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Susanna Maria Tucher an Karl Hegel, Nürnberg, 8. – 14. Januar 1850

Mein einzig geliebter Karl! Während ich mit liebendem Herzen Dir schreibe, und mir so recht das Glück vergegenwärtige, von Dir geliebt zu sein, sind die Meisten meiner Bekannten im Museum auf dem bedeutungsvollen Neujahrsball. Du wirst mir ohne Versicherung glauben, daß ich nicht einen Augenblick gewünscht habe, daran Theil zu nehmen, und es nicht mache, wie der Fuchs mit den Trauben, indem ich die bedaure, die Vergnügen und oft Übertreibung dort suchen müssen; und doch, wäre ich auch hingegangen, wenn auch ohne besondern Zug; aus Gewohnheit und um nicht Anlaß zu Gerede zu geben, wenn Du, mein theurer Karl, mich nicht aus allen frühern Verhältnissen und Anforderungen herausgehoben hättest. –

Diesen Abend lasen wir im Uli2, wir sind bald damit zu Ende. Die letzten Capitel sind eine einfach-liebliche und wahre Herzensgeschichte, wobei ich mein Innerstes oft berührt fühlte; ging es mir doch auch wie dem armen Vreneli, wenn auch nicht ganz so schlimm; aber alle Liebe, die man sanft erfährt, kann doch das Sehnen nach einem Herzen, das man sein nennen, an das man sich halten kann in Leid und Freud nicht stillen – und die unerkannte Ahnung, daß Du, mein Geliebter, dieß Herz für mich haben könntest, das wars, was mich zu Dir hinzog, und der feste Glaube daran ists, was mich Dein eigen macht für alle Zeit und Ewigkeit.

Bei unsrer lieben Lina ist seit gestern Morgen große Freude durch die Geburt eines gesunden herzigen Mädchens; Lina ist wohl und Friedrich überglücklich durch das liebliche Paärchen.

Heute Abend war das vor acht Tagen anberaumt gewesne Bauers-Kränzchen3; es ist mir leid, daß Du heute nicht dabei warst – nicht meinetwegen, denn wo würde ich Dich mein theurer Geliebter, nicht zu mir wünschen? – aber der Sache wegen, von der Du vielleicht einen beßern Begriff bekommen hättest. Bauer sprach mit uns nach Anleitung des Athanasianischen Glaubensbekenntnisses über die Lehre von der Dreieinigkeit. Du wirst mir vielleicht einwenden, warum wir da über Dinge sprechen, die uns doch nie klar werden können, und immer Glaubenssache bleiben müssen; mir wars zurecht auch so, aber als Bauer mehr darüber sprach, wurde es mir ganz weit und warm ums Herz über diese Tiefe der göttlichen Gedanken, die immer mehr Herrlichkeit enthalten, je mehr man sich damit beschäftigt in gläubiger Demuth, die sie nicht zu ergründen, sondern nur würdiger anzubeten sucht. Dir hätte Bauer wahrscheinlich Nichts Neues geboten, aber mir war es erfreulich zu hören, was erleuchtete und fromme Männer über dieses göttlich-große Geheimniß gedacht haben. Kieser war auch mit seiner Auguste da, und fühlte sich so angesprochen, daß er wohl jetzt immer dabei sein wird, wenn es ihm möglich ist. Er läßt Dich, mein Liebster, schönstens grüßen, ebenso Bauer. Der Erstere erkundigte sich gleich, ob Du das Krüglein mitgenommen habest, und als er hörte, daß es noch hier sei, schlug er mir vor, er wolle mit Auguste herauskommen und sein Krüglein mitbringen, wir könnten dann im Andenken an Dich Beide benützen; das wäre mir ein armselig Vergnügen, denn die Hauptsache fehlt; mir that es ohnedieß recht weh, Kieser mit Auguste zu sehen; ich erschien mir so arm – doch so darf ich nicht anfangen, sonst wird mirs zu schwer. – In Deinem Krüglein fand ich noch Sachen von Dir, die Du hineingepackt hattest, um den Raum zu benützen. Ich werde sie Dir treulich aufheben, bis Du kommst, um Alles, was Dein ist, mich, das Krüglein und seinen Inhalt zu holen.

Heute beschäftigte ich mich schon viel mit meiner neuen Heimath, im weitern Sinn als unser Häuschen. – Kieser erzählte mir vorgestern, daß er ein Buch geliehen habe, das mir gewiß interessant sein würde zu lesen, weil es Beschreibungen und Ansichten der ganzen Ostseeküste, also auch Dobberan, Warnemünde und unserm lieben Rostock enthalte. Ich bat ihn darum, und er war so freund- lich, es mir heute zuzuschicken. Von Rostock ist leider keine Abbildung aber eine sehr vortheilhafte Beschreibung darin, doch wie es auch sey, mir ist es lieb, und ich werde es immer lieber gewinnen.

Schöne Grüße habe ich Dir, mein liebster Karl, wieder zu bestellen von Pfarrer Deinzer, der heute bei uns war. Er nimmt einigen Antheil an unserm Glück und sprach unter anderm einen Gedanken aus, den ich auch schon gehabt und mit Liebe gepflegt habe. Er fragte mich, ob wir nicht vielleicht in Simmelsdorf und Helena den schönsten Tag, den unsrer unauflöslichen Verbindung feiern wollten. Was sagst Du dazu, mein theurer Geliebter; ich dachte schon öfters daran, und an mein Simmelsdorf knüpfen sich für mich so viele schöne Erinnerungen, daß es mir ein freundlicher Gedanke wäre, die schönste Erinnerung hinzufügen zu können, um damit vielleicht die Reihe zu schließen. Auch Du, mein Liebster, warst gerne außen, wir lernten uns doch da eigentlich kennen, wenn auch noch mit gehaltenen Augen. Ob sich übrigens der Gedanke ausführen ließe, ist noch eine Frage, deren Lösung verständigeren Leuten überlassen bleiben muß.

Heute hatte ich schon zweimal die Freude, Deine Gesundheit zu trinken, mein Einzig-Geliebter. Mittag wurde die Feier des gestern gewesenen Geburtstages4 meines lieben Vaters noch mit einer Flasche Wein verherrlicht, und da Friederle mich leben ließ, so stimmten die Andern ein; als ob Jedermann wußte, daß ich allein nicht mehr recht leben kann, so galt das zweite Klingen Dir mein lieber, lieber Karl. Nach dem Essen, ehe wir zu den Großeltern gingen, machten wir schnell einen Besuch bei Holzschuhers, die wir noch bei Tisch fanden. Der alte Herr war sehr heiter, hatte seinen Spaß mit mir als seiner treulichen Frau, die gar nicht Lust hat, ihren Fehler zu bereuen, und brachte dann in edler Rache, Dir ein Hoch aus, dem von Allen beigestimmt wurde. Vielleicht warst Du bei Stannius zu Mittag, ich dachte mir Dich, mein Liebster, dort. – Mein guter Großvater grüßt Dich in treuer Liebe, ebenso der alte Onkel Karl, der eigentlich für die ganze Welt abgestorben, ein besondres Interesse an unsrer Liebe nimmt; er war die letzten Tage krank, erkundigte sich aber sich aber immer recht liebreich, wie es mir denn gehe in meiner Einsamkeit.

Ich wurde gestern unterbrochen durch die Ankunft der guten Tante Sophie, die ganz ungehalten ist, daß wir ihr Dein Kommen nicht gemeldet haben. Sie glaubt uns Auftrag gegeben zu haben, ihr zu schreiben ob und wann Du kommst, weil sie vorhatte dann zu der Zeit zu kommen, um Dich zu sehen. Sieh so lieb hat sie Dich! wir verdienen’s gar nicht um sie. –

Erinnerst Du Dir, mein Einzig-Geliebter, wie Du mich am Neujahrsabend, als wir von der Kirche zurückgekommen, auf unserm Lieblingsplätzchen saßen, fragtest: ob ich mir so recht vergegenwärtigen und denken könnte, daß Du in mir seist und ich in Dir. Damals konnte ich es weniger, aber seit einigen Tagen habe ich dieß Gefühl so fest und lebhaft in mir, daß es mich über die schmerzliche Sehnsucht erhebt. Wenn Du mich sehen könntest, Du würdest mich heiter und fröhlich finden, und doch bist Du mir so lieb und war mir Deine Nähe so süß, daß ich während der ersten Tage der Trennung nicht glaubte, mein Alleinsein je ruhig tragen zu können. Aber jetzt fühle ich mich so Eins mit Dir, Du bist mir jeden Augenblick nah und gegenwärtig, ich spreche mit Dir und Du, Du liebes Du füllst so ganz mein Herz aus, daß ich aufhöre Ich zu sein und nur das Du – Ich immer vor meinen Geistes Augen steht. Du sagtest mir nicht scherzweise, ich hätte Praxis in der Liebe du ich sehe jetzt, daß ich sie noch gar nicht kannte.

Abends. – Mein einzig Geliebter! Du hast mich unendlich beglückt durch Deinen lieben, süßen Brief5, den ich heute noch nicht erwarten wollte und ihn daher mit doppelt dankbarer Freude ans Herz drückte. Wenn er auch meiner Liebe kurz erscheint, so weiß ich mich doch zu bescheiden und danke Dir von Herzen dafür, da die Zeit Dir jetzt wohl recht kurz zugemessen ist. Die Einlage nach Neuburg will ich bestens besorgen; etwas alt werden die Nachrichten freilich sein, mein Geliebter, doch das geht auf Rechnung unsrer beiderseitigen Confusion.

Wegen Mangel an Platz kann ich Dir Mehreres in Deinem Briefe nicht mehr beantworten, nur meine Freude will ich Dir aussprechen über die süße Hoffnung, die Du mir giebst, die Ungeschicklichkeit des Herrn Hahn wieder gut zu machen. Ach es wäre mir eine unendlich Freude auch mit leiblichen Augen mir Dein Bild vergegenwärtigen zu können. Wegen meines Hustens mach Dir keine Sorge, es ist wieder mal besser. Ich gehe wenig aus, es zieht mich auch gar nicht.

Doch jetzt mein Geliebter muß ich ernstlich an den Schluß denken. Leb wohl, mein Einziger; ich befehle uns Beide in Gottes Schutz.

Deine Susette