Dresden, 13. Juni 1850.
Donnerstag Abends
Theuerste Mutter!
Dieser Brief soll Dir unsere Ankunft zum Sonnabend Nachmittag ½ 2 Uhr anzeigen. Seit vorgestern Abend sind wir hier in Dresden, schwelgen in den Genüssen der Kunst und Natur, die meinem Susettchen eine ganz neue Welt eröffnen. Vormittags sahen wir die Gemälde-Gallerie und die Antikensammlung, Nachmittags machten wir Spazierfahrten zu Wasser und zu Lande in die Umgegend, Abends befanden wir uns auf dem schönsten Platz der Brühlschen Terrasse, um die Farbenpracht zu bewundern, welche die untergehende Sonne über den herrlichen Strom und die ganze Landschaft verbreitete. Heute Nachmittag wollten wir auf die Bastei, wurden aber, nachdem wir so eben per Dampf zu Lande den Ort erreicht hatten, wo die Fußtour beginnen sollte, durch ein starkes Gewitter überfallen, gaben die Bastei auf und kehrten per Dampf zu Wasser zurück, um noch ein weniges an Dich und die lieben Eltern in Nürnberg zu schreiben. Wir wohnen in dem ehemaligen blauen Stern, jetzt Stadt London geheißen, und haben von unserem Zimmer aus den schönen Blick über die Elbe nach der Brücke und Altstadt. Das Wetter bleibt heute Abend trübe und regnerisch. Doch verweilen wir noch morgen hier, um die Gallerie noch einmal zu sehen. Dann geht es übermorgen zu Euch, Ihr Lieben, nach Berlin.
Nürnberg verließen wir am Montag Mittag, der Abschied wurde uns Beiden zugleich schwer und leicht: Susettchen lachte mit dem einen Auge, während das andere weinte, | und bei mir überwog, ich gestehe es, die glückliche Stimmung; auch den guten Eltern wurde der Abschied erleichtert durch die Freude über unser Glück. Sie begleiteten uns nach dem Bahnhof – die Kinder mußten auf des Vaters Geheiß zu Hause bleiben – ebenso Friedrich und
Lina, welcher letzteren der Abschied besonders schwer wurde. Sie winkten uns noch von ferne mit den Tüchern nach. Ein baldiges Wiedersehen wurde verabredet; im Fall ich nach Erfurt käme, mußte ich versprechen, wieder nach Nürnberg abzuschweifen, und im Falle ich nicht dahin käme, versprach der gute Vater, uns mit der Mutter in Rostock zu besuchen, was mir noch weit lieber wäre.
Mehreres mündlich. Bis dahin lebe wohl liebe Mutter; unsere innigsten Grüße an Manuel und
Friederike! Susettchen grüßt Dich mit herzlichem Verlangen nach dem Wiedersehen; sie schreibt an die lieben Eltern.
In inniger Liebe
Dein Karl.
Hegel, KarlKarl Hegel
HiKo
11657075X
Dresden51.0493286,13.7381437An der Elbe gelegene Haupt- und Residenzstadt des Königreichs Sachsen.
Privatbesitz
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Privatbesitz
1000
Neuhaus
, Helmut (Hg.): Die Brautbriefe Susanna Maria von Tuchers an Karl Hegel. Aus der Familiengeschichte der Nürnberger Patrizierfamilie Tucher von Simmelsdorf 1848/50, (= Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte, Bd. 97), Wien, Köln 2022.
Neuhaus
, Brautbriefe Susanna Maria von Tuchers an Karl Hegel
2022
Hegel, Susanna Maria Karoline Henriette, geb. Tucher
Susanna Maria Hegel, geb. Tucher116146891918261878Hegel, Susanna Maria Karoline Henriette, geb. Tucher (1826–1878), häufig „Susette“ genannt, Tochter Johann Sigmund Karl Tuchers (1794–1871) und Maria Magdalena Tuchers, geb. Grundherr (1802–1876), Ehefrau Karl Hegels (1813–1901); siehe auch: Tucher, Susanna Maria.
Grundherr, Adolf108003427718481908Grundherr, Adolf (1848–1908), in München geborener vielseitiger bildender Künstler, vor allem Maler und Graphiker. Sein Vater war der königlich bayerische Offizier Sigmund Grundherr von Altenthann und Weiherhaus (1797–1873). Nach dem Abitur am Münchener Maximilians-Gymnasium im Jahre 1868 studierte er an der Universität München zunächst Rechtswissenschaften, wechselte aber 1871 an die Nürnberger Kunstgewerbeschule und ein Jahr später an die Münchener Kunstakademie, um sein ganzes Leben der Kunst zu widmen.
Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel)Immanuel HegelJurist/Konsistorialpräsident der Provinz Brandenburg11657072518141891 Hegel, Immanuel (Manuel, Emanuel) (1814–1891), Bruder Karl Hegels, studierte von 1832 bis 1834 und von 1835 bis 1836 Jura an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, von 1834 bis 1835 an der Ludwigs-Maximilians-Universität in München, trat 1836 in den preußischen Staatsdienst ein und war als Verwaltungsjurist in verschiedenen Verwendungen des Königreichs Preußen, vor allem im Staatsministerium, tätig, wurde 1865 Präsident des Konsistoriums der Provinz Brandenburg, heiratete 1845 Friederike Flottwell (1822–1861) und 1865 Clara Flottwell (1825–1912), beide Töchter des oftmaligen preußischen Oberpräsidenten und Staatsmanns Eduard Heinrich Flottwell (1786–1865), war u. a. Vater des preußischen Verwaltungsbeamten und Politikers Wilhelm (Willi) Hegel (1849–1925), war 1856 Taufpate seines Neffen Georg Hegel (1856–1933).
Bastei50.9617474,14.0719631Felsengebilde in der Sächsischen Schweiz in Sachsen, etwa 30 Kilometer südöstlich von Dresden in der Nähe von Pirna an der Elbe gelegen.
Nürnberg49.453872,11.077298In Franken an der Pegnitz gelegene ehemalige Reichsstadt, seit 1806 Stadt des Königreichs Bayern.
ElbeIm Riesengebirge in der Nähe von Spindlermühle entspringender und bei Cuxhafen in die Nordsee mündender europäischer Fluß von etwa 1100 Kilometer Länge.
Berlin52.5170365,13.3888599Hauptstadt des Königreichs Preußen und ab 1871 auch des Deutschen Reiches.
Erfurt50.9777974,11.0287364Am Südrand des Thüringer Beckens gelegene, ehemals kurmainzische Stadt, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts an Preußen fiel.
Rostock54.0886707,12.1400211Hansestadt an der Ostseeküste des Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin mit der 1419 gegründeten ältesten Universität im Ostseeraum.
Gallerie St. HubertDie mehr als 200 Meter lange „Galeries Royales Saint-Hubert“ ist eine 1847 in Brüssel eröffnete zweigeschossige überdachte Ladenpassage.
Antikensammlung (Dresden)Die Dresdener Antikensammlung (Skulpturensammlung) war in der Mitte des 19. Jahrhunderts im Erdgeschoß des Johanneums untergebracht.
Brühlsche TerrasseNach dem sächsischen Politiker Heinrich von Brühl (1700-1763) benannter, etwa 500 Meter langer Teil der Dresdener Befestigungsanlage zwischen Augustus- und Carolabrücke. Entlang der Elbe entstanden zahlreiche Bauwerke und Gartenanlagen.
„Blauer Stern“ (Dresden)Der „Blaue Stern“ war ein Wohn-, Gast- und Hotelgebäude auf der Neustädter Elbseite gegenüber der Altstadt. Schon Karl Hegels Vater hatte dort im Herbst 1820 gewohnt.
Augustusbrücke (Dresden)Die nach August dem Starken (1670-1733), als Kurfürst von Sachsen Friedrich August I., als König von Polen August II., benannte Augustusbrücke verbindet über die Elbe hinweg die Dresdener Altstadt und die östlich gelegene Neustadt.
Erfurter ParlamentUnionsparlament, das im Frühjahr 1850 in Erfurt tagte.