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Susanna Maria Tucher an Karl Hegel, Nürnberg, 8. – 14. Februar 1850

Mein lieber, theurer Karl! Wenn ich Dir jetzt so ruhig in meinem heimlichen Zimmerchen schreibe (denn seit das Wetter milder ist, flüchte ich mich in mein kleines Heiligthum, um ungestört zu sein), so denke ich oft, wie vielfach Du jetzt in Anspruch genommen und beschäftigt sein wirst, und welchem unruhigen und aufgeregtem Wirkungskreis Du entgegengehst, und ich kann Nichts thun, als zu Gott beten, daß er Euer gemeinschaftliches großes Werk mit seinem besten Segen krönen wolle; das thue ich aber treulich, mein Geliebter, und so ist Dein neuer Wirkungskreis ein neues Band der Liebe und des Glaubens für uns geworden.

Heute war Tante Fritz bei uns, um uns mitzutheilen, daß Kiesers Hochzeit schon für den 24ten dieses Monats anberaumt ist; ich kann mich fast auf diesen Tag fürchten, an dem Du, mein geliebter Karl, mir mehr als je fehlen wirst. – Wegen des Geschenks für das glückliche Paar habe ich noch keinen rechten Entschluß gefaßt; ich weiß Nichts Hübsches, das wir gemeinschaftlich geben könnten, und glaube, wir müßten uns schon zu zwei kleinen Sachen bestimmen. Ich denke Augusten ein hübsches Arbeitskörbchen zu geben, und als Geschenk für Heinrich fände ich einen eleganten Schreibzeug oder Etwas Ähnliches, ausschließend für seinen Gebrauch als Geschenk von Dir recht passend. Meinst Du nicht?

Heute Nachmittag war die Taufe bei unsrer herzlieben Lina, der es Gottlob recht gut geht; es ist immer eine für jeden Anwesenden ernste und ergreifende Feier, denn unwillkührlich tritt Einem das eigne Taufgelöbniß und die vielfachen Vergehen dagegen vor Augen. – Die liebe Lina war wie immer, eine liebenswürdige Wirthin: ich betrachtete sie immer und nahm sie mir zum Muster. Wir aßen zu Abend im selben Zimmer, in dem wir an dem entscheidenden Dienstag waren; da flogen wohl all meine Gedanken zu Dir mein Liebster, und ich sehnte mich nach Deiner lieben Nähe, doch war mirs lieb, daß Du durch meinen letzten Brief2 den Tauftag weißt, und wohl in Gedanken bei mir warst; wenn Du meinen Brief schon heute Morgen erhalten hast, wie ich berechnete. Lina hatte einen kleinen Scherz mit dem herzigen Benoit gemacht, ihn als Bauernbübchen verkleidet und ihm Bouquetchen für alle anwesenden Damen gegeben, die er dann austheilte. Als er zu mir kam, wollte er mir alle übrigen Bouquetchen geben, so daß ich mir dachte, der Kleine stehe als Liebesbote in Deinem Dienst, und bedankte mich deßwegen so liebevoll und reich.

Ob Du ahnst mein Geliebter, wo ich gestern Abend war? Nein, das wirst Du Dir nicht denken können, mir aber doch nicht zürnen, das weiß ich. Also, frisch gestanden – ich war auf dem glänzenden Maskenball im Museum; natürlich ohne zu tanzen. Es hatte sich nämlich eine große Gesellschaft verabredet, maskiert den Ball zu besuchen, darunter waren auch Viele meiner Bekannten, und da es mich interessirte diese in ihrer Verwandlung zu sehen, entschloß ich mich, als Zuschauerin hinzugehen. Wenn Du mich gesehen hättest, du würdest gelacht haben, denn um Jedermann gleich zu zeigen, daß ich nicht daran denke zu tanzen, wählte ich eine ganz solide nichtjugendliche Toilette, so daß Viele mich gar nicht erkannten. Du wirst mir glauben, mein Geliebter, daß es mir nicht schwer wurde, meinem Vorsatz treu zu bleiben, wenn sich auch bei den ersten Tönen der Musik meine Tanzlust in den Füßen regte, aber sonst erschien mir das ganze Getreibe so ganz anders als sonst, daß ich mir selbst ganz verwandelt vorkam.  

den 12ten. Abends. Heute erhielt ich durch die freundliche Güte Manuels mein Ührchen, dem ich mit Freude wieder sein altes gewohntes Plätzcheneinräumte. Briefe von der lieben Mutter und den Geschwistern begleiteten Deine liebe Gabe, brachten uns aber leider von der theuren Mutter keine beruhigenden Nachrichten; sie ist meistens zu Bett oder auf dem Sopha und dadurch zur quälendsten Unthätigkeit gezwungen, die ihr natürlich sehr schwer zu ertragen ist. Zwar schrieb sie selbst einen innigen liebewarmen Brief an meine Mutter, aber ihre Schwäche spricht sich auch darin aus. Es ist eine entsetzlich schwere Prüfung für die theure Mutter, bei der man leicht versucht werden könnte zu fragen: warum und wozu?

Dank Dir, mein Geliebter, für den so lieben Brief3, den ich schon gestern Abend erhielt; erst heute aber kann ich ihn beantworten, da ich leider meinen gestrigen Abend, der ganz besonders und ausschließend Dir hätte gehören sollen, bei Karoline Tucher in einer langweiligen Damengesellschaft zubringen mußte. Wie freute mich Alles, was Du mir auch über Deine politischen Beziehungen schreibst, das Zeitungsblatt4, das Du mir sendest, ich danke Dir dafür als ein Zeichen Deines köstlichen Vertrauens, das mich Theil nehmen läßt an Allem was Dich berührt und bewegt. Du bist ungehalten, mein Geliebter, daß ich Dir nicht bestimmter über meine Gesundheit schrieb und machst Dein Recht auf mein vollständiges Vertrauen geltend, ein Recht, dem zu genügen meine höchste Freude ausmacht; glaube ja nicht, daß ich Dir absichtlich Etwas verschwieg, aber die ganze Sache schien mir so unbedeutend, daß ich sie weiter gar nicht erwähnte, doch auf Deine bestimmte Frage will ich Dir auch ohne Hehl bekennen, daß es mir immer noch nicht ganz gut geht. Der Doktor erklärt es für einen Nerven-Rheumatismus; weil der Schmerzen bei der Bewegung des Armes sich nicht zeigt, sondern blos bei fortgesetztem ruhigen Arbeiten, so daß ich gleich der lieben Mutter seit 14 Tagen zum Nichtsthun verurtheilt bin, weil Nähen Stricken selbst Clavierspielen mir gleich den Schmerzen vermehrt, am besten geht noch das Schreiben, besonders an Dich mein Herz, und ich wähle dazu jetzt gewöhnlich die Morgenstunden, weil da der Arm durch die Nachtruhe gestärkt ist. Der Doktor verspricht mir baldige Beßerung, wenn ich recht schön folge und Nichts arbeite, was mir freilich jetzt doppelt schwer wird, wo ich gern recht fleißig sein möchte, um die für die Ausstattung erforderliche Zeit so viel als möglich abzukürzen, daß ich bereit sein kann, Dir nach Erfurt zu folgen, wenn es sich sonst machen läßt.

Ich verspreche mir sehr viel von einem Aufenthalt dort, nur das Eine müßte ich fürchten, Dich meinen Geliebten, weniger zu besitzen als in Rostock, doch das überlasse ich Alles freudig Deiner Liebe, auf die ich in jeder Lage vertrauen kann.

Alles, was Du mir schreibst und aufträgst wegen des Bieres, werde ich mit Kieser bereden so wie ich ihn sehe, und freue mich, mit Dir Deine Freunde mit Nürnberger Produkt zu bewirthen. – A propos, die Hochzeit ist verschoben, da Auguste einen geschwollenen Backen hat, und man nicht weiß, wie lange das anhält. Bis jetzt ist kein Tag bestimmt.

Leb wohl, mein Geliebter, wegen der Hausschenke, kannst Du mir jetzt noch schreiben, ich finde Deinen Vorschlag auch recht hübsch. Noch eine Bitte, sei doch so gut, in einem Deiner Briefe einen Gruß an Tante Bayerlein zu erwähnen; sie hat Dich so ins Herz geschlossen, daß sie mir immer ganz besondere Grüße aufträgt; es ist eine besondere Schwachheit, aber ein Gruß von Sir würde sie sehr beglücken. Leb wohl, mein Einzig-Geliebter

In ewiger Liebe Deine Susette.