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Karl Hegel an Matthias Lexer, Erlangen, 17. März 1860

Hochgeehrter Herr!

Es ist Ihnen vermuthlich bekannt geworden, daß die von König Max von Bayern im Herbst 1858 errichtete historische Commission in München, deren Vorstand Professor Ranke und Secretär Professor von Sybel sind, mir als ihrem Mitgliede den Auftrag ertheilt hat, eine Sammlung von Chroniken deutscher Städte herauszugeben. In Folge dessen habe ich der Commission im vergangenen Herbst einen Bericht über die Ausführung erstattet, welcher von ihr gebilligt wurde und in der Sybelschen Zeitschrift Band 2 mit den übrigen Commissionsberichten abgedruckt ist. Es wurde zugleich beschlossen, daß mit Herausgabe der fränkischen, speciell der Nürnbergischen Chroniken1 der Anfang gemacht werden solle.

Meine Absicht, indem ich an Sie schreibe, ist nun, Ihre schätzbare Mitwirkung für dieses litterarische Unternehmen zu gewinnen. Es ist jedoch nöthig, daß ich Sie genauer von der Aufgabe unterrichte, damit Sie ersehen, welche Art der Mitarbeit ich brauche, und warum ich mich gerade an Sie wende.

Die Chroniken der Deutschen Städte aus dem 14. bis Mitte des 16. Jahrhunderts (denn dies wird in den allermeisten Fällen der Endpunkt sein) bedürfen einer zweifachen Bearbeitung, einer historischen und einer deutsch philologischen, welche aber in einander greifen und sich gegenseitig unterstützen und ergänzen müssen. Die Untersuchung des handschriftlichen Materials muß vorausgehen, um den Stoff zu sammeln, zu sichten und auszuwählen; die philologische Bearbeitung hat sodann die Texte nach den Handschriften richtig zu stellen und so weit möglich sprachliche Erklärungen zum Verständniß hinzuzufügen; dem historischen Bearbeiter liegt größtentheils jenes erste Geschäft der historischen Sichtung allein ob und dann wieder das Letzte, nämlich alles dasjenige hinzuzuthun, was geeignet erscheint, das Verständnis des Textes von der historischen Seite zu fördern. Der deutsche Philolog hat die Chroniken als Sprachdenkmäler zu behandeln, der Historiker (was allerdings für uns die Hauptsache ist) sie als historische Annalen nutzbar zu machen.

Was die historische Bearbeitung betrifft, so besorge ich diese zum Theil selbst, zum Theil wird sie durch meinen Mitarbeiter Herrn Dr. von Kern (aus Innsbruck), gegenwärtig in Nürnberg unter meiner Leitung ausgeführt. Für die sprachliche aber sind Sie durch Herrn Professor Müllenhof in Berlin so gut empfohlen worden, daß ich solche Ihnen mit vollem Vertrauen übertragen würde, im Fall Sie geneigt wären, sich auf die Sche einzulassen und Ihnen die Bedingungen, welche ich Ihnen anzubieten im Stande bin, gefallen würden.

Indem ich zwar voraus bemerkte, daß Sie natürlich Ihren Aufenthalt an demjenigen Orte zu nehmen hätten, der uns als das jedesmalige Arbeitsfeld angewiesen ist, also gegenwärtig und noch auf längere Zeit zu Nürnberg: so würden zuvörderst die Kosten Ihrer Reise bis hierher aus den mir zur Verfügung gestellten Mitteln der historischen Commission gedeckt werden; sondern biete ich Ihnen von dem Zeitpunkt an, wo Sie als Mitarbeiter eintreten, aus denselben Mitteln eine Remuneration in monatlichen Raten zum Jahresbetrage von siebenhundert Gulden (bayrisch oder rheinisch) an, was hier zu Lande für einen einzelstehenden Mann mehr als ausreichend ist um auszukommen. Die Aufkündigung unseres gegenseitigen Verhältnisses soll Ihnen, wie mir, drei Monate vor dem Termin Ihres Ausscheidens aus demselben frei stehen. Ich bezweifle übrigens nicht, daß solches sich ebenso freundlich und zusagend für beide Theile gestalten werde, als es zwischen Herrn Dr. von Kern und mir der Fall ist. Seien Sie überzeugt, daß es von meiner Seite gewiß am herzlichen Entgegenkommen nicht fehlen wird und daß ich durchaus nicht gemeint bin, jemand etwas an der Selbständigkeit und dem Verdienst seiner Arbeit abzubrechen, nur daß ich natürlich die allgemeine Leitung und Anordnung der Arbeiten nach den einmal festgestellten Gesichtspunkten des Unternehmens mir vorbehalten muß. Und hiermit berühre ich zuletzt noch diejenige Seite meines Anerbietens, worin wie ich glaube für Sie der Hauptreiz derselben liegen wird: ich verschaffe Ihnen eine vortreffliche Gelegenheit, Ihre schätzbaren Kenntnisse einem großen wissenschaftlichen Unternehmen, welches schon die Aufmerksamkeit der gelehrten Welt im hohen Maß auf sich gezogen hat, zu widmen, sie zugleich zu üben und zu erweitern und dadurch sich selbst einen ehrenvollen Namen zu machen, wenn sich für die Zukunft Ihrer wissenschaftlichen Laufbahn weitere günstige Aussichten knüpfen. Wilhelm Wackernagel schrieb mir vor Kurzem aus Basel, daß er selbst in früheren Jahren einen derartigen Antrag mit Freude ergriffen haben würde. –

Ich sehe nun Ihrer gefälligen Erklärung mit Ungeduld entgegen und bitte Sie mir Ihren Entschluß so bald es Ihnen möglich ist anzuzeigen. Je früher Sie als Mitarbeiter eintreten wollen, um so erwünschter wird es mir sein: reichliche Arbeit ist für Sie schon vorbereitet. Da ich gleich nach Ostern2 die Bibliotheken von Leipzig und Berlin zu besuchen gedenke, so wünsche ich Ihre Antwort bis spätestens vor diesem Termin zu erhalten. Im Fall, daß Sie mir schreiben, daß Sie unverzüglich kommen wollen, werde ich Ihnen gleich noch einige Aufträge mit auf den Weg geben.

Mit vollkommener Hochachtung
Ganz ergebenst
Professor Dr. Carl Hegel
an der Universität Erlangen