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Susanna Maria Tucher an Karl Hegel, Nürnberg, 25. März 1850

Mein herzliebster Karl!

Was wirst Du denken, wenn Dir der heutige Brief anstatt eines fast täglichen Berichtes nur wenige flüchtige Zeilen bringt? es war mir aber wirklich unmöglich, in letzter Woche Zeit zum Schreiben zu finden, so sehr mich auch mein Herz zu Dir, mein Liebster, drängte. Ich müßte vielleicht auch den heutigen Tag vorübergehen lassen, wenn nicht Dein lieber, treuer Brief1, den ich gestern Abend erhielt, es mir zum unabweislichen Bedürfniß machte, Dir gleich dafür zu danken, und der Fülle meiner Liebe zu Dir, Worte zu leihen, so daß ich alles Andre ohne Rücksicht zurückstelle, und zu Dir eile. Wie leid ist mir, daß mein letzter Brief2 erst so spät in Deine Hände kam, ich dachte ihn Dir für Mittwoch3 Abend oder Donnerstag Morgens zu, und so schnell wäre er gewiß auch zu Dir gekommen, wenn er den nächsten Weg über Coburg gelaufen wäre; wahrscheinlich geht aber die Route, wie ich an den Postzeichen des meinigen sehe, über Hof, vielleicht sogar über Leipzig, denn sonst wäre es unbegreiflich, daß ein Brief von Erfurt bis hieher 2 ½ Tag braucht. Mein lieber Vater rieth mir, die Station Coburg zu bemerken, vielleicht geht die Verbindung dann rascher. – Du schreibst mir, mein Liebster, Du seiest ungenügsam in Bezug auf Nachrichten von mir, wie mich das freut!! Glaubst Du, ich sei es weniger? Nein gewiß, ich gehe noch weiter in meinen Wünschen und Hoffnungen, die es nicht unterlassen wollen, mein Herz in freudige Erwartung für die Osterfeiertage4 zu versetzen; und diese Wünsche Dir mitzutheilen, und die Frage an Dich zu richten, ob Du mir die unaussprechliche Freude machen willst, uns an Ostern zu besuchen, das bestimmte mich noch vorzüglich, Dir gleich zu schreiben, sonst hätte ich nach Deinem Wunsche gewartet auf eine zweite Nachricht, um das fatale Kreuzen der Briefe zu vermeiden.

Meine lieben Eltern wünschen mit mir eine so schöne Feier des herrlichen Osterfestes, obwohl mein lieber Vater meint, Du würdest vielleicht als Schriftführer5 besonders, selbst während der Osterferien nicht abkommen können. Weißt Du, mein Liebster, daß ich der Politik zürnen könnte, die Deine Zeit so in Anspruch nimmt, daß kaum für mich eine bleibt? Vergieb, daß ich so kindisch bin; wenn ich einmal ganz bei Dir bin, werden wir uns viel friedlicher in Deine Zeit theilen, aber jetzt bin ich wahrhaft eifersüchtig.

Die Nachrichten, die Du mir von dem Befinden der theuren Mutter gibst, beruhigen mich sehr; ich war wirklich sehr besorgt und bekümmert. Gott gebe daß die Bäder ihr fortwährend gut thun. Die gute, einzig-liebe Mutter ist mir eine Gabe Deiner Liebe, für die ich Gott nicht genug danken kann. – Er wolle sie uns noch recht lange erhalten!

Meinem lieben Mariechen, nach welcher Du Dich so herzlich erkundigst, geht es leider gar nicht gut. Sie war ganz auf dem Weg der Besserung, konnte gestern ein Stündchen außer Bett zubringen, so daß wir aller Sorge überhoben waren; aber heute Morgen bekam sie einen so heftigen, schmerzhaften Rückfall, daß ich recht Angst um sie habe. Gott gebe, daß der Arzt, der noch nicht da war, uns beruhigen kann.

Noch Eines, mein liebster Karl! Hast Du das von der baierischen Behörde verlangte Papier in Erfurt und möchtest Du wohl so gut sein, es Deinem nächsten Brief beizuschließen? oder Du bringst es mir selbst mit?? Ach es wäre herrlich, obwohl es mir geht wie an Weihnachten, daß ich bei diesem fürchterlichen Winterwetter kaum wage, nur einen solchen Wunsch auszusprechen; doch er ist einmal tief mir in der Seele und im Herzen, und da Du in beiden Alles lesen darfst und sollst, will ich ihn Dir auch nicht verhehlen. Leb wohl, mein Liebster, Gott sei mit Dir! Könnte ich, nur mit diesen Zeilen zu Dir!

Ewig in treuer Liebe
Deine Susette.

P. S. Was wäre es mir für eine Freude, Dir die schönen reichen Gaben, mit welchen Du mich so überhäuftest, zu zeigen und Dir mündlich zu danken.