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Karl Hegel an Matthias Lexer, Erlangen, 25. Januar 1863

Geehrter Herr Doctor!1

Wenn ich Lust hätte Ihnen etwas übel zu nehmen, so fände ich in der That Grund genug dazu. In Ihrem vorletzten Brief verlangen Sie eine Anzahl Handschriften von mir, ohne dies Gesuch in anderer Weise als mit der Wendung zu motiviren: ‚es wäre mir aber lieb nähere Einsicht in folgende Handschriften zu haben’ und da ich Sie eben um die vermißte nähere Motivirung ersuche2, antworten Sie mir mit einer empfindlichen und sarkastischen Redeweise, daß Sie sich in dem Irrthum befunden hätten, daß ich schon zweimal meine Zustimmung zur Bearbeitung der Augsburger Chronik, (die Sie Anonymus II nennen) gegeben habe. Das ist nicht recht von Ihnen, lieber Herr Doctor, daß Sie Ihrer üblen Stimmung, die aus Ihrem ganzen Schreiben heraussieht, und die wahrlich nicht ich verschuldet habe, so gegen mich Raum geben. Wenn Sie meine Zeilen noch einmal ansehen wollen, so werden Sie bei ruhiger Betrachtung unmöglich herauslesen können, daß ich Ihre Bearbeitung jener Chronik im mindesten beanstandet hätte und daß ich gewünscht hätte, daß Sie dieselbe sistiren sollten. Im Gegentheil wünsche ich, daß Sie darin fortfahren und zwar mit rechter Lust, ohne welche freilich nicht daran zu denken wäre, fort fahren möchten, und ich schenke Ihnen dabei, wie bisher, mein volles Vertrauen und lasse Ihnen jede mögliche Selbständigkeit und von Ihrer Arbeit ganz allein die Ehre; allein das gehört sich doch, daß Sie mir nicht bloß Kenntiß geben von den Katalognummern der Handschriften die Sie gebrauchen und die ich Ihnen verschaffen soll, sondern auch um dem Zweck, wozu Sie gebrauchen und von dem Weg, den Sie bei Ihrer Arbeit einschlagen wollen; ich denke, hierüber wenigstens werden zweierlei Meinungen nicht bestehen.

Ich habe ferner wie nähere Beschreibung der Augsburger Chronik gewünscht und Sie schreiben mir darauf3, Sie könnten nur das bereits Gesagte wiederholen. Auch das ist nicht richtig: Denn in dem was Sie mir nun mittheilen ist mehr als in dem schon Gesagten enthalten und in einem Punkt, den ich ausdrücklich hervorgehoben vermisse ich noch jetzt die bestimmte Auskunft, nämlich hinsichtlich des Zeitpunktes mit welchem die Chronik beginnt. In meiner Äußerung endlich über die noch nicht ausgeführte Handschriftenbeschreibung zum Meisterlin lag gar kein Vorwurf.

Möchten Sie sich vor Allem einer trüben Stimmung über Ihre allerdings peinlich Lage nicht zu sehr freigeben, vielmehr mit aller Anstrengung suchen darüber Herr zu werden, und gute Hoffnung zu der Zukunft behalten. Von mir sind Sie ja noch in keiner Weise gedrängt worden und Sie sehen selbst, daß es noch genug zu thun giebt. Da sind gewiß die correcturen des von Ihnen bearbeiteten Schürstab, dann die Augsburger Chronik Anonymus II und die Handschriftenbeschreibungen zum Meisterlin und zum Zink; dann kommen andere Nürnberger, Augsburger Sachen. Zu Ostern4 hoffe ich einen neuen Bearbeiter für Augsburg zu gewinnen und es wird dort auch für Sie genug zu thun geben. Auch die Rotenburger und Memminger Chroniken könnten, wenn anderes fehlen sollten, in Angriff genommen werden; wir werden aber einstweilen mit Augsburg genug zu thun haben, wenn sich in Nürnberg nichts ehr für Sie zu thun fände. Also suchen Sie doch nicht um jeden Preis loszukommen, es müßte denn sein, daß Sie aus anderen Gründen es wollten. Die Augsburger und Nürnberger Handschriften will ich Ihnen jetzt verschaffen und ich wiederhole noch einmal, daß es mein Wunsch ist, daß Sie die genannte Augsburger Chronik jetzt vornehmen, was ja in Vollendung der Handschriften Beschreibung nicht ausschließt, da es Ihnen im Gegentheil lieber sein wird, Ihre Zeit zwischen beiden Arbeiten zu theilen, um eine Abwechslung in der Beschäftigung zu haben.

Leben Sie wohl und warten Sie eine ruhigere und freundlichere Stimmung ab, bis Sie mir wieder schreiben.

Ganz ergebenst
der Ihrige
Hegel