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Susanna Maria Tucher an Karl Hegel, Nürnberg, 30. April – 6. Mai 1850

Mein Herzliebster, theurer Karl! Ich schreibe Dir noch ganz erfüllt von dem Schmerz über den schweren Verlust, den die theuren Geschwister durch den Tod des süßen Gustli erlitten haben.2 Erst jetzt fühle und weiß ich, wie nahe ich durch Dich, mein Geliebter, den Deinigen verbunden bin; liegt mir ja doch der Schmerz der armen Eltern und der theuren, ohnedieß so schwer geprüften Mutter so drückend auf der Seele, daß mir der Gedanke daran gar nicht aus dem Sinne kommt und mein Herz unaufhörlich damit beschäftigt ist. Wie sehne ich mich nach Dir, mein theurer Karl, aber so müssen wir den ersten gemeinsamen Schmerz, den uns Gott sendet, noch körperlich getrennt tragen; Dir wurde doch die wehmüthige Freude zu Theil, bald nach dem Hingang des holden Kindchens zu den Eltern eilen zu können; vielleicht kamst Du bald genug, um die liebe Hülle noch ein Mal zu sehen, aber mir, die sich in herzlicher Liebe auf das holde Wesen freute, mir bleibt nicht einmal ihr liebes Bild, daß ich mich noch in der Erinnerung daran erfreuen könnte. Ach, mein theurer Karl, wie ernst ist doch das Leben, nirgends eine ungestörte Freude; wer weiß was der liebe Vater droben uns für Schmerzen bestimmt hat, die wir miteinander in vereinter Liebe tragen sollen? Mir ist nicht bange, denn ich denke mir, wenn wir gegenseitig unsrer Liebe gewiß, und mit kindlichem Vertrauen auf Gott unsre Lebensbahn gehen, so wird uns der Herr auch in den schwersten Stunden nahe sein und uns stärken, wie er es so reichlich an den armen Eltern thut. Es vereinigt sich auch in meiner Umgebung Manches um mir die ernste Seite des Lebens bei dem wichtigsten Schritt, beim Eintritt in mein neues, völliges Leben, zu vergegenwärtigen, so daß ich ohne übertriebene Erwartungen aber mit getrosten Muth und freudig dankbarem Herzen das Wort aussprechen werde das mich Dir, meinem Liebsten, meinem Lebensgefährten und Führer für ewig verbindet. Mein Mariechen erholt sich leider sehr langsam; das ängstlich forschende Mutterauge bemerkt sogar Rückschritte in der Besserung, so daß wir Alle mit Sorge das theure Kind betrachten. Ich glaube, eine großen Theil der langsamen Genesung auf Rechnung des verspäteten und immer noch zögernden Frühlings schieben zu können, aber ein Mutterherz läßt sich nicht leicht beruhigen, und ist doppelt ängstlich, wenn es schon so Schweres erfahren hat, wie meine guten Eltern3; Gott gebe nur, daß unsre liebe Kranke doch bis zu unsrer Hochzeit sich gestärkt und frischer fühle. Die zweite Sorge ist mir meine liebe Luise Schwarz, die sehr schwer krank liegt, so daß sie mich wohl nicht bei unsrem wichtig-schönen Gang begleiten kann. Eine andre Sorge ist uns Allen auch Tante Wiß, die gestern einen Schlaganfall hatte, der sie der Sprache beraubte, so daß sie sich nur durch Zeichen verständlich machen kann. Sieh, mein Geliebter, so sehe ich überall in den mir nächsten Kreisen Schmerz und Sorge und sehne mich recht nach Dir, dessen Liebe mir Alles tragen hilft und mein höchstes Glück ausmacht. Noch wenige Wochen und wir können uns des schönsten Wiedersehens freuen auf das keine Trennung mehr folgt.

Mein Geliebter, theurer Karl! Eine große Pause mußte in meinem Briefe eintreten, weil ich kein ruhiges Stündchen finden konnte um Dir mein Herzliebster zu schreiben; aber Dein gestern erhaltner, inhaltsschwerer und folgenreicher Brief4 soll nicht lange auf Antwort warten, um so mehr, da ich sie Dir so geben kann, wie wir, Du und ich, sie wünschen. Die lieben Eltern, die gute Mutter mit edler Resignation in die Unmöglichkeit, die ganze Ausstattung schon hergerichtet, auflegen zu können, haben mir die Erfüllung Deiner Bitte zugesagt und den zweiten Pfingstfeiertag den 20ten Mai festgesetzt. Das ist bis heute über vierzehn Tage, mein Einzig-Geliebter, es ist mir noch als träumte ich, ich kanns noch gar nicht recht fassen, und doch, wie dank ich’s Deiner Liebe die es endlich zu einer festen Bestimmung brachte, Du lieber theurer Karl. – Dein Schmerz um das süße Gustli und die theure Mutter hat mich wieder von Neuem ergriffen; fast könnte man versucht sein zu fragen: warum o Gott, mußte ihr, der ohnedieß so schwer und schmerzlich Heimgesuchten, noch dieser neue, tiefe Schmerz auferlegt werden? ich denke mit sehnsüchtiger Liebe ihrer. – Wie erfreut mich die Hoffnung, die Du mir gibst, daß der liebe Manuel vielleicht doch Dich begleitet, ich kann mir wohl denken, daß es ihm schwer wird, allein zu kommen, da er hoffte die theuere Friederike und ihre Gustli mitbringen zu können, aber seine Liebe zu Dir wird ihm vielleicht doch möglich machen; unsre Hochzeitsfeier wird ja überhaupt still und ernst sein, daß sie ihn nicht wehthuend berühre. Ich hoffe sehr auf die Erfüllung dieses Wunsches, denn es wäre mir zu schwer gar Niemand von den Lieben um uns zu sehen, welchen ich jetzt doch ganz und vor Allen angehöre.

Kieser, den ich gestern sprach, läßt Dich schönstens grüßen. Ich fragte ihn wegen des Bieres und lege Dir seine schriftliche Antwort bei.5 Er freut sich sehr des endlich nahgerückten Ziels unsrer Wünsche und Hoffnungen. Leb wohl, mein Geliebter, das6 ist wohl der letzte Brief, den ich Dir nach Rostock sende, der nächste wird Dich in Berlin treffen, und dann brauchts nicht mehr Feder und Papier, um Dir immer wieder von Neuem zu sagen, daß Dich von ganzer Seele liebt

Deine Susette.

P. S. Ich bin ein wenig ungewiß, wohin ich diesen Brief addressiren soll, da Du mir in Deinem letzten Brief zuerst Rostock bestimmst und dann doch von einem Aufenthalt in Schwerin sprichst, wo Du meinen Brief bis Mittwoch oder Donnerstag erhalten könntest. Da ich aber in Schwerin keine Addresse weiß und mir nicht denken kann, daß Du so lange in Schwerin bleibst, halte ich mich an Deine erste Bestimmung. Leb wohl, mein Geliebter.