Heute Morgen trug ich meinen Brief1 an Dich selbst auf die Post, um ihn recht sicher besorgt zu wissen; es wäre mir herzlich leid, wenn Du wieder so lang auf Antwort warten müßtest. – so eben komme ich von der Stadt zurück, ich war diesen Abend bei Bekannten gebeten, wo ich Gelegenheit hatte, vierhändig zu spielen. Wir spielten die Sinfonie Nro. II von Beethoven2, die ich wunderschön fand; aber bei solchen Meisterwerken drängt sich mir immer die Bemerkung auf, daß ich eigentlich so wenig von Musik verstehe. Ich finde nur nach meinem eignen Gefühl ein Teestück schön oder nicht, aber ich kann mir den Gedanken, der sich durchzieht, nicht klar machen; und darum nicht immer urtheilen, ob eine Composition Werth hat oder nicht. Ich sah es wohl, als ich Dir ein Mal in Simmelsdorf vorspielte, daß Du mit meiner Wahl nicht zufrieden warst; Du, mein lieber Karl, wirst von jetzt an meinen Geschmack bilden und meine Wahl leiten.
Der wunderschöne Herbsttag lockte heute Alle, die sich losmachen konnten, ins Freie, und auch meine Mama entschloß sich zu meinem großen Erstaunen mit uns auf den Hummelstein zu gehen, wo immer Mittwochs Viele unserer Bekannten und Freundinnen ihren Nachmittag zubringen. Du kennst vielleicht den Ort; es ist einer der hübschesten in unserer traurigen Gegend. Deine theure Mutter erzählte mir einst von einem Nachmittage, den sie dort mit Deinem Vater zubrachte, ehe sie versprochen waren; interessant war mirs daher in Erinnerung an Dich, mein theurer Karl und an Deine Eltern den Ort wiederzusehen. Sonst aber war ich wenig befriedigt von der Unterhaltung, die uns dort geboten wurde. Es waren die Meisten meiner Bekannten da, auch meine liebste Freundinnen Lina, Luise Schwarz, Holzschuhers, Wiß und Andre, aber ein großer Kreis, selbst von lieben Freunden ist mir immer weniger genußreich als ein Verein von Wenigen, mit welchen man dann wirklich sprechen kann; und dazu an einem Ort, wo noch Fremde sind, wo jedes Wort, jede Bewegung beobachtet wird. Das Plaudern von allen Seiten, die verschiedenen, flüchtigen Bemerkungen, die abgerissenen, unterbrochenen Gespräche, das Alles macht mich ganz verwirrt und ich bin dann gewöhnlich sehr still. Ihr kennt im Norden diese Kaffeeparthien an öffentlichen Plätzen nicht, glaube ich; und es ist auch wirklich Nichts Schönes daran. Übrigens, mein lieber Karl, fürchte nicht, daß ich so einseitig bin, um mich nur auf den Umgang mit Einzelnen zu beschränken; wo Du mich einführst und bekannt machst, werde ich mit Freuden mich anzuschließen suchen; aber ich bin überzeugt, es ist Dir ein kleiner Kreis von innig vertrauten gleichgestimmten Freunden auch am liebsten; ach ich freue mich so sehr auf Alle, die Dir wirklich nahe stehen.
Gestern konnte ich Dir leider nicht schreiben, da ich zu sehr in Anspruch genommen war; ach es ist mir oft so peinlich, daß ich so schwer ein ruhiges Plätzchen finden kann, um Dir zu schreiben; und wüßte ich nicht, daß Du nachsichtig bist und meine Briefe mehr mit Augen der Liebe, nicht wahr, das darf ich glauben? – als mit dem scharf prüfenden Verstande liest, ich hätte nicht den Muth, sie Dir so unklar und verwirrt zu senden, als sie sich oft durch die mich umgebende Unruhe gestalten; andererseits entziehe ich mich ungern den Kleinen3, die die Haupt-Unruhe-Stifter sind, denn der Gedanke an die Trennung macht sie mir lieber als je. Gewöhnlich schreibe ich Dir, mein theurer Karl, Abends, aber gestern wars so kalt und unheimlich bei uns, daß mir die Hände ganz starr wurden, wenn auch das Herz Dir immer warm entgegenschlägt.
Heute wurde mir eine rechte Herzensfreundin durch den Besuch meines lieben Herrn Pfarrer Deinzer aus Großengsee, der mir mit aller Innigkeit seines treuen, frommen Gemüthes seine Segenswünsche brachte. Du lerntest ihn bei uns kennen, und es thut mir so leid, daß er eben zu der Zeit so gedrückt war durch körperliche Leiden, die einen großen Einfluß auf seine Stimmung äußern. Würdest Du ihn so kennen wie wir ihn Alle kennen, Du würdest ihm Deine Achtung und gewiß auch Zuneigung nicht versagen. Er ist sehr ernst und entschieden, in mancher Beziehung wie Onkel Gottlieb, aber so mild und freundlich in der Beurtheilung Anderer, dabei so entfernt von aller Überspannung und Schwärmerei, daß ich mir schon oft dachte, im Umgang mit diesem Mann, ferne von anderen Einsichten müsse es leicht sein, den rechten Weg zu finden und auch darauf zu bleiben, aber der liebe Gott will ja, daß der Christen Weg durch die Welt gehe, und ich wünsche mir nicht mehr ein abgeschiedenes Leben, wie ich voriges Jahr fast versucht gewesen wäre, sondern bin überzeugt, mit Dir, mein theurer Karl, in unserer traulichsten Häuslichkeit mich auch zum Himmel bereiten zu können, wie Du selbst so schön in Deinem vorletzten Brief schreibst.
Heute trennte ich mich von einer lieben Freundin, mit der ich bis jetzt immer zusammenlebte; es war das rechte Losreißen von den alten Banden, die mich an Nürnberg knüpfen; denn bliebe ich hier, so würde ich sie wahrscheinlich in einigen Jahren. Sophie Schiller reist morgen mit ihrem Mann nach Germersheim, wohin das Regiment, bei dem er steht, verlegt worden ist. Wir kennen uns seit dem zweiten Jahre und durchlebten seitdem Alles miteinander, wenn wir uns auch selten sahen. Die lange Zeit, die Gewohnheit und so viele Erinnerungen, die wir miteinander theilen, sind ein starkes Band, das uns bisher umschloß, und gewiß auch die Trennung überdauern wird. Sie zieht aber freudig mit ihrem Manne, und auch ich fühle, daß ich getrost und heiter Alles verlassen kann um Deinetwillen. Ich dachte mir‘s nie, daß ich mich trennen müßte von Nürnberg und von Allem, was dieses Wort in sich schließt, oder, wenn ich mir’s dachte, so schien mir’s zu schwer; aber da hatte ich noch nicht erfahren, wie das Herz umgewandelt wird durch die völlige Übergabe des eigenen Wesens an ein liebes zweites, und wie man dann keine andre Heimath kennt und wünscht, als die des Geliebten.
Heute können sich unsre Gedanken nicht in der Kirche begegnen, wohl aber doch dort, wohin sie sich bei jedem Gottesdienste richten sollen, denn es wäre schlimm, wenn wir der äußerlichen Kirche bedürften, um Gottes Gegenwart zu fühlen und zu genießen. – Mein lieber Pürkhauer predigte nicht und da kein Anderer der hiesigen Geistlichen mich so anspricht, so zog ich vor, zu Hause zu bleiben und an Dich, Du Liebster meines Herzens, zu schreiben. Wie bringst Du denn gewöhnlich die Sonntage zu? Die meinigen waren bis jetzt immer den guten Großeltern gewidmet, und ich kann nicht laügnen, daß mich das oft nicht recht befriedigte; seitdem ich aber weiß, daß ich bald diesen Kreis verlassen werde, erfüllt die rührende Liebe der Großeltern für ihre Kinder und Enkel, mein Herz oft mit wehmüthiger Freude. Mein theurer Großvater vergnügt sich ordentlich im Anschauen seiner Enkelchen und in seinen Augen erglänzt oft ein Wiederschein des kindlichen Lächelns, mit dem sie ihn umspielen; und die gute Großmutter, die trotz der Schwerfälligkeit des Alters, es sich nicht nehmen läßt, für jedes Kind in Liebe zu sorgen; es ist mir wahrhaft ergebend, dieses liebe Paar, das jetzt ausruht von den Mühen des Lebens so heiter den Abend genießen zu sehen; und ich finde immer wieder Ursache, Gott zu danken, der mich bis jetzt einem so lieben Kreis angehören ließ und mich jetzt einem andern reichen und schönen Verein zuführt, denn das weiß ich, daß ich an Deiner Mutter eine treue liebende Mutter finde und Friederike und Manuel mir theure, liebe Geschwister sind. Ich begreife jetzt nicht, daß ich öfters wähnen konnte, mein Lebensweg sei keiner von den lieblichen und schönen. Deine Liebe, mein theurer Karl, verklärte mir Alles, was ich schon erlebte, und läßt mir die Zukunft im schönsten Lichte erscheinen.
Heute schon hoffte ich auf einen Brief von Dir aber wahrscheinlich vergebens, denn es ist 5 Uhr vorüber, und später kommt der Bote nicht. Nun morgen um so gewisser, denn ich weiß, Du läßt mich nicht lange warten. Wir sind heute Abend zu Meiers geladen, und ich kann jetzt wohl ruhiger hingehen, als wenn ich einen lieben Brief von Dir erhalten hätte, zu dessen Beantwortung es mich immer drängt.
So eben erhalte ich Deinen theuren Brief4, Du lieber, bester Karl!! wie erquickt jeder neue Liebesbote mein Herz nach acht langen Tagen des Wartens. Ach, ich wußte es wohl, daß Du mir gleich schreiben würdest, und daß es nicht Deine Schuld sei, wenn ich länger warten mußte. Dank Dir mein theurer Karl, für jedes Wort der Liebe, das Du mir sagst, für jede Hoffnung auf Glück durch mich, die Du aussprichst. Ach, es ist mir so süß zu denken, daß ich Dich glücklich machen kann, ich will es ja so ernstlich, es ist ja mein höchstes Glück, Dich glücklich zu wissen, und mein höchster Stolz, Etwas dazu beitragen zu können; – aber ich kann jetzt nicht mehr schreiben, die Gedanken drängen sich mir so ungeordnet auf, so aufgeregt bin ich durch den Empfang Deines theuren Briefes, daß ich warten muß, bis sich der Sturm gelegt hat, um Dir zusammenhängend schreiben zu können.
Die Mittheilungen aus dem Briefe Deiner Freundin, Frau Beseler, deren Namen ich schon oft mit Bewunderung und Verehrung nannte, hat mich unendlich gefreut; mein Herz schwillt bei dem Gedanken an ein gleiches Glück, ach, möchtest Du an mir eine Freundin finden, die Dich in Allem zu verstehen vermag! Ich meine wohl manchmal, Deine vertrauensvolle Liebe, die Du mir versprichst, könne Etwas aus mir machen. Mit herzlicher Liebe erwidere ich den Schwestergruß der liebenswürdigen Frau, deren Beispiel zu folgen meine süßeste Hoffnung ist. – Du scheinst sehr viel durch die Politik in Anspruch genommen zu sein; ach, ich finde es ist eine traurige Wirksamkeit, wo so oft bei dem eifrigsten Streben kein Ziel zu erringen ist; aber es drängt Dich, das was Du als Recht erkennst, zu vertreten, und nie sollen da kleinliche, selbstsüchtige Wünsche von meiner Seite, Dich ausschließender zu besitzen Dir hemmend entgegenstehen.
Es berührte mich wohlthuend als ich in Deinem Brief die Erwähnung des Todestages Deines geliebten Vaters fand5, und dieser Tag mit dem zusammentrifft an dem ich mich besonders mit Deinen theuren Eltern beschäftigte. Ich wußte die besondere Bedeutung des Tages nicht, aber unbewußt verlebte ich ihn mit Dir in Gedanken an Deine theuren Eltern, während ich natürlich sonst mehr an die theure Mutter denke, da ich im Ganzen wenig Näheres von Deinem lieben Vater weiß. Du, mein geliebter Karl, wirst mich einführen in die Erinnerung an ihn; gebe Gott, daß ich einige Ähnlichkeit mit Deiner herrlichen Mutter besitze, wie Du mit Deinem Vater.
Nur noch dieß kleine Plätzchen ist mir vergönnt, um Dir, mein liebster Karl, Lebewohl zu sagen. Wegen unsrer Lecture hast Du Nichts zu besorgen; ich mußte lächeln, als ich den herrlichen Monolog Iphigenies6 las, aber ich fürchte ihr Schicksal nicht; mit Dir fühle ich mich nie einsam.
Aus Deinem Brief7 an meine gute Mutter sehe ich, daß die Genesung der geliebten Mutter recht langsam geht; wie heftig muß doch der Fall gewesen sein; Gott wolle seinen Segen zu ihrer baldigen Wiederherstellung geben!! ich liebe sie so innig!!
Ich hätte Dir noch viel zu sagen, aber es geht heute nicht mehr. Leb wohl mein theurer Karl