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Karl Hegel an Susanna Maria Tucher, Rostock, 9. – 10. Februar 1850

Mein liebes Susettchen! Es drängt mich ein inneres Sehnen und Verlangen zu Dir, nachdem ich mehrere Tage verhindert war, an Dich zu schreiben. Was mich verhinderte, waren vielerlei Correpondenzen, mündliche Verhandlungen und dergleichen Nebengeschäfte; auch war ich zwei Mal mit Freunden zusammen, Stannius u. Leist – Abends, wo ich Dir zu schreiben pflege; ferner habe ich ein Sendschreiben an meine Wähler1 in Betreff meiner Vertretung in Erfurt drucken lassen, was ich Dir schicken möchte; endlich fanden unsere ersten Wahlen d. h. die eines Drittels der Abgeordneten für Schwerin statt. Das sind so meine Nebengeschäfte gewesen, meine theuerste Geliebte, die mich Dir entzogen haben – entzogen, nicht in der Treue meines Herzens, aber in der brieflichen Mittheilung. Glaube mir, vielgeliebstes Susettchen, daß Du, und meine Vereinigung mit Dir, mir so im Sinne liegt, daß mein ganzer gegenwärtiger Zustand mir überall nur als ein provisorischer erscheint, aus dem ich so bald wie möglich herauskommen möchte ins Definitivum. Und ich beschäftige mich oft mit Plänen und Möglichkeiten, wie sich der Sache am schnellsten ein Ende machen ließe! – Bald denke ich, Dich sofort von Nürnberg mit nach Erfurt zu nehmen oder von Erfurt aus Dich abzuholen, wenn es dort länger dauern sollte, als ich erwarte – ich könnte 14 Tage Urlaub dazu nehmen u. Dich, als meine herrlichste Errungenschaft des Erfurter Parlaments, dorthin zurückbringen: wie viel Interessantes würdest Du da sehen und hören! aber zuvor müßte ich dort eine gemüthliche Wohnung für uns Beide gefunden haben u. gewiß sein, daß ich noch Zeit genug übrig behielte, mich Dir zu widmen, um Dich nicht den ganzen Tag in der Einsamkeit, d. h. Trennung von mir, lassen zu müssen, was für uns Beide unerträglich wäre – und was so alles meine unnützen vorfliegenden Gedanken sind, über die für jetzt noch zu gar keinem Schluß zu kommen ist.

Übrigens bin ich froh, daß ich die Wahl nach Erfurt angenommen habe, um nicht nach Schwerin als Abgeordneter zu gehen: denn das erste Drittel der Wahlen, an welchen freilich nur die unteren Schichten des Volks Theil nahmen (die welche unter einem gewissen Betrag steuern), ist so abscheulich schlecht ausgefallen, daß ich mich schämen würde, mit einem zum Theil so schmutzigen Gesindel zusammenzusitzen oder gar mich herumzuzanken, daß ich den Ekel nicht ertragen würde, die hohlen oder nichtswürdigen Reden dieser Leute alle Tage hören zu müssen, wovon ich schon im vorigen Jahre übersatt geworden bin. Es kann sich sogar so schlecht gestalten, daß diese demokratische Partei, deren Anhang in städtischen Arbeitern, kleinen Handwerkern u. hauptsächlich in den ländlichen Tagelöhnern besteht, die Oberhand in der Kammer gewinnt – wenn sie nur noch bei einem Theil der übrigen Wahlen, die freilich mehr von den vermögenden Klassen abhängen, durchdringen: und dann würde eine Auflösung der Kammer und wohl auch der Erlaß eines neuen Wahlgesetzes nothwendig sein, um nur das Land u. die Verfassung zu retten. Vielleicht gelingt es dem Erfurter Parlament, durch allgemeine Satzungen in den kleineren Staaten, die sich an Preußen anlehnen, eine feste Ordnung herzustellen; dazu würde ich mit Freuden mit helfen!

Mein süßes Liebchen! Heute morgen überraschte mich Dein liebes Briefchen2, aus welchem ich ersehe, wie vielfach sich unsere Gedanken begegnen. Aber ich erschrak über die Verschlimmerung Deines rheumatischen Übels, welches Dich nun gar bettlägerig gemacht hat, und Du schreibst mir auch nicht einmal, nachdem Du dieses am 3. Februar gemeldet, ob es seitdem besser geworden ist, und ich muß aus Deinem Stillschweigen darüber leider vermuthen, daß dies nicht der Fall ist, weil Du es sonst wohl zu meiner Beruhigung erwähnt hättest. Schreibe mir ja nur recht offen und vollständig darüber, damit ich klar sehe u. mir keine unnützen Sorgen mache; verheimliche mir nichts, mein liebes Susettchen, was Dich betrifft; ich darf es bei unserer Liebe verlangen, an Allem, was Dich freut oder was Du leidest, was Dich bekümmert, Theil zu nehmen, und Du würdest meiner Liebe nicht ihr vollständiges Recht gewähren, wenn Du aus falscher Schonung für mich, mir etwas verheimlichen wolltest. Es wird nöthig sein, liebes Susettchen, daß Du auf Deine Gesundheit etwas mehr achtest und nicht zu viel auf sie vertrauest. Ich bemerkte schon damals zu Weihnachten, daß Du zu leicht gekleidet gingest, in einem dünnen Mäntelchen bei aller Kälte: laß Dir ja dies Mäntelchen ordentlich wattiren, oder zieh ein Tuch darunter an; sonst ist es fast gar nicht anders möglich, bei Euren heißen Stuben, als daß Du, wenn Du in die Kälte hinausgehst, Dich erkälten mußt. Warte nur, Susettchen, wenn ich Dich erst habe – ich will Dich gehörig einpacken!

Heute nun – es ist Sonntag – hoffe ich, wirst Du bei Linen zur Taufe sein, und ich trage meine herzlichen Glückwünsche dazu abermals nach. – Wegen des Hochzeitsgeschenks für Kieser erwarte ich Deine Vorschläge: was sagst Du zu einem hübschen geschliffenen Trinkglas, in Form eines großen Weinglases, mit meinem Namenszuge? ich würde das wie eine Erwiderung auf seinen Bierhumpen behandeln u. damit die Aussicht auf eine Revanche abschneiden – oder es könnte auch eine hübsche große Caffetasse sein, etwa mit einem Deckel, worauf meine Anfangsbuchstaben C. H. in Gold aufzubringen wären.

Beim Bierhumpen fällt mir ein, daß ich mir zur Ausstattung noch ein paar Biergläser in Nürnberg anschaffen werde, so wie sie dort in den Bierstuben üblich sind, von dickem Glas mit runden Vertiefungen – denn ich habe meinen hiesigen Freunden versprochen, daß ich Sie mit Nürnberger Bier tractiren will, u. ist es meine Absicht, mir ein Fäßchen davon zur Zeit, wo die Versendung am besten geschehen kann, kommen zu lassen. Darüber wird Kieser am besten Bescheid geben können u. vielleicht ist er auch so gut, die Besorgung zu übernehmen – er weiß, wo gutes Bier zu haben ist! – nur müßte ich dagegen gesichert sein, daß er mir nicht etwa ein Geschenk damit machen will, u. würde ich deshalb Deinen lieben Vater bitten, die Auslage für mich einstweilen zu übernehmen: es versteht sich, daß das Bier erst getrunken wird, wenn Du als liebenswürdigste Nürnberger Wirthin u. Hausfrau bei mir bist.

Vor meiner Abreise nach Erfurt werde ich hier meinen Umzug bewerkstelligen u. die nöthigen Anordnungen treffen, daß ich vor unserer Hochzeit nicht noch einmal hierher zu kommen brauche: es kommt mir dabei zu statten, daß die obere neu aufgebaute Etage ganz leer steht, so daß ich alle meine Sachen dorthin stellen kann. Indessen wird der Herd umgesetzt u. die neuen Öfen: Frau Karsten kann das Küchengeschirr d. h. das irdene auf dem Pfingstmarkt einkaufen; die bestellten Möbel für Küche, Mädchenstube u. dergleichen werden bis dahin ebenfalls fertig sein, das andere bringen wir von Berlin mit. –

Über das Befinden meiner lieben Mutter hat mir Manuel noch nichts Tröstliches geschrieben; sie liegt viel zu Bette, da sie auch an Rheumatismus leidet, und ist oft sehr trübe gestimmt, wenn sie an die kommenden Tage u. ein lang fortgesetztes Leiden denkt. Hoffentlich wird ihr das Frühjahr im Genuß der frischen Luft Linderung bringen. Daß Manuel in ihre Nähe zieht, habe ich Dir, glaube ich, schon geschrieben – auch das wird ihr tröstlich sein.

Wie leid thut es mir, liebes Susettchen, daß Du die Uhr noch nicht wieder hast; ich weiß nicht, woran es liegt, habe Manuel daran erinnert.

Nun, meine Vielgeliebte, muß ich schließen, ehe die Seite zu Ende ist: man wartet auf mich mit Ungeduld. Grüße Deine lieben Eltern u. Geschwister, schreibe mir zu Anfang u. zu Ende Deines Briefs, wie es Dir geht, ob Deine Gedanken fröhlich oder traurig sind: wir müssen Alles mit einander theilen, hörst Du, mein Susettchen!

In inniger Liebe
Dein Karl.

NB. Damit Du statt eines längeren Briefes noch etwas von mir zu lesen hast, will ich Dir mein „Sendschreiben“ beilegen, wenn auch das Porto dadurch etwas vertheuert wird.