf Dich freue. Also das Bild ist doch nicht so übel und das Original noch viel liebenswürdiger, was ich aber Andern gegenüber mir nur anzudeuten erlaube, damit sie es selber finden mögen. –
Indessen habe ich auch einige Bestellungen von Möbeln hier gemacht, namentlich für zwei gleiche Kleiderschränke und einen Linnenschrank2, und Anderes, was ich für mich brauche. Denn ich will auch den hiesigen Handwerkern etwas zu verdienen geben, weil es unbillig wäre, wenn ich ihnen, die auf den Erwerb am Orte angewiesen sind, durch die schwere concurrenz und die Noth der Zeit doppelt leiden, gar nichts zuwenden wollte.
Heute am Sonntag Abend ist es eine süße Gewohnheit für mich, mein liebes Susettchen, Dir auf den Brief zu antworten, den ich zum Morgengruß empfangen. Die ganze Woche über freue ich mich auf diesen Morgengruß von meinem fernen Liebchen, u. wenn er dies mal nicht zur gewohnten Zeit angekommen ist, so denke ich, daß dies wohl seinen guten Grund haben werde und rechne es mir zu gut, daß mir die Freude, ihn zu empfangen, noch vorbehalten ist. –
Wenn es bei der früheren Absicht geblieben ist, so wird also heute die Hochzeit von Kieser u. Auguste gefeiert, und gewiß wirst Du dabei sein und mit Deinen Wünschen für das glückliche Paar auch die für unser künftiges Glück verbinden. Mein liebes Susettchen, ich trage Dich in meinem Herzen, denke je länger je mehr an Dich und verlange sehnlichst nach Deiner beständigen Gegenwart. Schreibe mir doch, Susettchen, wie es Dir damit geht u. wie Du an mich denkst, ob weniger, ob mehr – obwohl ich mir’s selbst denken kann, so möchte ich es doch von Dir hören.
Heute Mittag war ich bei meinem politischen u. sonstigen Freunde Oberappellationsrath Trotsche mit mehreren andern Bekannten, Abgeordneten der vorigen Kammer zusammen.3 Wir sprachen viel über die so eben bekannt gewordenen Wahlen zur nächsten Kammer, welche im Ganzen keine gute Aussicht für deren ersprießliche Wirksamkeit bieten. Die beiden Parteien, die demokratische u. die gemäßigte, halten sich ungefähr das Gleichgewicht u. werden so die Abstimmungen allen Zufälligkeiten preisgeben. Dazu kommt, daß unter den Deputirten der ersten Partei so viel erbärmliche und verächtliche Rabulisten sich befinden, daß das Ansehen der Kammer von vorn herein untergraben ist. Eine Auflösung derselben wird kaum zu vermeiden sein. –
An unseren Theologen Delitzsch ist ein Ruf von der Universität Erlangen gekommen, der ihn seit 14 Tagen in schwere und peinliche Zweifel versetzt hat; doch scheint er jetzt entschlossen, den Ruf anzunehmen, den seine dortigen Gesinnungsgenossen u. Freunde in der theologischen Facultät nach langem Kampfe gegen das Oberconsistorium endlich durchgesetzt haben. Ich schätze und achte ihn, wenngleich unsere politischen u. Glaubensansichten wenig zusammenstimmen. – Hast Du Hofmanns seit unserem Besuch nicht wieder gesehen? sind sie nicht einmal bei Euch gewesen?
Mein süßes Liebchen, Dein so eben angekommener Brief4 entzückt mich u. möchte ich Dir für mein Leben gern jetzt im Augenblick um den Hals fallen u. Dich an mein Herz, in dem Du für immer eine bleibende Stätte gefunden hast, drücken. Sieh‘ welche schöne Harmonie der Ansichten und Gefühle zwischen uns besteht. Fürwahr, wir sind von Anfang an im Himmel für einander bestimmt gewesen! Gott sei Dank, daß wir uns endlich gefunden haben! es erscheint mir wie eine Vorherbestimmung, aus welcher sich unsere beiderseitigen früheren Lebensschicksale in vieler Hinsicht erklären. Obgleich ich die selige Gewißheit Deiner Liebe habe, mein einziges Susettchen, so kann ich es doch nicht oft genug von Dir hören, daß Du an mich denkst, daß Du mich liebst – ich höre es immer wieder mit erneuter Wonne. – Doch laß uns nun zum Praktischen übergehen.
Die Auskunft Deines lieben Vaters auf meine Anfrage5 ist mir noch nicht bestimmt genug. Ich wünschte zu wissen, ob die Bescheinigung der hiesigen Kirchenbehörde über die hier erfolgte Proclamation (welche Bescheinigung ich mitbringen werde) nicht zum verlangten Ausweis in Baiern darüber dienen könne, daß meiner Verheirathung hier nichts im Wege steht. In der von Dir mitgetheilten Antwort ist hierauf nicht Bezug genommen, dagegen von einer Erlaubniß meiner Regierung, daß ich mich verheirathen u. häuslich niederlassen könne, die Rede. Eine solche Erlaubniß aber brauche ich als angestellter Universitätsprofessor mit Heimathsrecht in Rostock hier wenigstens nicht – es würde sogar sehr auffallend u. sonderbar erscheinen, wenn ich darum nachsuchen sollte, da man eine derartige Bevormundung bei uns gar nicht kennt. Darum wäre es mir lieb, wenn die Bescheinigung der Kirchenbehörde genügen könnte: wenn aber nicht, so möchte ich doch immer nicht unsere Regierung wegen einer Erlaubniß angehen – was hier gar zu unerhört wäre, – sondern mir lieber vom hiesigen Magistrat eine Bescheinigung darüber ausstellen lassen, daß ich hier das Heimat- u. Niederlassungsrecht habe. Denn es handelt sich in der That nur um die Ausübung eines Rechts, welches ich schon durch meine hiesige Anstellung besitze u. bedarf es der bairischen Behörde gegenüber sicherlich nur eines Zeugnisses, wodurch dieses mein Recht zur häuslichen Niederlassung constatirt wird: dazu meine ich aber, könne auch schon die Bescheinigung über das erfolgte kirchliche Aufgebot genügen, weil solches Aufgebot gar nicht erfolgen würde, wenn ich das Niederlassungsrecht nicht erlangt hätte oder besäße. Auch über Deine liebe Person brauche ich keinerlei Zeugnisse: ich finde hier Glauben genug, daß meine einfache Aussage genügt. Der Pastor meiner Kirche hätte sie bei Annahme des Aufgebots wohl verlangen können, hat es aber nicht für nöthig gehalten. – Also die Sache steht, kurz zusammengefaßt, so: zum Zweck meiner häuslichen Niederlassung u. meiner Verbindung mit Dir, wodurch Du von selbst das mecklenburgische Staatsbürgerrecht u. Heimathsrecht in Rostock gesetzmäßig erwirbst, ist hier bereits alles Nöthige durch die Anordnung der kirchlichen Proclamation geschehen; die Frage ist nur die: ob die Bescheinigung über die hier erfolgte Proclamation nicht auch in Baiern, nachdem die Proclamation auch in Deiner Kirchengemeinde stattgefunden hat, für die Zulassung unsrer kirchlichen Trauung und Dein Ausscheiden aus dem dortigen Heimatsverbande genügt? – wenn nicht, so will ich mir von dem hiesigen Rath ein Zeugniß darüber ausstellen lassen, daß ich hier das Niederlassungsrecht besitze u. daß Du durch Deine Verheirathung mit mir das Heimatsrecht in Rostock erwirbst. –
Diese Stelle meines Briefs wird Dir recht langweilig vorgekommen sein, mein liebes Susettchen – doch sei so gut u. lies sie Deinem lieben Papa, den ich herzlichst grüße, vor. – Die Neuigkeit, womit Dich Euer erbärmlicher „Nürnberger Correspondent“ erschreckt hat, von wegen einer österreichischen Kriegserklärung6, wenn das Erfurter Parlament eröffnet werden sollte, bitte ich Dich einstweilen zu den übrigen Lügen zu stellen, womit derselbe seine alberne Feindschaft gegen Preußen täglich bekundet. Wahrscheinlich hat er damit nur denjenigen Theil in Baiern, dem der Bundesstaat, wie Preußens Macht überhaupt ein Dorn im Auge ist, etwas Erfreuliches berichten wollen. Ehe Österreich gegen Preußen Krieg erklärt hat es gute Wege, u. wenigstens braucht sich Niemand davor zu fürchten. Auch wir beide kehren uns, wie Du mit Recht bemerkst, gewiß nicht daran. – Deine liebe Mutter wünscht die Zimmerhöhe in unsrer künftigen Wohnung zu wissen: sie beträgt vom Fußboden bis zur Decke 9 Fuß 3 Zoll rheinländisch7 (etwa 10 Fuß bairisch8, bis zur Hohlkehle, wo die Gardinenstangen befindlich, 8 Fuß 9 Zoll (einen halben Fuß weniger). Das Maß für die Matraze in der Mädchenbettstelle ist 2 Fuß 6 Zoll rheinländisch breit und 5 Fuß 9 Zoll lang. Das Rheinländische Maß hat Dein lieber Papa auf seinem Zollstab bezeichnet u. ist der bairische danach leicht zu finden. – Tausend Grüße auch an Deine theuerste Mutter u. die lieben Geschwister. An Kieser u. Auguste will ich am 27. gedenken. Nun gehab Dich wohl, meine einzige Susette, mein süßes, geliebtes Menschenkind!
NB. Das Postzeichen auf Deinem letzten Brief war 3–4 Uhr Nachmittag; daher die Verspätung um einen Tag. Sollte die Schuld nur an den Postbeamten liegen, so wäre sie unverzeihlich – Dir verzeihe ich sie gern.