Mein theures Susettchen! Es ist seit gestern nur noch eine Woche bis zu meiner Abreise von hier u. da drängen sich viele Arbeiten, Geschäfte, Besorgungen u. Vorbereitungen zusammen; daneben soll ich Besuche bei Freunden machen, andere laden mich ein, um mich länger bei sich zu haben. Da wird mir die Zeit wirklich sehr knapp u. wird dann für diesen Brief kaum viel übrig bleiben. So habe ich gestern u. vorgestern Abend zum Theil durch Einladungen verloren, wenn auch auf der anderen Seite der Gewinn dabei war, daß ich besonders vorgestern in einem musikalischen Kränzchen bei Oberappellations-Rath Ackermann an den vorgetragenen Musik- u. Gesangsstücken sehr viel Freude hatte u. dadurch in die heiterste Stimmung versetzt wurde. Gestern Abend brachte Stannius einen seltenen u. delicaten Fisch, der ihm zur anatomischen Untersuchung gesendet worden, eine Lachsforelle, mit seiner Frau in das Leist’sche Haus und wurde ich plötzlich dazu citirt, um ihn verzehren zu helfen: ich versäumte darüber Anderes u. hinterher that’s mir beinahe leid, daß ich hingegangen war.
Mehr Gesellschaftswesen ist mir in diesen Tagen wieder sehr lästig geworden. Ich hatte mir vorgenommen keine Einladung weiter anzunehmen, zumal mich nächtlich ein rheumatisches Zahnweh plagte; da kam hier unerwartet einer meiner Freunde, Justizrath Buchka aus Strelitz mit seiner Frau an u. mußte ich, ungeachtet meiner bedrängten Zeit, gestern Abend in einer Gesellschaft bei seiner Schwiegermutter, Frau von Stein, eine ganze Reihe von Stunden zubringen.
Heute morgen erhielt ich einen Brief von meiner lieben Mutter. Im Anfang schreibt sie sehr trübe über ihr unverändertes Leiden, wenn gleich mit gottvertrauendem Muth; zum Schluß berichetet sie wieder etwas hoffnungsvoller, daß der Arzt nach längerer Zeit bei ihr gewesen sei u. den Zustand der Beine doch gebessert gefunden, auch Bäder verordnet habe. Möge doch der gütige Himmel sie uns noch erhalten, die liebe, einzig gute Mutter! Ihr Brief enthält noch eine Menge Anordnungen u. Vorschläge, meinen Haushalt betreffend, woraus ich ersehe, wie angelegentlich u. umständlich ihre liebevolle Sorge sich mit unserer Einrichtung beschäftigt.
Das verlangte Attest des Rostocker Magistrats, dahin lautend, daß Du als meine Frau hier Aufnahme finden wirst, habe ich bereits in Händen. Heute Sonntag ist auch die dritte Proclamation in meiner Marienkirche erfolgt u. werde ich mir die Bescheinigung morgen vom Pastor geben lassen. So wären dann auch diese Papiere in Ordnung, die ich von Erfurt aus schicken werde.
Mein theures Susettchen! Der Regel nach sollte dieser Brief heute Abend abgehen, nachdem ich den Deinigen1 schon gestern Abend spät erhalten; allein ich lasse Dich diesmal absichtlich um einen Tag warten, damit er erst am Vorabend Deines Geburtstags2 in Deine lieben Händen komme. Auch siehst Du, daß ich noch wenig zum Schreiben gekommen bin; denn es gibt in diesen letzten Tagen gar viel zu besorgen. Die Abreise von hier bleibt auf Donnerstag Vormittag, 14. März festgesetzt, wie ich Dir schon früher geschrieben; an Deinem Geburtstage will ich Vormittags in Berlin eintreffen, um ihn dort mit der lieben Mutter, Manuel u. Friederike zu feiern, ebenso wie den der lieben Mutter selbst am Sonntage, den 17. März. Das Parlament von Erfurt wird immer noch am 20. dieses Monats eröffnet, was auch der Nürnberger Correspondent sagen mag, der über Alles, was vornehmlich Preußen betrifft oder von diesem ausgeht, wohl selten ein richtiges Wort zu Tage fördert.3
Recht gefreut hat mich Alles, was Du mir über das Glück des Kieserschen Ehepaares schreibst, das uns ja wohl ein freundliches Vorbild unseres kommenden Glückes gewährt. Sie haben nach langem Harren endlich das Ziel der Wünsche erreicht u. kaum tritt durch ihre Verbindung eine merkliche Veränderung in Eurem gewohnten Kreise ein. Anders bei uns, mein liebes Susettchen; uns wird zwar hoffentlich die Zeit des Harrens verkürzt, aber unsere Vereinigung bedingt zugleich Deine Trennung von Vielen, die Deinem Herzen überaus theuer sind. Wie hoch muß ich Deine Liebe schätzen, daß sie mir so gerne und bereitwillig ein so großes Opfer bringt! –
Ich danke Kiesern dafür, daß er sich so gefällig meiner Bierangelegenheit unterziehen will. Es wird drauf ankommen, zu welcher Jahreszeit das Bier am besten zu versenden ist; denn es hält sich, wie man mir sagt, schwer bei einem so weiten Transport zumal auf der Eisenbahn, wo es noch mehr durchrüttelt wird, und befürchte ich, daß es mit der Versendung zu spät werden möchte, bis wir selbst hierher kommen. Mein Freund Stannius ist gern bereit, dasselbe in Empfang zu nehmen und auch zur geeigneten Zeit für unseren Keller abzapfen zu lassen. Indessen können wir allerdings noch etwas damit warten, besonders wenn Kieser für eine etwas spätere Zeit noch besseres Bier verspricht. –
Mein herzliebes Susettchen! Nach den vielen zerstreuten Geschäften des heutigen Tages bleibt mir nur noch ein kurzes Stündchen übrig, welches ich Dir geweiht habe, um mich mit ganzer Seele zu Dir zu versetzen und Dir den innigsten Gruß Deines Liebsten aus weiter Ferne zu Deinem Geburtstagsfeste zu senden: dieser Herzensgruß soll Dich schon am Vorabend Deines Festes erreichen, um Dich in der vollen Stimmung unsrer Liebe in dasselbe zu begleiten. Ich werde bei Dir sein an diesem Tage, mein süßes Susettchen, und meine Seele wird Dich küssen und Dich umfangen, um Dich nicht wieder loszulassen aus den Banden der Liebe, womit sie Dich für immer umschlungen hat. Laß uns vor Allem Gott aufs neue dafür danken, daß er uns auf unseren getrennten, weit auseinander liegenden Lebenswegen endlich doch zusammengeführt hat, weil wir, so meine ich und so meinst auch Du gewiß, von Anfang an für einander bestimmt waren. Denn die Gewißheit unseres dauernden Glücks entnehme ich nicht bloß aus unsrer gegenseitigen innigen Liebe; ich finde sie auch begründet in der gleichen natürlichen Anlage unserer Charaktere, in dem schönen Zusammenstimmen unserer Sinnesweise und unserer Lebensansichten, und wiederum in einer nicht minder reizenden Ergänzung, welche aus dem Zusammentreten mancher verschiedenen Eigenschaften
unsres Temperaments oder Naturells entsteht. Darum wird es uns auch leicht werden, meine theuerste Geliebte, eine gemeinsame und gleiche Lebensgewöhnung zu gewinnen, welche sich bei Menschen oft schwerer findet, wenn sie sich auch recht von Herzen lieb haben, deren Naturen weniger zusammen passen. Nur dagegen muß ich mit Dir auf meiner Hut sein, daß Deine Herzensgüte mich nicht durch zu viel Nachgiebigkeit verwöhnt, daß mein natürlicher und durch langes Alleinstehen verstärkter Egoismus sie sich nicht zu nutze macht, wenn meine Liebe zu Dir ihn nicht aufmerksam überwacht und zurückdrängt. Doch ich gelobe Dir feierlich, meine Herzliebste, daß ich immer bemüht sein werde, ihn in die gleiche Hingebung an unser gemeinsames Leben zu verwenden, und bitte Dich nur inständigst darum, daß Du mich, durch Deine volle Offenheit auch über meine Fehler, in solcher Bemühung unterstützen mögest. Denn Wahrheit allein soll zwischen uns sein, damit sich unsere Seelen durch sie immer mehr bilden und läutern und so den herrlichsten Gewinn ihrer Vereinigung erreichen. Dies wird auch allein der echte und Gott wohl gefällige Dank sein, den wir ihm für unsere Liebe bringen können.Was ich Dir sonst noch zu Deinem Geburtstagsfeste bringe, verdanke ich hauptsächlich der treuen Sorgfalt und liebevollen Bemühung meiner theuersten Mutter und meiner lieben Schwester4 Friederike: ich selbst werde das Geschenk erst in seiner wirklichen Bestimmung sehen und Dich mit ihm als mein geliebtes Weib an meine Brust drücken – mit ungeduldiger Sehnsucht sehe ich diesem seligsten Augenblick meines Lebens entgegen! –
Doch die Stunde schlägt, da ich meinen Brief keinen Augenblick länger aufhalten darf, wenn er Dich noch rechtzeitig erreichen soll. – Antworte mir nach Erfurt poste restante5; am 18. März Abends gedenke ich dort einzutreffen; am 19. oder 20. kann ich wieder einen Brief von Dir erhalten. – Grüße Deine theuren Eltern und lieben Geschwister, die Großeltern, die liebe Lina und Alle, die an Deinem Geburtstage erscheinen werden, um Dich zu grüßen; denn sie grüßen in Dir auch mich, da ich Dich besitze, da ich Dein Liebster bin für alle Zeit: nicht wahr, mein einziges Susettchen? Gott wolle unsere Liebe segnen!