Innig geliebte Susette! Ich muß mich beinahe gewaltsam aus meinen politischen Speculationen herausreißen, um die Feder für Dich zu ergreifen: mein Herz gehört Dir, aber mein Kopf geht seinen eigenen Weg und ich muß ihn erst mit dem Zügel regieren, damit ich ihn auf die Stelle des Herzens zurückbringe, um mich so mit mir selbst in Harmonie zu bringen und mein getheiltes Sein zu einigen. Wenn ich aber so mich Dir ganz hingebe, fühle ich eine süße Befriedigung, nur gemischt mit sehnsüchtigem Verlangen nach Deiner Nähe. Oft stelle ich mir vor, wie es wäre, wenn Du in diesem oder jenem Augenblick bei mir wärst, was wir miteinander vornehmen würden, wie Dir dieses und jenes erscheinen würde, welchen Eindruck eine Unterhaltung oder ein Benehmen, namentlich von Frauen, auf Dich machen möchte. Ich urtheile dann aus Deiner Seele heraus, in die ich mich hineinzuversetzen glaube. Meine liebe Susette, ich habe Dich viel beobachtet, ohne daß Du es merktest, habe Deine unwillkürlichen Regungen in dem leichten Wellenspiel Deiner Gesichtszüge verfolgt und erhascht, wie ein Dieb, und bin so allmählich in die Tiefe Deiner reinen und klaren Seele hineingedrungen, noch bevor Deine Liebe sie mir zur lieblichsten Wohnung einräumte: so schaue ich also mit Deinen Augen aus ihr heraus. Nun will es mir aber gar nicht so scheinen, als ob es dieser lieben himmlischen Seele, in der ich meine längst gesuchte Heimat gefunden, hier bei mir und in meiner Umgebung bange werden könnte: ist sie mir doch überhaupt gar nicht zaghaft und ängstlich vorgekommen, sondern ruhig, heiter und fest; ich glaube, sie würde auch schwere Stürme des Schicksals besonnen und ergeben ertragen, wie sie auch schon jetzt von solchen nicht verschont geblieben ist. Und einer solchen Seele sollten meine hiesigen norddeutschen Freundinnen imponiren? wieso denn und woher? weil sie etwa ein bischen Witz und Gewandtheit zum voraus haben? Damit wollen wir schon fertig werden, meine liebe Seele, und uns darum nicht für geringer halten und vor Niemandem demüthigen, es sei denn aus Liebe.
Liebe Susette! Wenn ich hier mit ein Paar Freunden zusammen bin, so müssen sie auf Deine Gesundheit mit mir anstoßen, und weil sie wissen, daß sie mir damit einen Gefallen thun, so kommen sie mir zuvor und der Name meiner Geliebten wird immer wieder aufs neue verherrlicht. Da ich vorgestern zu Mittag bei Stannius war, ließ er seinen besten Asmannshäuser heraufholen und Frauen und Kinder mußten alle zusammen mit uns Dir ein dreimaliges Hoch ausbringen. Die Ohren müssen Dir davon geklungen haben. Wahrscheinlich warst Du zu derselben Zeit bei den Großeltern, und vielleicht hat auch da jemand Dir zu Gefallen mir ein Hoch ausgebracht.
Nach einer Wohnung habe ich mich in diesen Tagen noch nicht weiter umgesehen, da ich etwas viel beschäftigt war. Am liebsten würde ich vor dem Thore miethen, wo die Häuser im Freien liegen und Gärten haben: aber es sind deren nicht viel und augenblicklich scheint nichts zu haben zu sein. Sonst habe ich in der Stadt wohl mancherlei Wohnungen gesehen, aber theils ist die Lage unangenehm, theils die innere Einrichtung ungemüthlich und unwirtschaftlich. Ich denke in Deinem Sinn zu handeln, wenn ich hauptsächlich auf die innere Behaglichkeit sehe und 1, würde ich mir ein Häuschen vor dem Thore anbauen, um es nur ganz nach Wunsch einzurichten.
werde, ehe ich miethe, noch eine meiner Freundinnen mitnehmen, um die Wirthschaftlichkeit zu begutachten, damit Du es auch in dieser Beziehung nach Wunsch findest. Der Preis einer Wohnung, so wie ich sie brauche, nicht zu klein aber auch nicht größer als nöthig, liegt zwischen 150 – 200 Thaler jährlich. Wenn ich hier zu bleiben glaubteMeine theuerste Geliebte! Gestern Abend wurde ich verhindert Dir zu schreiben, weil mich mein Freund Stannius zu einem deutsch gewordenen Engländer hinführen wollte, von dem und dessen Frau er mir viel Anziehendes erzählt hatte. Er heißt Samson, hatte früher hier in Mecklenburg ein Landgut und lebt nun, wenn er nicht auf Reisen ist, in Rostock, mit einem Einkommen von 6 – 7000 Thalern jährlich. Da er mit solchem Einkommen in aller Welt leben könnte, aber doch Rostock als Wohnort vorzieht, so siehst Du daraus, meine Susette, daß es doch hier nicht so übel zu leben sein muß. Freilich ist seine Frau von hier, aber sie wünschte sich lieber fort, weil sie an ihren Verwandten keine Freude haben kann. Die Bekanntschaft von dieser interessierte mich doppelt, weil ich dabei an Dich dachte, ob sie Dir vielleicht angenehm sein würde. Ich muß aber jetzt sagen, daß ich dies kaum glaube, weil mir die Frau in ihrer Feinheit und Eleganz des Benehmens zu wenig natürlich, zu wenig deutsch, und beinahe englisirt vorkam; für eine Engländerin würde ichs mir gefallen lassen, aber nicht für eine Deutsche: übrigens ist sie sehr, was man so nennt, gebildet.
So eben treffen wieder liebe Briefe aus Berlin ein, und dabei ist einer von Dir, mein geliebtes Susettchen, an meine Mutter.2 Du Engel, wie Du mich liebst! Ich verdiene wirklich nicht so viel Liebe, aber ich nehme sie hin über mein Verdienst mit Dank gegen Dich, Geliebte, und Gott. – Meine liebe Mutter will sich mit der Deinigen um unsere künftige Einrichtung bemühen, und ich werde mich nun hier genau, gleich morgen, erkundigen, wie sich Alles am besten vorbereiten läßt. Die theure Mutter rühmt es, daß sie sich bei dem Gebrauch der ihr vom Arzte verordneten Mittel doch merklich besser befinde und gute Hoffnung habe, bald beweglicher zu werden.
Gestern Abend war ich wieder in Gesellschaft. Was wirst Du, liebste Susette, von unsrem hiesigen Leben denken, wenn Du so oft von dergleichen Abhaltungen liesest, die mich Dir hier entziehen? Doch wenn Du hier gewesen, so hättest Du natürlich dabei sein müssen: denn ohne Dich werde ich keine Gesellschaft besuchen. Ich halte es damit so, daß ich vor 8 Uhr meine Arbeit nicht verlasse, und dann bleibt man bis gegen 11 Uhr beisammen; nur größere Gesellschaften dauern länger. Gestern war ich bei einem bloßen Lebemann, der von seinen guten Konten lebt; doch hat seine Frau bei viel äußerer Kälte viel inneren Werth und wahre Bildung, weshalb ich sie aufrichtig schätze. Der Mann heißt Köster, ein sehr geselliger und unterhaltender Bonvivant; es ist hauptsächlich die Frau, die uns zusammenführt, weil sie auch von mir viel hält.
Heute bin ich wieder nach Wohnungen aus gewesen und habe ein neues Haus vor dem Thore besehen; es ist aber noch zu unfertig, um über die Qualität der Wohnung urtheilen zu können. Auch nach dem hiesigen Preise der Möbel habe ich mich erkundigt, da mir die liebe Mutter dies aufgegeben hat. Ich werde einen Preiscourant danach aufsetzen und denselben nach Berlin zur Vergleichung mit den dortigen Preisen schicken. Die Frau Bruns, die Schwäbin, wird uns besonders mit Rath nützlich sein können – und ist auch dazu sehr bereitwillig – wie wir es mit der Einrichtung am besten halten sollen, da sie sich auch erst vor kurzem ganz neu eingerichtet hat, nachdem sie beim Wegzug von Tübingen dort sämmtliche Möbel verkauft und nur die Wäsche nebst Betten hierher mitgebracht. Sollte es daher noch nöthig sein, daß Deine liebe Mutter sich in directe Verbindung mit einer hiesigen Hausfrau zu setzen beabsichtigte, so würde ich am liebsten diese gute Schwäbin, Frau Professor Bruns, vorschlagen, obwohl ich mit dieser erst seit kurzem bekannt geworden bin. Doch ich glaube, wir werden auch ohne solche Zwischenperson fertig werden, da meine liebe Mutter in Berlin schon alles Nöthige besorgen wird, und was hier an Ort und Stelle zu thun ist, werde ich selbst mit Hilfe meiner Freundinnen anordnen.
Meine liebe gute Susette! Heute morgen hat mich Dein lieber Brief3 überrascht, den ich erst zum Abend erwartete. Glaube mir, jeder Deiner lieben Briefe ist mir ein neuer Beweis dafür, was für einen herrlichen Schatz ich in Dir und in Deiner Liebe gefunden. Du brauchst nicht zu besorgen, daß ich an sie einen andern Maßstab lege, als den höchsten, den einer echten weiblichen Seele, die sich darin ebenso unbefangen als innig und liebevoll ausspricht. Ich lege keinen Werth auf die Künste des Stils, die nicht der unmittelbare und reine Ausdruck einer wahren Empfindung sind: denn wie eben die Höhe aller Kunst nur darin besteht, den reinen und einfachen Ausdruck der Natur in ihrer Schönheit und ursprünglichen Wahrheit zu erreichen, so dient ihr auch allein die Natur, sei es in äußerer Form oder innerer Empfindung, Phantasie und Gedanken zum höchsten, lebendigen Vorbild. Magst Du Deine Gedanken und Gefühle mehr oder weniger geordnet niederschreiben, so spricht sich darin immer Dein wahrer Charakter aus, eben der, den ich liebe, weil ich ihn erkannt habe, den ich durch meine Liebe mit meinem ganzen inneren Wesen verschmelzen möchte.
Sieh‘, liebe Susette, anders meinte ich es nicht, wenn ich Dir einmal sagte, man müsse an Alles den höchsten Maßstab anlegen und dürfte sich nicht in dem Mittelmäßigen befriedigen. Das Mittelmäßige ist der unwahre oder unreine Ausdruck der Natur, der ihren echten Charakter nur andeutet, aber ihm nicht entspricht, der uns nur oberflächlich an das erinnert, was er ausdrücken soll, aber es nicht in voller Lebendigkeit wiedergibt. Willst Du daher das Schöne in der Kunst beurtheilen, so frage Dich nur nach dem unmittelbaren Eindruck, den es Dir macht, ob es die äußere Gestalt oder den inneren Charakter vollkommen und schön hervorruft und ausprägt, ob es die innerste Empfindung in Dir, Deine ganze Seele, ergreift oder nur ein oberflächliches Gefallen der Sinne, welches Dein Inneres beinahe unberührt läßt, hervorbringt. Die Bildung des Geschmackes besteht nur darin, daß wir diese verschiedenen Wirkungen leichter unterscheiden lernen, indem wir unser Gefühl an dem Echten und Vollkommenen üben und unser Inneres für dasselbe empfänglicher machen. –
Ich will für diesmal schließen, meine theuerste Susette, weil ich noch ausgehen muß und diesen Brief nicht liegen lassen will. Du hast vergessen, mir Deinen Geburtstag anzuzeigen. Einen Gruß soll ich bestellen von meiner Freundin Theodora Karsten, Frau eines lieben Collegen, die Dir als echte mecklenburgische Hausfrau mit größter Bereitwilligkeit zu Hülfe sein wird. Grüße Deine lieben Eltern, die liebe Lina und Friedrich, die ehrwürdigen Großeltern, den braven Kieser und wer sonst nach mir fragt – die Geschwister nicht zu vergessen, die gute Marie und Luise. Wie geht es Gottlieb auf der Universität? – Ich umarme Dich mit ganzer Liebe