XML PDF

Susanna Maria Tucher an Karl Hegel, Nürnberg, 24. – 29. November 1849

Endlich kann ich ein Stündchen finden, um mit Dir mein Liebster zu plaudern; so sehr es mir selbst Bedürfniß ist, so kommen doch manchmal Tage an welchen sich mir keine Möglichkeit zeigt, diesen Wunsch zu erfüllen, und wo ich mich begnügen muß, an Dich zu denken; Gott Lob, daß die äußeren Umgebungen nicht immer auch den Flug der Gedanken hemmen. – Wir waren gestern Abend bei Krailsheim gebeten, gerade sechs Wochen nach dem Abend, an dem wir miteinander dort waren. Wie oft denke ich an alle Stunden, die wir miteinander verlebten, und wenn Du, mein theurer Karl, mir Deinem Gesprächen gemäß alle Geheimnisse Deiner Liebe mittheilst, so bin ich überzeugt, daß Du mir manche Momente bezeichnest, wo auch in mir der Gedanke entstand, wir würden uns nicht immer so fremd bleiben wie bisher, wenn ich es mir auch nicht klar machte, wie glücklich ich sein würde, Dir anzugehören. An dem Abend bei Krailsheim war ich freudig überrascht durch Dein Kommen, ich hatte Dich nicht mehr erwartet; und als unsre süße Lina in ihrer heitren Laune mich neckte wegen meiner Unlust, auf den Ball zu gehen, und als Du das mir unbedacht entschlüpfte Wort, ich hätte keine Lust gehabt, so mahl behieltest, da wurde ich so verwirrt, daß ich mich immer mehr verwickelte und mich über meinen eigene Ungeschicklichkeit ärgerte. Tags darauf schienst Du mir so verändert, daß ich gar nicht recht wagte, Dich anzusehen, und mir dann dachte, ich sei Dir so ungeschickt erschienen neben Lina, die mir an dem Abend so unendlich liebenswürdig vorkam, daß Du gar Nichts mehr mit mir sprechen möchtest. In den letzten Tagen Deines Hierseins dachte ich mir wirklich, daß ich Dir nicht nur ganz gleichgültig, sondern unangenehm sei; bis zum Abschied! –.

Heute kam ein so herzlich lieber Brief2 von unsrer guten Mutter an, daß ich mich überreich in ihrer Liebe fühle. Wie glücklich bin ich, daß es ihr doch wieder so gut geht, um einen ziemlich langen Brief schreiben zu können; denn außer den herzlichen Zeilen an mich war noch ein Blatt an meine gute Mutter dabei, durch das sie sich mit ihr wegen unserer künftigen Einrichtung bespricht; die guten Eltern! es ist mir wahrhaft rührend, mit welcher Liebe sie Alles bedenken, um unsre Häuslichkeit recht gemüthlich und heimlich zu machen. Mein lieber Karl, es klopft mir das Herz, wenn ich an unsre künftige gemeinschaftliche Heimath denke, und ich freue mich auf meine eigene Überraschung. – Deine theure Mutter schrieb einige Worte in ihrem Brief, die für mich die höchste Freude enthalten; soll ich sie Dir sagen? Sie schreibt: „Ich zweifle nicht, daß Karl an Weihnachten zu Euch kommt“ – doch ich will ja geduldig warten und es Dir nicht schwer machen. –

Heute war ich bei meiner süßen Lina, die Deine herzlichen Grüße freundlich erwidert, so wie auch ihr lieber Friedrich. Wir sahen uns jetzt ziemlich oft, um die Zeit, die uns vergönnt ist, so viel als möglich zu benützen. Ich theilte ihr die eine Stelle aus Deinem letzten Briefe3 mit, die ich immer und immer wieder mit Wonne lese, die Stelle aus dem Briefe Deiner liebenswürdigen Freundin, was wir uns gegenseitig sein wollen und sein werden. Mein bester Karl, wenn ich mir früher ein glückliches, eheliches Verhältniß dachte, so wünschte ich mir immer einen Mann, zu dem ich aufblicken könnte, der mich durch nachsichtige, vertrauende Liebe emporheben würde; und das fühlte ich gleich in den ersten Tagen unsrer Verbindung, daß ich das an Dir gefunden habe, so daß ich nicht überrascht aber unendlich erfreut war, in Deinem letzten, lieben Brief meinen innersten Bedürfniß so völlige Befriedigung zugesagt zu finden.

Dank Dir, mein liebster Karl, für den theuren Liebesboten, den ich schon heute erhalten.4 Ich erwartete ihn erst morgen; wie lieb und gut bist Du, wie freundlich besingst Du all meine Bedenklichkeiten, Du Lieber! Du hast mich so genau betrachtet, als ich noch keine Ahnung davon hatte, und liebst mich dennoch! sieh, das gibt mir recht, wie soll ichs nennen? ein Gefühl von Werth in meinen Augen, daß ich mit mehr Muth an alle neuen Verbindungen, in die ich treten soll, denke.  

Gestern Abend konnte ich Dir, mein guter lieber Karl nicht mehr schreiben, da wir den Abend bei Holzschuhers waren, nur die liebe Mutter und ich ganz allein. Ich hatte Deinen Brief mitgenommen, wie mich jeder derselben fast immer begleitet, bis ein andrer ihn ersetzt; ach, sie sind ja mein liebstes Gut. – Ich bewahre sie in dem reizenden Kästchen auf, das Du mir gabst und so ist das Ganze mein kostbares Heiligthum. – Wie rührend ist mir Deine Sorge, um ein recht wohnliches Häuschen für uns aufzufinden; ich denke mir, daß Dir diese Sorge oft lästig wird bei Deiner beschränkten Zeit; könnte ich Dir nur Etwas abnehmen; aber es bleibt mir oder vielmehr der guten Mutter nur der leichtere Theil der Besorgungen und Du mußt Dich mit der Hauptsache plagen. Wie wohnlich und gemüthlich will ich Dir, mein liebster Karl, Alles einrichten, wenn mir die süße Pflicht obliegt für Dich zu sorgen als liebende Hausfrau. Deiner liebenswüdigen Freundin, die Dich so gefällig unterstützt, bitte ich Dich unsern herzlichen Dank zu sagen. Durch Deine Mittheilungen aus dem Kreis Deiner Bekannten und Freunde fühle ich mich nach und nach schon ganz heimisch in Rostock und es bangt mir gar nicht mehr vor dem Leben dort. Ach, mein lieber Karl, ich bin überzeugt, wo Du mir zur Seite stehst, und mich schützest ist mirs überall wohl und heimatlich.

Du fragst so freundlich nach Allen in Deinem letzten Brief, daß ich Dir von Allen Nachricht geben will. Die Geschwister grüßen Dich in Liebe als ihren Bruder; die Kleinen plaudern Viel vom lieben Karl, der jetzt keinen andern Namen bei ihnen hat als: Bräutigam; sie singen Viel aus dem netten Liederbuch von Dir, und ich singe doppelt gern mit ihnen. Gottlieb ist glückselig in Erlangen; er besuchte uns zwei Mal und schwelgt in dem neuen Leben, das ihm in der Verbindung mit so vielen gleichgestimmten jungen Männern aufgegangen ist.5 Er nahm eine unsrer Karten6 mit und freut sich, sie seinen Bekannten zu zeigen. Die Mädchen intressiren sich sehr für Alles, was Bezug auf Dich und mich hat; mein Mariechen, mein Liebling denkt seufzend an die Trennung und schließt sich noch fester an  mich, die sie auch mit besondrer Liebe im Herzen trägt. – Wie reich ist Deine Liebe, die mir das Alles ersetzen kann, ja die es noch weit überwiegt, mein Theurer, Einzig Geliebter! – in dem ich meine alleinige vollständige Befriedigung finde.

Kieser spricht mit großer Liebe von Dir, und freut sich unsers Glücks; er will bis Ende Februar heirathen, da es Auguste, Gott sei Dank, wieder besser geht; auch Antonie erholt sich seit einigen Wochen wunderbar. –

Warum, mein liebster Karl, sandtest Du mir Deinen letzten Brief nicht unfrankirt, wie ich Dich bat? Bitte thue es doch, denn sonst kann ich mir den weiten Weg auf die Post nicht ersparen.

Meinen Geburtstag, mein Liebster, möchtest Du wissen; es ist wohl noch lange hin, da er erst im März und zwar den Tag vor dem Deiner theuren Mutter fällt.7

Nun mein theuerster Karl, sage ich Dir ein herzliches Lebewohl! Gott sei mit Dir und Deiner Susette.