Mein liebstes Susettchen! So eben erhalte ich Deinen Brief1 vom 10. dieses Monats, der unserem nah gehofften Glück einen neuen unerwarteten Aufschub bringt. Wenn uns der Himmel die Prüfung eines Leidens oder einer Entsagung auferlegt, so müssen wir sie mit Fassung und Standhaftigkeit ertragen. In unserem Falle sind weit mehr die Gründe des Aufschubs zu beklagen als dieser selbst, und wünsche ich vor allem, daß sie zuerst möchten beseitigt werden, damit der frohe Tag unserer Verbindung von uns und unseren nächsten Angehörigen mit ungestörter Freude gefeiert werden könne. Gottlieb wird sich hoffentlich schnell von seinem Krankheitsfall erholen; Mariechens langwieriges Leiden betrübt mich innig; doch gebe ich die Hoffnung nicht auf, daß auch sie uns an unserem Hochzeitstage nicht fehlen wird. Unter diesen Umständen läßt sich ein neuer bestimmter Termin für denselben wohl noch nicht festsetzen, und der von Dir angenommene Aufschub könnte sich leicht auch länger als auf acht Tage erstrecken. Ich nehme daher noch nichts für bestimmt an und werde erst weitere Nachrichten von Dir erwarten, bevor ich der Erfüllung meines Glücks entgegen eile; ich werde sie in Berlin erwarten, wohin ich mich morgen begeben will, nur Dir näher zu sein: denn hier in Rostock mag ich nicht länger bleiben und nach Nürnberg darf ich noch nicht kommen, wie sehr auch mein Herz nach Dir verlangt, um nicht den Aufschub für uns, für die lieben Eltern und Angehörigen noch peinlicher2 zu machen. Wenn es denn bei dem 20. oder 27. Mai bleibt, werde ich am Mittwoch oder Donnerstag vorher von Berlin und, wenn möglich, in Begleitung Manuels abreisen. Käme ich jetzt gleich, so müßte ich Manuel, der nur kurze Zeit abkommen kann, allein nachreisen lassen, was mir gleichfalls leid wäre. Es ist also besser, mein liebes Susettchen, daß wir unsre Sehnsucht, uns wiederzusehen, noch fristen, bis daß die Gewißheit vorhanden ist, daß unsrer Verbindung nichts mehr im Wege steht.
Unterdessen habe ich hier im Hause Deine Stube mit einer neuen freundlicheren Tapete und Deckenmalerei bekleiden lassen, wie es noch der ausdrückliche Wunsch meiner lieben Mutter war, die von ihrem Krankenlager aus sich mit rührender Liebe um unsere Einrichtung bis in alle denkbaren Einzelheiten hinein bekümmert. So wird nun bis zu unserer Ankunft Alles schon so weit vorbereitet sein, daß wir uns aufs schnellste und leichteste in eine gemüthliche Häuslichkeit versetzen können.
Meine liebste Susette. Schon bin ich Dir um eine Tagereise näher gerückt und befinde mich wieder bei meinen Lieben in Berlin. Es ließ mich nicht länger ruhen in Rostock, und abwarten kann ich hier in Berlin besser als dort. Ich habe meinen Urlaub auf vier Wochen vom Pfingstfeste an erhalten3; im Nothfall könnte ich ihn auch noch verlängern lassen; doch gebe ich vorläufig die Hoffnung noch nicht auf, daß er ausreichen werde. Ich habe mir einige Bücher mitgebracht, mit denen ich mich hier unterhalten werde; denn Menschen mag ich nicht viele sehen; sie und Alles, was Berlin sonst bietet, hebe ich mir für Dich auf; auf mich allein angewiesen, mag ich nichts als studiren und an Dich – denken. Wenn ich Dir nur Deine Trübsal etwas erleichtern könnte! Dein lieber Brief, den ich hier vorfand, bringt neue schmerzliche Nachrichten. Daß Gottliebs Krankheit einen so bösen Charakter annehmen würde, hatte ich nicht erwartet. Ich kann mir denken, wie sehr Ihr Alle, besonders die lieben Eltern, seinetwegen in Sorgen sein werden: ich suche die schlimmsten Befürchtungen von mir abzuwehren, doch ich gewahre aus Deinem Briefe, daß sie Euch nahe sind, weil auch Du sie nur abzuwehren versuchst, und so kehren sie mir wieder. Unter diesen Umständen können auch wir, meine einzig Geliebte, nichts über unsere nächste Zukunft bestimmen, und ich selbst finde mich außer Stande, jetzt irgend einen Entschluß zu fassen, der auf sie sich bezieht. Ich erwarte daher die weitere Entscheidung von den nächsten Briefen und Nachrichten von Dir: gebe Gott, daß sie eine bessere Botschaft, als die letzten bringen! Wenn ich Deinen und meinen Wunsch, geliebte Susette, schon während des Pfingstfestes bei Dir zu sein, jetzt nicht erfülle, so wird Dir gewiß Dein Gefühl den Grund davon sagen, ohne daß ich ihn auszusprechen brauche. Ich verzichte mit Schmerz nicht bloß auf die Wonne, Dir nahe zu sein, sondern auch auf die Befriedigung, Dir die bangen Stunden, zwischen Furcht und Hoffnung, zu erleichtern; mit Kummer denke ich daran, welche getheilte und entgegengesetzte Empfindungen Deine Brust in der letzten Zeit bewegten und ängstigten. Doch hoffe ich auch, daß Dein schönes Vertrauen auf Gott Dich aufrechthalten und stärken wird, wenn neue Schickungen des Himmels uns in den Weg treten sollten; ich kenne Dich als mein charakterfestes Mädchen und weiß, daß Du kein schwankendes Rohr bist. Also wollen wir beide fest zusammenhalten in der Liebe und uns gegenseitig eine Stütze sein durchs Leben, mag kommen, was da will!
Von so schöner Fassung geben mir Manuel u. Friederike hier ein edles Vorbild. Selbst der frische Schmerz ihres unersetzlichen Verlustes hat ihre Theilnahme an meinem, an unserem Glück um nichts geschwächt, und nicht bloß Manuel, sondern auch Friederikchen ist jetzt bereit uns durch ihre Anwesenheit bei unserem Hochzeitsfeste zu erfreuen und zu beglücken, und Du kannst versichert sein, daß sie nicht ihre Trauer, sondern die Mitempfindung für unser Glück werden vorwalten lassen.
Doch was rede ich jetzt von diesem lang ersehnten und nun wieder fern gerückten frohen Tage! Wenn Du diesen Brief erhältst, wirst Du besser wissen, wie nahe oder fern er steht, als ich es jetzt ahnen kann. Möge Gott Eurem theuren Hause Alles zum Besten wenden! – Nur mit Wenigem will ich Dir noch erklären, meine theure Geliebte, 4 von Dir geworden ist. Ich hoffte früher in Berlin anzukommen u. Dir die Antwort einen Tag früher zukommen zu lassen, nämlich von gestern; allein meine Abfahrt in Rostock wurde gestern morgen dadurch unerwartet verhindert, daß mein Gepäck zu spät auf dem Eisenbahnhof eintraf, um noch mit mir selbst befördert zu werden, u. so zog ich es vor, selbst noch bis zum Nachmittag um 4 ¼ Uhr in Rostock zu bleiben, kam gestern Abend nur bis Wittenberge u. heute gegen Mittag in Berlin an; auf die andere Art wäre ich schon gestern Nachmittag um 4 Uhr in Berlin gewesen. Diese Verzögerung meines Briefs ist mir diesmal doppelt peinlich, weil ich aus dem Deinigen ersehe, daß Du mich selbst noch – und gewiß mit Ungeduld – erwartest. Wenn ich diesmal noch nicht sogleich komme, so weiß ich, meine Susette, daß Du darum nicht an meiner sehnsuchtsvollen Liebe zu Dir zweifelst.
warum diese Antwort so spät zu Dir gelangt, eine Antwort auf zwei BriefeManuel u. Friederike kamen nach Tisch mit ihrem munteren und liebenswürdigen Mariechen zur lieben Mutter u. mir und haben uns eben verlassen. Von Euch und von uns war vor allem die Rede. –
Glaube doch Eurem erbärmlichen Nürnberger Correspondneten kein Wort von Allem was er über Preußen, die Union und das Parlament sich berichten läßt5, wenn er es nicht aus besser unterrichteten oder weniger gehässig gegen Preußen gesinnten Zeitungen entlehnt hat. Daß das Erfurter Parlament am 26. dieses Monats wieder zusammen kommen sollte, ist rein aus der Luft gegriffen; vor vier Wochen ist schwerlich daran zu denken: auch handelt es sich bei diesem Wiederzusammentreten nur um eine oder zwei oder ganz wenige Sitzungen. Zu den für uns hinderlichen oder aufschiebenden Umständen hast Du es jedenfalls nicht zu nehmen, da ich es lediglich von meiner Convenienz in der Hauptsache abhängen lassen werde, ob ich nach Erfurt gehe; in Betracht daß es sich nur um einige rein formelle Angelegenheiten, wie die förmliche Einsetzung der Unionsregierung, Beeidigung usw. handeln wird, wobei ich wenig oder nichts versäume. –
Deinen lieben Eltern bezeuge meine inngste Theilnahme für die neue ängstliche Sorge, welche in ihr Haus in demselben Augenblick, da es zu unserem Feste bereitet werden sollte, eingekehrt ist. Sage der lieben Mutter, daß ich ihr darum nicht weniger für ihre liebevollen Anstrengungen zur Erfüllung unsrer Wünsche danke, wenn auch unsre Absicht durch den neuen betrübenden Zwischenfall vereitelt worden. Möge inzwischen schon jede schwere Besorgniß gehoben sein! Ich erwarte hierüber baldigste Nachricht, mein innig geliebtes Susettchen, und grüße Dich in Liebes Sehnsucht und Verlangen. Schreibe mir auch von Deiner Freundin Luise u. grüße sie, so wie von Frau Wiß. – Lebe wohl mein Herz!