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Susanna Maria Tucher an Karl Hegel, Nürnberg, 23. – 29. Januar 1850

Ach, wenn ich nur einen Augenblick bei Dir sein könnte, mein theurer, vielgeliebter Karl, um zu sehen, wie es Dir geht, ob Du wieder ganz wohl bist. Gerade heute vor acht Tagen, ich war so heiter und hatte keine Ahnung davon, warst Du so unwohl, daß Du mir kaum zu schreiben vermochtest; sieh‘ da wird mir die Trennung von Dir, mein Geleibter, mit dem ich Alles theilen möchte, recht schwer; wenn ich mir denke, wie oft Du vielleicht verstimmt oder unwohl bist und nicht heiter sein kannst, während ich lache und scherze. Ich fühle es immer mehr, daß ich jetzt nur ein halbes Leben führe und der Zweck meines Daseins wohl dann erfüllt ist, wenn es mir vergönnt ist, Dir als treue Lebensgefährtin zur Seite zu gehen und mit Dir nach höherer Vollendung zu streben.

Von einer freundlichen Hoffnung, die mir heute geboten wurde, muß ich Dir doch schreiben; es soll mir nämlich vielleicht die Freude zu Theil werden, meine liebe Tante Thekla wiederzusehen, wenn auch nur auf kurze Zeit. Herr Doktor Reuter fährt Sonntag über acht Tage2 nach Donauwörth, um mit Onkel und Tante und dem Neuburger Arzt eine Besprechung zu haben, und da war er so freundlich, mich aufzufordern, ihn zu begleiten. Es wären allerdings nur einige Stunden, die ich mit der guten Tante zubringen könnte, aber doch wäre es mir jetzt eine große Freude, sie zu sehen, mündlich mich gegen sie auszusprechen. Sie ist eine so innig liebe Seele und hat besonders für mich eine große Zuneigung und viel Theilnahme, da meine bisherigen Führungen sehr denjenigen ihrer Jugend gleichen. Es ist mir so leid, daß Du sie nicht näher kennen lerntest. – Ob mein lieber Vater sich bewogen fühlt zu diesem Rendez-vous seine Einwilligung zu geben, weiß ich noch nicht, aber ich hoffe es von seiner, so oft erprobten Güte. – Ich muß für jetzt schließen, denn die Unruhe der Kinder wird mir ein wenig zu arg; Gottlieb ist heute von Erlangen heraufgekommen und will aus den Dorfgeschichten3 vorlesen; so ist also keine Ruhe und Stille mehr zu hoffen; leb wohl, mein Geliebter! es ist jetzt 7 Uhr Abends; ob Du wohl in Deinem ruhigen Stübchen an mich jetzt auch schreibst?

Du wirst staunen über die bedeutende Lücke, die in meinem Tagebuche entstanden ist; ich möchte Dir wohl gerne den Grund davon verhehlen, mein Herzens-Karl, aber es geht nicht und ich muß Dir bekennen, daß ein leichtes Unwohlsein, ein rheumatischer Schmerzen in der rechten Schulter mich diese letzten Tage am Schreiben hinderte.

Sieh – aus zwei Gründen möchte ich dies gerne nicht gestehen; ich weiß doch, daß es Dir leid ist um meinetwillen, und dann selbst Du auch nicht Ursache haben zu fürchten, an mir eine kränkliche, leidende Frau zu bekommen, was ich durch meinen lieben Papa als das Entsetzlichste für Männer habe erklären hören; aber für beide Besorgnisse habe ich Hülfsmittel in Bereitschaft; meinetwegen sei ganz außer Sorge, mein Geliebter, in wenigen Tagen wird es wahrscheinlich wieder ganz gut gehen, und Deinetwegen glaube ich auch, Dich bitten zu dürfen, beruhigt zu sein; ich rühmte mich bisher als eine Ausnahme in der jetzigen Mädchengeneration, was Gesundheit anlangte, und hoffe mein gutes Renommé weiter behaupten zu können; wahrscheinlich ist der gar rauhe, veränderliche Winter daran Schuld, daß ich bald mit Husten oder andern Folgen der Erkältung zu thun habe oder hat Sophiechen Recht, die in Bezug auf meine Schulter-Schmerzen aüßerte: das kommt daher weil Karl  nicht mehr da ist, der seine Arme um Deine Schulter legt, und Dich vor dem rauhen Wind schützt ?? mein lieber lieber Schutzengel, ich bedarf Deiner immer, so hast Du mich schon verwöhnt.

Dein Freund Kieser war gestern hier, um mir mit seiner Auguste anzukündigen, daß die sehnlich erwarteten Papiere gekommen sind, und die Hochzeit jetzt für den dritten März anberaumt ist. Du erfreust Dich gewiß herzlich mit ihm, mein Geliebter! Kieser läßt Dich noch ganz besonders grüßen, und meinte es wäre recht schön, wenn Du dazu kommen könntest. Ja freilich wäre es schön, ach es wäre herrlich; aber es kann nicht sein. Selbst wenn Du zu dieser Zeit vielleicht in Erfurt, also doch viel näher an unsrem Nürnberg wärest, so verdiente ein solcher Gedanke das Prädikat „unvernünftig“; nicht wahr? und ich bin ja sehr vernünftig und will es auch bleiben.

Ich bin heute schon einmal ungenügsam, denn ich erwartete sehnlichst einen Liebesboten von Dir, mein Theuerster, und es will mir nicht recht behagen, daß mir dieser Mondtag Nichts brachte. Wahrscheinlich ist der abscheuliche Schnee Schuld an dieser Verzögerung; könnte ich mein ganzes Herz in jeden Brief einschließen, so würde Eis und Schnee schmelzen und freie Bahn lassen. – Vielleicht erhalte ich auch dieß Mal Deine Antwort nicht direkt, sie macht vielleicht den Umweg über Berlin und der liebe Manuel ist so gut mein Uhrchen beizupacken, oder sollten vielleicht meine kühnsten Wünsche erfüllt werden und der Brief in Begleitung des lieben Schreibers en miniature und unbelebt, aber doch so werthvoll für liebende Augen, kommen? – Ich muß jetzt aber wahrlich aufhören, sonst zürnst Du meiner Ungenügsamkeit, mein Liebster, sei nicht bös, aber ich sehne mich oft recht nach Dir, und ich meine es wäre mir ein großer Trost, dann Dein liebes Bild zu besitzen, und mich am treuen Blick Deiner lieben Augen zu erfreuen.

Wie glücklich macht mich Dein heute empfangener ersehnter Brief4, der mir so gute, befriedigende Nachrichten von Dir bringt. Dank Dir, mein Liebster, für all Deine treue Liebe und Sorgfalt, mir meine künftige Heimath so lieb und traulich zu machen. Glaube mir, mein geliebter Karl, ich bin jetzt schon so heimisch in unserm Häuschen, so wie auch im Kreis Deiner Freunde, daß ich mit Muth daran denke auch unsrer Lisette gegenüber als Frau aufzutreten. Ich danke Dir noch besonders, mein theurer Karl, daß Du bei der Wahl unsres Dienstmädchens auch darauf Bedacht nahmst, ein im Kochen erfahrnes und gewandtes Mädchen zu miethen, bis ich mit der mecklenburgischen Art des Haushalts mehr bekannt bin.

Mit Deiner muthmaßlichen Wahl nach Erfurt bin ich ausgesöhnt, so wie ich weiß, daß sie Dir nicht ganz unlieb ist. Gott gebe, daß Deine Hoffnungen sich erfüllen, und die Verfassung unsres engern Vaterlandes dadurch geschützt und befestigt werde. – Glaubst Du denn aber, daß der Erfurter Reichstag5 schon am 1ten Mai, mit Ablauf des Interim, geschlossen ist, wenn er erst am 20ten März in Wirksamkeit tritt? sonst würde freilich unser Interim länger dauern, als das des deutschen Vaterlandes! Und dann müßte ich all meine Vaterlandsliebe zusammennehmen, um dem Reichstag nicht zu zürnen, der mir meinen Liebsten vorenthält.

Von Herzen freut es mich, daß das Mendelssohn’sche Lied das rechte ist, ich werde es mir gleich abschreiben lassen und es eifrig studieren; was übrigens Deinen Wunsch hinsichtlich des Singens betrifft, so fürchte ich, ihn nicht erfüllen zu können, meine Stimme ist eigentlich doch gar Nichts; sie müßte nur durch den äußern und innern Frühling wieder erfrischt werden; ich wäre selbst so glücklich darüber, denn der Verlust derselben hat mir manche Thräne gekostet.

Für Deine freundliche Erinnerung an die liebe Mutter zu schreiben, danke ich Dir schönstens; ich schrieb vorgestern6 und legte ein paar Zeilen an Friederike bei; gewiß soll sie, die theure Mutter, nicht mehr so lange ohne direkte Nachricht von uns sein, es war gar nicht recht von mir. Wie leid sind mir die wenig guten Nachrichten, die Du, mein Liebster, mir von ihrem Befinden gibst. Ich fürchte, wir dürfen nur von der bessern Jahreszeit Besserung erwarten. – Ich bin recht froh, daß der Brief an Xeller richtig angelangt ist, Deine Grüße an Fanny werde ich bestens bestellen, so wie ich sie sehe. Ich sprach sie schon lange nicht mehr, wie ich überhaupt jetzt selten geselligen Verkehr suche, so daß die Mutter gestern scherzend meinte, nicht nur die Dienstmädchen machten weniger Unbequemlichkeiten, wenn sie einen Bräutigam haben, als wenn sie einen suchen, auch die Fräulein, das sähe sie an mir. Nicht als ob ich sonst öfter ausgegangen wäre, um mir einen Bräutigam zu suchen, aber da ich mich innerlich nicht so befriedigt fühlte, so suchte ich öfter Zerstreuung aus dem Hause, während ich jetzt überall mein höchstes Gut, mein vollkommenes Genüge, Deine Liebe mein Einzig-Geliebter, mit mir herumtrage. Doch jetzt muß es genug sein des Geplauders! leb wohl, mein Liebster, von meinen Eltern und Geschwistern die schönsten Grüße, ebenso von Lina und Friedrich, wo Alles gut geht. Das Kindchen soll nächsten Sonntag getauft werden, und den Namen Luise erhalten. Wie glücklich wäre die liebe Tante über die herzigen Kinderle! Meine projektirte Fahrt nach Donauwörth wird wohl der Taufe wegen unterbleiben; vielleicht wäre es mir auch nicht gut, mich so der Kälte auszusetzen.

Leb wohl mein Geliebter; Gott behüte und beschütze Dich allüberall!
Deine Susette.