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Susanna Maria Tucher an Karl Hegel, Nürnberg, 11. – 16. April 1850

Mein herzliebster Karl! Wie Schade, daß Du jetzt nicht hier bist, um Dich mit mir über das neuerwachte Leben, das uns der Frühling so mit einem Male bringt zu freuen. Noch nie erschien mir der Übergang vom Winter zum Frühjahr so wunderbar schnell, und noch nie erfreute ich mich so über diese schöne Zeit wie dieses Jahr. Ich denke wahrhaft mit Bedauern an Dich, mein Herzliebster, dem es vielleicht nicht vergönnt ist, öfters aus den engen Straßen Erfurts ins Freie zu flüchten, und preise doppelt als unverdientes Glück unsre Gartenwohnung2, die es mir möglich macht, das Frühjahr kommen zu sehen, ohne meine jetzt kostbare Zeit dem Spazierengehen widmen zu müssen. Ich sehe das Frühjahr dieses Mal mit eignen Empfindungen nahen, denn ich weiß, daß es Dich mir bringt; so lange der Winter noch herrschte, schien mir die Zeit unsrer Verbindung in weiter Ferne, und jetzt ist mirs als lägen nur noch wenige Tage dazwischen, und die ganze Natur eile sich zu schmücken, um unser Glück zu feiern. Du wirst mich der Eitelkeit und der Selbstsucht zeihen, aber ich kann nicht anders, Alles in der Welt bekommt ehe ich mirs versehe, irgend eine Beziehung zu unsrer Liebe und Alles betrachte ich nur von dem einen Standpunkt aus.

Weißt Du, mein Theuerster, daß die Berichte von Erfurt mich ganz unglücklich machen? Ich möchte so gerne Alles lesen, was die Zeitungen davon sagen, habe aber oft keine Zeit dazu, und wenn ich doch3 wirklich hie und da Etwas lese so verstehe ich eigentlich von Allem sehr wenig. Du wirst mich wohl auslachen, aber ich bekenne Dir lieber meine Unwissenheit als daß Du sie selbst erfahren müßtest. Wie freue ich mich, wenn Du, mein Liebster, mir erklärst, was ich nicht verstehe und freundlich meiner Dich annimmst. Zwar könnte mir fast bang werden, wüßte ich nicht, daß Du mich lieb hast, lieber als Andre, die viel mehr wissen als ich. Heute machte ich an mir die Erfahrung, daß mit der Sorge und der Arbeit für ein Wesen die Liebe zu demselben wächst und so überlasse ich mich gern Dir, als meinem Führer und Lehrer.

Die heutige Zeitung brachte uns die Nachricht, daß Minister von Mannteuffel unmittelbar von Berlin kommend, seine ganze Familie nach Erfurt habe kommen lassen, und sich überhaupt dort so eingerichtet habe, daß man daraus auf eine längere Dauer des Reichstages schließen könne. Wenn dem so ist, so wirst auch Du, mein Geliebter, mich für die erste Zeit nach Erfurt bringen, wenn wir den Termin des Ende Mai beibehalten. Mir ist es ziemlich einerlei ob ich Dir nach Rostock oder Erfurt folge, aber Du, mein Herzliebster wirst mit dieser Aussicht nicht zufrieden sein, weil Du für mich in Erfurt ein ungemüthliches und für Dich ein zerrissenes, getheiltes Leben voraussiehst. Doch was soll ich mir jetzt schon Gedanken machen über das, was ja noch nicht gewiß ist und so leicht und schnell sich ändern kann.

Mein geliebtester Karl! Darf ich mich mit Dir freuen über den heute gemeldeten Sieg der Bahnhofspartey, der Du ja angehörst? Gott gebe daß dieß der rechte, sichre Weg zur Vollendung Eures Werkes sei; unsre persönlichen Interessen will ich zwar unterordnen, wenn Du nur mit der befriedigenden Gewißheit von Erfurt scheiden kannst, daß dort wirklich Glückbringendes geschaffen worden sei. Ich freue mich in der Stille über jede freudige Aussicht, die sich Dir auf dem politischen Schlachtfeld öffnet und möchte so gern Etwas dazu beitragen können, Dir das Unangenehme zu erleichtern.

Dein lieber Brief4, mein geliebter Karl, hat mich heute schon überrascht, ich erahnete noch auf keinen, konnte auch die Zeit, die unsre Briefe brauchen, um an den Ort ihrer Bestimmung zu gelangen, nicht so sicher nachrechnen wie sonst in Rostock. Um so mehr freuten mich Deine lieben Zeilen, die mir die Versicherung Deiner theuren Liebe brachten, die Du mit Mühe dem politischen Treiben abgerungen hast, und in welchen Du mir sogar sagst, daß auch während interessanter Verhandlungen Deine Gedanken manchmal zu mir schweifen, wenn auch nur auf Momente.

Sieh, mein geliebtester Karl, das dachte ich mir hier schon, daß Du Dir Unrecht thust, wenn Du mir sagst, daß Tage vergehen, ohne daß Du an mich denkst. Ich begnüge mich ja gerne mit einem flüchtigen Gruß, den Du mir hie und da sendest und das weiß ich, daß doch kein Tag vergeht, an dem Du nicht ein Mal Deiner Liebe Dir bewußt wirst. Dein Vorschlag wegen Pfingsten5, mein Herzliebster, will sich die Mutter zu Herzen nehmen; wir wollen so fleißig sein als möglich, und wenn dann der Reichstag zu Ende ist, kann ja der Tag unsrer Vereinigung immer noch festgesetzt werden – die betrübenden Nachrichten von der theuren Mutter berührten mich recht schmerzlich. Wir wähnten sie ganz auf dem Weg der Besserung oder doch der nöthigen Kräftigung um in einigen Monaten eine Badereise zu unternehmen. In ihrem lieben Brief spricht sich eine große Mattigkeit und wenig Hoffnung auf Besserung aus, findest Du nicht auch? und doch diese lebhafte, rührende Freude über die lieben Kinderchen, deren Anblick sie alle Schmerzen vergessen läßt! Ach, es ist ein herrlich liebendes Gemüth! Gott wolle doch seinen Segen geben, daß auch mir noch lange das Glück zu Theil wird, ihr liebendes Kind zu sein. – Alles, was Du mir in Deinem Briefe mittheilst, interessirt und freut mich sehr, wie Du Dir denken kannst, und ich danke Gott, daß Du selbst jetzt mehr Vertrauen zur Erfurter Sache hast, als sich in Deinem letzten Briefe aussprach. – Wie glücklich macht mich Deine Hoffnung, in der Vereinigung mit mir leichter das Elend in Mecklenburg zu vergessen oder doch ertragen zu können; mein Geliebter, diese Erfahrung wird mein höchstes Glück sein; Gott gebe, daß sie mir wirklich zu Theil wird. Leb wohl, mein Liebster, Gott sei mit Dir und führe Dich glücklich und heiter zu mir zurück.

Ewig in treuer Liebe Deine Susette.

P. S. Mit Mariechen geht es ziemlich gut, aber sehr langsam, doch ist sie den größten Theil des Tages auf; sie nimmt jetzt Bäder von welchen der Arzt sehr viel hofft. – Seit heute Abend haben wir einen lieben kleinen Besuch; Wilhelmine und Helene sind mit ihrer Gouvernante, die ihre Verwandten hier besucht von Neuburg gekommen und wohnen bei uns zum großen Jubel der Kinder. Leb wohl!