Mein innig geliebtes Susettchen! Seit ein Paar Stunden liege ich auf meinem erbärmlichen Sopha – (um die Füße auszustrecken, muß ich noch einen Stuhl zu Hülfe nehmen) – den Kopf unterstützt durch Deinen weichen Nackenpummel – (denn die Lehne des sogenannten Sopha’s meines Wirthes ist fast wie ein Brett) – und schreibe Dir fortwährend in Gedanken Briefe, bis ich mich endlich mit festem Entschluß aufraffe, um die Feder wirklich zur Hand zu nehmen; denn ich hatte mir schon heute morgen vorgenommen, Dir am Abend recht viel zu schreiben, weil mein Tagebuch seit mehreren Tagen unterbrochen worden und ich mit einem ganzen Vorrath von Mittheilungen noch im Rückstand bin. Warum ich aber die schöne Zeit auf dem sogenannten Sopha mit bloßem Dämmern versäumt? – ich habe mir auf meiner letzten Tour nach Güstrow eine Erkältung und geschwollene Backen zugezogen, wovon mir heute der Kopf sehr eingenommen gewesen ist, und da ich eben deshalb den ganzen Tag allein in meiner Stube zubringen mußte und nur wenig lesen oder arbeiten konnte, so verweilten meine Gedanken meistens bei Dir und ich wünschte Dich recht sehnlich her zu mir, um mich manchmal durch einen liebevollen Blick oder einen weichen Händedruck zu trösten – wie geduldig und froh wollte ich dann diese mir aufgezwungene Unthätigkeit ertragen!
Ich war also vorgestern in Güstrow, in Begleitung von drei politischen Freunden von hier, Oberappellationsrath Trotsche, Senator Weber, Advocat Kippe, um dort mit den Deputirten der anderen Wahlvereine zusammenzutreten und nach deren Mittheilungen eine Candidatenliste von Abgeordneten für die nächste Kammer aufzustellen. Der Deputirte aus Schwerin berichtete, daß ich – die anderen Candidaten interessiren Dich einstweilen wohl nicht – aller Wahrscheinlichkeit nach von dieser Stadt gewählt werden würde: demnächst würde mir von diesem, so wie von den Deputirten von Güstrow, der hier den meisten Einfluß hat, – also für zwei verschiedene Kreise – die Wahl nach Erfurt1 angetragen. Die letztere lehnte ich nun vorläufig ab, weil ich mir nur wenig Nutzen von meiner Wirksamkeit in Erfurt verspreche, aber auf viel Ungunst hier im Lande gefaßt sein müßte. Was aber die andere Wahl von Schwerin für unsere Kammer betrifft, so könnte und würde ich mich derhalben nicht entziehen, wenn sie auf mich fiele, was indessen noch sehr dahin steht, da es davon abhängt, ob ich nicht dem Minister von Lützow werde weichen müssen, im Fall derselbe in einem anderen Wahlkörper nicht durchzubringen ist. Da jedoch die Wahlen nach Erfurt vor den andern stattfinden, so würde ich sehr in Verlegenheit kommen, wenn ich schon bei diesen, trotz meiner Ablehnung unter der Hand, gewählt würde, da eine öffentliche Ablehnung nach der Wahl hier aus mehreren Gründen sehr mißlich wäre: die Annahme dagegen würde die andere Wahl zur Kammer so gut wie ausschließen. – Zur Zeit kann ich nichts weiter thun, als ruhig abwarten, was das Geschick mir bringt, und Dich versichern, daß ich bei meinem Entschluß die bestimmende Rücksicht auf die so sehnlich von mir herbeigewünschte Vereinigung mit Dir gewiß nicht weiter, als durchaus nothwendig erscheint, zurückstellen werde.
Auch betreibe ich, so viel an mir liegt, unsere künftige Einrichtung hieselbst so, als ob ich keine Störung weiter zu besorgen hätte. Ich habe schon die Einleitungen getroffen, um ein Mädchen zu miethen2; doch werde ich nicht unterlassen mit demselben die nöthige Verabredung zu nehmen für den Fall, wenn unser Haushalt erst später als im April eröffnet werden sollte. In Güstrow habe ich mich zugleich nach Möbeln umgesehen und sie dort zum Theil ganz preiswürdig gefunden. Zunächst will ich jedoch damit anfangen einen Theil der Möbel, bei denen es weniger auf Eleganz ankommt, hier in der Nähe, in Doberan, wo dergleichen am billigsten geliefert wird, zu bestellen. Zu dem Ende ist schon jetzt eine Verständigung über das Anzuschaffende zwischen uns nöthig und lege ich Dir deshalb meinen vorläufigen Ausrüstungsplan vor, mit der Bitte Deine Bemerkungen und Wünsche zu demselben hinzuzufügen.
Nimm den Plan der Wohnung3 vor Augen mein liebes Susettchen. – Doch ich muß für heute abbrechen im Schreiben.
Mein Kopf ist heute etwas freier, die Backe aber noch mehr geschwollen und werde auch heute noch das Zimmer nicht verlassen können. An solchen Tagen fühle ich mich schrecklich verlassen und mag ich auch, in einer Art von Trotz, nicht einmal meine Freunde auffordern, mich zu besuchen. Doch ich fahre fort, wo ich gestern aufgehört habe; laß Dich nicht stören, mein liebstes Menschenkind, durch meine üble Laune, die ich nur an mir selbst auslassen will.
Wir treten also zuerst in Dein Wohnzimmer und fragen uns was wir für dieses brauchen. Zuerst einen ordentlichen Sopha und davor einen halbrunden Tisch von hübscher Mahagoniarbeit, wie es hier nicht anders sein kann, und dazu etwa 6 gepolsterte Stühle, von demselben Zeuge wie der Sopha überzogen: man nimmt hier sehr häufig grünen oder rothen Plüsch dazu; indessen ist dieser theuer und ich wäre auch mit irgend einem andern weniger kostbaren Zeuge zufrieden: bei der Auswahl der Farbe ist auch auf die Farbe der Wand, welche hier eine blaue Tapete hat, Bedacht zu nehmen; grün und roth würde dazu schon nicht gut passen, sondern entweder blau oder eine unbestimmte Farbe. Da der Sopha die Hauptwand einnimmt, so müssen wir den Flügel neben das eine Fenster stellen und den Nähtisch neben das andere: zwischen beide Fenster kommt der Spiegel, unter dem etwa ein Spieltisch stehen kann. Wir gehen ferner zu der anderen Nebenwand mit der Thür zu meinem Zimmer, und stellen dahin Deinen Schreibtisch und etwa einen Bücherschrank: endlich bleibt noch die Wand mit Eingangsthür u. Ofen, wohin sich noch eine Chiffonière und ein Eckspinde stellen läßt. – Die Auswahl von Nähtisch und Schreibtisch möchte ich Dir selbst nach Gefallen überlassen, und habe für jetzt nur zu fragen, ob Du, wenn Du einen offenen Schreibtisch ohne Kommode vorziehst, eine Chiffonière d. h. einen Schrank mit 5 bis 6 Fächern für Wäsche und Kleidungsstücke, die Du zur Hand haben willst, für genügend hältst; das Eckspinde würde zu Tischzeug, Teller, Gläser, Mundvorrath, den man in der Stube haben will, dienen. – Es fehlt nun noch ein Kleiderschrank für Deine Kleider und ein Wäscheschrank: der erstere könnte auf dem Vorplatz gleich neben der Thür der Wohnstube, der andere im Schlafzimmer stehen. Beide Schränke müßten wohl von der großen Sorte mit zwei Thüren sein.
Für mein Wohnzimmer brauche ich gleichfalls einen Sopha und etwa 4 Stühle, d. h. Rohrstühle. Meine liebe Mutter hat mir bereits einen Schlafsopha versprochen, welchen ich also hierher stellen könnte. Vor dem Sopha muß ein Tisch stehen. Dazu würde sich wohl am besten ein Ausziehtisch eignen, welchen wir nicht entbehren können, so oft wir Gesellschaft bei uns sehen wollen. Außerdem habe ich einen soliden offenen Schreibtisch als Erbstück von meinem Vater, welchen ich neben den Sopha hinstelle: ferner ist nöthig ein Schreibpult, an welchem ich gewöhnlich arbeite und eine Chiffonière für meine Wäsche, womit mich die liebe Mutter sehr reichlich ausstatten will: mein Kleiderschrank kann in dem Alkoven stehen, welcher mit dieser Stube durch eine kleine Thür verbunden ist.
Die Einrichtung des Schlafzimmers ergibt sich von selbst und habe ich in Bezug auf die Bettstellen nur den Zweifel wie groß die Matrazen ausfallen werden, um danach das Maß für sie zu nehmen. Das Maß, welches Deine liebe Mutter mir mitgegeben, hat 3 Fuß ½ Zoll Breite4 6 Fuß 6 ¾ Zoll Länge5 (Rostocker oder Hamburger Maß); aber ich weiß nicht, ob sie die Bettstellen nur im Innern, also nach der Größe, die für die Matraze nöthig ist, gemessen hat, oder aber mit den Wänden: das letztere möchte ich fast glauben, daß ich unsere Matrazen nicht so groß, um 3 Zoll Länge und 2 Zoll Breite kleiner gefunden habe. Hierüber erbitte ich mir Auskunft. – Obgleich wir neuen Schlafsopha besitzen werden, so muß ich doch wohl auch noch für den Gast eine dritte Bettstelle anschaffen? und für das Mädchen eine vierte. Desgleichen steht weiter zur Frage, was noch für die oberen zwei Zimmer anzuschaffen wäre: vielleicht noch ein gewöhnlicher Sopha und Tisch nebst einigen Stühlen – es wird darauf ankommen, wie weit das Geld reicht, und werde ich deshalb hierfür noch keine Bestellung machen. Einige Bücherrepositorien mit Büchern muß ich gleichfalls oben hinaufstellen, da sie unten keinen Platz finden werden.
Mein liebes Herz! Du bist heute morgen richtig mit dem erwarteten lieben Briefe eingetroffen6, der sich gegen meine vorstehende hausbackene Prosa wie die reine Poesie ausnimmt. Deine süße innige Liebe erfüllt mich mit unendlichem Dank gegen Gott, der sie mir beschert hat, und fordert mich nur aufs neue auf, sie mit aller Kraft meines Herzens durch völlige Hingebung zu erwidern. Mit Recht glaubst Du, in mir das Herz gefunden zu haben, welches Du Dein nennen kannst für immer. – Die frohe Botschaft von Lina hat mich höchlich erfreut und trifft es sich fürwahr recht schön, daß ihr zu dem Männlein noch ein Weiblein geschenkt worden ist. Ich wünsche ihr und ihrem Friedrich auch für dieses Weibchen alle guten und schönen Gaben von oben, die es vor Gott und den Menschen liebenswürdig machen können. Ich grüße beide tausend mal. – Was Du mir von den lezten Bauers-Kränzchen schreibst, ist mir recht angenehm gewesen um Deinetwillen, weil ich daraus ersehe, daß der strenge Katechet Euch die christlichen Dogmen in ihrer gedankenreichen Tiefe auszulegen …7 und wird dies, wenn man sich nur von den spitzfündigen Controversen der Theologen fern hält, ein einfach gläubiges Gemüth gewiß nicht verwirren, sondern vielmehr zum bewußteren Verständniß einführen. – Der Gedanke, mein liebstes Susettchen, unsern Hochzeitstag in Simmelsdorf zu begehen und unsere kirchliche Einsegnung in Helena zu feiern, ist auch mir immer sehr reizend und fast poetisch erschienen; auch war davon, wenn Du Dich erinnerst, schon zwischen uns und mit der lieben Mutter einmal vorübergehend die Rede, wobei auf die Schwierigkeiten der Ausführung gleichfalls hingedeutet wurde; eine nähere Erörterung des Gegenstandes erschien uns jedoch noch zu früh, zumal wir auch über die Jahreszeit, den Monat unserer Hochzeitsfeier, noch im Ungewissen waren. Wenn wir hierüber erst im Reinen sind, wollen wir auf diesen unseren Lieblingsgedanken zurückkommen, und ich bin gewiß, daß der Vater, wenn irgend möglich, unserem Wunsche gern entgegenkommen wird. –
Rührend ist es wirklich, daß mehrere von unseren lieben Verwandten, um die wir uns so wenig bekümmert haben, doch so viel Antheil an unserem Glücke bezeigen – so der alte Onkel Karl, die Tante Sophie. Die letztere, wenn sie gekommen wäre, hätten wir wohl etwas fürchten müssen, wegen der scharfen Controle, womit sie die Liebenden zu verfolgen pflegt – unsere gute Lina wußte davon Manches zu sagen. Tante Sophie und ich, wir lieben uns ohne Zweifel recht sehr, aber am besten – in einer gewissen Entfernung. – Den lieben ehrwürdigen…8 grüße mir herzlichst. Ich danke Kiesern für seine freundliche Absicht, mit den zurückgelassenen …9 meiner zu gedenken. Du wirst es übrigens erst ordentlich ausspülen lassen, denn ich scheue mich wirklich, mir derwegen des schlechten unpassenden Inhalts, den Du darin gefunden und den ich allerdings, wie Du zart entschuldigend andeutest, nur um Raum zu gewinnen um den Krug vorm Zerbrechen zu schützen, hineingethan habe. – In der Lehre vom Du = Ich scheinst Du, mein süßes Liebchen, erhebliche Fortschritte zu machen – zu meiner Freude: bald muß ich fürchten, von Dir überholt zu werden, so schön hast Du sie begriffen: darum bist Du mit Recht fröhlich und heiter, denn die Trennung wird Dir nun nicht mehr schwer, da Du meiner Liebe und der bevorstehenden Vereinigung mit mir so gewiß bist; die Freude über die Gewißheit unserer Liebe muß den Schmerz der kurzen Trennung weit überwiegen. –
Wo magst Du jetzt eben sein, womit beschäftigt? Es ist Freitag Nachmittag 4 Uhr, der Himmel trübe, der Schnee fällt in dichteren Flocken; meine Wohnung liegt in einer ziemlich engen Straße, der Blick zum Fenster hinaus ist daher beschränkt und gibt nur wenig Abwechslung. Ich könnte, nun am dritten Tage meiner Einsamkeit, melancholisch werden, wenn mich nicht Dein liebes Bild erheiterte und die Aussicht auf mein künftiges Glück mir immer wieder neuen, unversiegenden Trost zubrächte. Bekümmere Dich aber nur nicht meinetwegen, mein Liebchen; bis Du diesen Brief liesest, bin ich schon wieder von meiner Gefangenschaft befreit und im erheiternden Verkehr mit den Menschen. Schreibe mir, ob Dein Husten wieder ganz verschwunden ist. Grüße die lieben Eltern und Geschwistern. Von den meinigen kann ich Dir diesmal nichts schreiben, da ich noch keinen Brief von ihnen erhalten habe, woran die Schuld wohl an mir liegt, da ich selbst erst vor wenigen Tagen geschrieben. Manuel war in einer üblen Noth, daß er keine Wohnung zu Ostern für sich finden konnte, wobei sein Augenmerk zugleich darauf gerichtet war, ob er vielleicht eine Wohnung mit der lieben Mutter gemeinschaftlich beziehen könnte. – Lebe wohl, meine theure Geliebte und mein trostreicher Engel. Gott wolle Dich ferner behüten!