Meine süße und liebe Susette! erschrick nicht über das neue Format, welches ich für den Augenblick nur darum gewählt, weil ich nicht mehr Briefpapier, als diesen halben Bogen, im Augenblick zur Hand habe. Mein Gewissen überhäufte mich aber mit Vorwürfen, daß ich über so vielen anderen Geschäften die Hauptangelegenheit meines Herzens, Dir meine Liebe kund zu geben, seit mehreren Tagen hintangestellt habe. Es drängen sich in diesen Tagen neben meiner wissenschaftlichen Thätigkeit die zeitraubenden Conferenzen und Correspondenzen in Wahl- und anderen öffentlichen Angelegenheiten, denen ich mich nun einmal nicht entziehen kann; weil wir die Hände nicht in den Schoß legen dürfen, wenn die Widersacher, unserer Ansicht nach, zum allgemeinen Verderben unermüdlich arbeiten. Und auf unserer Seite sind weniger in der Lage, wenn sie auch sonst die Fähigkeit u. den Willen hätten, sich den öffentlichen Angelegenheiten zu widmen, weil sie meist mit Berufsgeschäften überhäuft sind, während die Gegner nichts zu thun u. nichts zu versäumen haben, wenn sie ihre Agitation fortsetzen. Bei uns kommt jetzt alles darauf an, daß wir eine vernünftige Kammer durch die Wahlen zusammenbringen, wovon mehr oder weniger nicht bloß die Fortbildung, sondern auch die Existenz unsrer neuen, von so vielen Seiten gefährdeten Verfassung abhängt. Ich werde die Aufgabe haben, dieselbe außerhalb zu vertheidigen, und es fehlt mir dazu weder an Muth noch an der Überzeugung von der Gerechtigkeit meiner Sache: wollte ich davon zurückstehen, meiner persönlichen Wünsche u. Angelegenheiten wegen, so würden noch manche Andere den Muth verlieren oder gleichfalls ihrer Bequemlichkeit folgen. Das wirst auch Du nicht wünschen und wollen, mein edles Susettchen, daß Dein Geliebter dem öffentlichen Vertrauen, das ihm entgegengebracht wird, nicht sollte mit Ehren entsprechen! Ich bin vielmehr vollkommen von Dir überzeugt, daß Du mich auf dieser Bahn, selbst mit persönlichem Opfer, wenn es nöthig wäre, wirst unterstützen, und als meine treueste Gefährtin mit vorangehen. Das Gute und Rechte zu thun, wozu einem Gelegenheit und Aufforderung wird, soll man nicht versäumen und die nach eigener Willkür vorgesetzten Zwecke nicht höher achten als die notwendige Aufgabe, welche das Leben und die von uns unabhängigen Verhältnisse bieten.
Morgen ist der Wahltag für die Erfurter Wahlen.1 Ich bin hier in Rostock Wahlmann, und in Schwerin u. Wismar als Wahlcandidat öffentlich aufgestellt. Um die voraussichtliche Doppelwahl zu vermeiden, habe ich den Schwerinern geschrieben, daß ich ihre Wahl annehmen würde, den Wismaranern aber, daß ich mich bereits für den andern Wahlkreis entschieden hätte. Die Wahlkreise umfassen jeder 105 bis 106 Tausend Seelen; die Wahl wird durch je 150 Wahlmänner in jedem Kreise, deren für das ganze Land 5 sind, vollzogen: die Wahl der Wahlmänner hat bereits am 26. dieses Monats nach den drei Steuerclassen stattgefunden2, allerdings nur bei geringer Betheiligung besonders der niedern Volksclasse; da sich sowohl die demokratische Partei wie der renitente Theil der Ritterschaft, der freilich nicht zahlreich ist, von den Wahlen fern hielten.
Mein geliebtes Susettchen! Heute morgen haben wir hier unsere Wahlschlacht geliefert, in die sich viel widerwärtiges Intrigenwesen einmischte, da der eine Wahlcandidat Oberappelllationsrath Kierulff, der schon in der Nationalversammlung in Frankfurt gewesen, selbst unter den hiesigen Wahlmännern war und die meisten Rostocker Wahlmänner gegen sich hatte, weil man seinem Charakter nicht vertraut, während andere sich bei den von auswärts kommenden Wahlmännern für seine Wahl bemühten, und diesen letzteren gelang es erst in der zweiten Abstimmung ihn mit einer Mehrheit von wenigen Stimmen durchzubringen.
So eben ½ 10 Uhr Abends erhalte ich gleichzeitig 4 Briefe von Schwerin, worin mir der Wahlcommissarius und 3 meiner dortigen Freunde zu meiner Wahl Glück wünschen, wobei gleich in der ersten Abstimmung sämmtliche erschienenen 125 Wahlmänner einstimmig auf mich gewählt haben. Dies ist ein so unerwartet glänzendes Resultat, daß ich mich dadurch nicht bloß überrascht, sondern beinahe beschämt fühle, weil ich nicht weiß, ob ich im Stande bin, ein so großes Vertrauen zu rechtfertigen.
Jedenfalls finde ich darin den schönsten Lohn für meine bisherige politische Wirksamkeit, da selbst die Anerkennung, die mir von Seiten unserer Regierung zu theil geworden ist, weniger freiwillig und uneigennützig ist, als die von Männern, die ich zum größten Theil nicht einmal kenne, die weder persönlichen Dank noch Hülfe oder Unterstützung von mir zu erwarten haben und die mir ihr einstimmiges Vertrauen entgegenbringen zu einer schwierigen Aufgabe, deren Umfang sich noch gar nicht übersehen läßt, und zu einer öffentlichen Stellung, die unserem ganzen Lande gegenüber eine große und schwere Verantwortlichkeit in sich trägt. – Nun, mein theuerstes Susettchen, ich denke, Du wirst Dich mit mir darüber freuen und der Zukunft, gleich wie ich, getrosten Muthes entgegensehen.
Ich lege hier die Nachricht der heutigen Mecklenburgischen Zeitung über meine Wahl bei3, weil ich denke, daß sie Dich, meine theure Geliebte, interessieren dürfte.
Heute morgen, am Sonntage, meine liebe gute Susette, ist Dein Brief4 hier eingetroffen, der mich wegen so vieler Beweise Deiner Liebe wahrhaft gerührt hat. Du, liebe Seele, warst am Arm gelähmt, u. möchtest mich nicht einmal durch die Mittheilung von Deinem Unwohlsein betrüben, und gehst sogar so weit, selbst meinen Egoismus schonen zu wollen, als ob ich befürchten könnte, in Dir eine kränkliche Frau zu bekommen. Weißt oder bedenkst Du nicht, Susettchen, daß solcher Egoismus keine Schonung verdiente, weil er wenig Liebe bewiese? – Doch lassen wir das – Sophiechens Einfall gefällt mir ausnehmend und erregt in mir den lebhaftesten Wunsch, daß ich meinen Arm um Deine Schultern legen und Dich ans Herz drücken könnte, um Dich vor allen rauhen Winden und Stürmen des Lebens zu beschützen! Inzwischen ist hoffentlich das Leiden, welches recht peinlich5 und hemmend gewesen sein muß, da es Dich wie am Schreiben auch an vielen andern Geschäften verhindert haben wird, jetzt vorüber, und ich darf das um so mehr annehmen, da Du zum Schluß Deines Briefs wesentlich nur in der Taufe bei Lina den Grund findest, weshalb Deine Fahrt nach Donauwörth unterbleiben wird. Doch ist es mir eine Beruhigung, daß Du zu Hause bleibst, wenn ich Dir gleich die Freude von Herzen gegönnt hätte, die liebe Thekla wiederzusehen. Also heute ist die Taufe der kleinen Luise! ich bin mit meinen Gedanken dabei und grüße den lieben Täufling, indem ich den lieben Eltern Gottes Segen wünsche zu seinem wahren Glück u. Wohlergehen! –
Also am 3. März soll nun schon Kiesers u. Augustens Hochzeit sein! Wie gern wäre ich als Zeuge dabei! aber glaubst Du, Susettchen, daß ich es sein möchte, ohne zugleich die unsrige mitzufeiern? Nein, so weit geht meine Uneigennützigkeit doch nicht: das könnte ich nicht ertragen! Nun sage mir, mein Herzensmädchen, wie es da mit der Hausschenke zu halten ist, dergleichen bei Euch üblich? Könnten wir beide vielleicht etwas zusammen geben – aber was dann? Rathe mir, mein Frauchen! oder wenn Du für Deine Person vermöge der elterlichen Vertretung davon dispensirt bist, so rathe mir dennoch, mein Liebchen! Zum voraus gebe ich Dir unbedingte Vollmacht, über mein ganzes Vermögen zu disponiren – also schaffe auch ohne weiteres an, was Du für gut u. passend hältst. Einstweilen grüße Beide von Deinem Liebsten u. sage, daß ich es Ihnen, trotz des Zuvorkommens, gönne, was viel sagen will und nur in Rücksicht auf meine besondere Zuneigung für Kieser u. Augusten der Fall ist.
Leider hast Du Dich diesmal in Deinen durch das längere Ausbleiben meines Briefs6 (den Grund habe ich angegeben) erregten Erwartungen getäuscht, mein liebes Susettchen! Ich wünsche sehr, daß sie seitdem, wenn auch nicht ganz, doch theilweise möchten in Erfüllung gegangen sein, denn Manuel wird gewiß nicht unterlassen haben, Dir die Uhr zu schicken, worum ich ihn noch einmal ausdrücklich gebeten habe: schreibe mir doch ja, ob Du sie erhalten hast. –
Über die Erfurter Wahlen muß ich noch hinzufügen, daß nun auch Beseler statt meiner in Wismar gewählt worden ist, nachdem ich dort abgelehnt hatte: und es ist mir wahrhaft erfreulich, daß ich so an zwei Punkten mit ihm zusammengetroffen bin, und mich auf solche Weise mit meinem alten Freunde wieder zusammenfinde.
Du fragst, ob ich glaube, daß das Erfurter Parlament schon bis zum 1. Mai, bis zum Ablauf des Interims, sein Ende finde? Das nicht gerade, aber doch wohl vor dem letzten Termin des Drei Drei Königsbundes bis zum 1. Juni. Es kann aber sein, daß der Bund erneuert wird u. daß es doch länger dauert; es kann auch sein, daß ich es viel früher verlasse, wenn ich zur Überzeugung kommen sollte, daß ich dort weder für Deutschland noch für Mecklenburg etwas nützen kann – und dieser letzte Fall ist mir im Augenblick der wahrscheinlichste. – Jedenfalls besorge nicht, daß meine Ungeduld unser Interim lange ertragen wird!
Ich umarme Dich u. grüße Dich tausend Mal. Lebe wohl, himmlisches Menschenkind, lebe wohl, meine theure Herzensgeliebte!