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Maria Helena Susanna Hegel, geb. Tucher, an Karl Hegel, Berlin, 5. Juni 1846

Mein theuerer Herzens Sohn!

Wir dürfen Dir an Deinem Geburtstag2 nicht fehlen – und wie ich den 7ten Juni mit Herz und Gedanken und ganzer Liebe meines Herzens bei Dir bin, gehört doch auch ein ausgesprochenes Wort dazu – So sey mir denn viel tausendmahl gegrüßt an Deinem Geburtstag – Du lieber Sohn!

Ich muß jedesmahl mit Freuden daran denken, daß Du mir am Pfingstfest gebohren bist3 – und ich lege jetzt erst, wo ich im Glauben den Sinn und die große Bedeutung des Pfingstfestes erfasse, eine Bedeutung – eine Anwartschaft hinein – und der Heilige Geist darf mein Pfingsttagskind nicht leer ausgehen lassen, – ach laß mich nur immer darum bitten, um alle gute und alle vollkommene Gabe, die von Oben herab kommt, von dem Vater des Lichts – Wenn das was wir uns Selber nicht geben – nicht in eigener Vernunft und Kraft erlangen! – Denn es ist höher als alle Vernunft – es ist eine Gotteskraft, etwas aus dem Himmel! – Ich kann Dir nichts köstlicheres und schöneres erbitten – und weiß was ich in solchem Glauben von Gott erbitte, will und wird mir und Dir – Gott schenken – Dir, Du liebes Herz – der Du ja Wahrheit und nichts als Wahrheit und Gewißheit verlangst – Dieses Verlangen ist schon Glaubens Anfang – und ein Unterpfand daß Dich der Herr in aller Wahrheit leiten wird –

Unser Marheineke ist nun auch nicht mehr – Er starb am Pfingstmorgen4, wo er sehr heiter aufgewacht ist – er war am Kreuzberg die vorhergehenden Tage besonders wohl, scherzte mit den Kindern – ging spazieren, die beängstigenden Zufälle waren schon lange ausgeblieben und seine sonstigen Beschwerden waren erträglich – er ermahnte beim Aufstehen am Pfingstmorgen seine Frau indem sie ihm beim Ankleiden behülflich war sich zu schonen und mehr an sich zu denken und fuhr indem er dieß sagte mit beiden Händen nach der Stirne – fiel zurück  und war verschieden –

Es war lang gefürchtet – doch furchtbar überaschend obwohl – ein glückliches schmerzloses Ende – daß er daran gedacht hat sein Haus zu bestellen zeigt sich in seinen Papieren die alle geordnet sind – er hat ein Testament gemacht und doch auch mehr als man geglaubt für die Wittwe gesorgt – Sie ist gefaßt – aber das Schwerste wird erst noch nachkommen wenn es stiller und beschränkter um sie wird – Die Beerdigung war sehr feierlich, er wurde vom Kreuzberg in die Kirche am Abend vor der Beerdigung gefahren und da wurde erst von einer großen Versammlung (auch Eichhorn war da) ein Choral „Jesus meine Zuversicht“5 angestimmt und dann von Kober eine lahme Gedächtnisrede gehalten – Doch war es feierlich und würdig wie dieser letzte Kämpfer zu Grabe getragen wurde. Mir war es recht ernst und weh ums Herz – Göschel ist hier. Die General Synode ist nun wieder eine Begebenheit auf welche aller Augen warten ob sie etwas Ersprießliches zu Tage fördern wird. Bischoff Neander Vice President – ist schon ein Schlag und Aergerniß von forne herein – Göschel fragt mit vieler Liebe nach Dir – Sie war gestern Mittag mit Manuel und Friederike bei mir – Heute jetzt indem ich schreibe ist die gute Bertram mit ihren Kindern auf den ganzen Tag bei mir – doch muß ich sie allein im Garten lassen indem ich eilig dieß schreibe – damit Du mir am Geburtstag doch nicht ganz leer ausgehst – Ich schicke dießmahl ohnehin kein Geburtstags Present mit – etwas zur Ausstattung bringt Dir Frau Professor Becker mit – die mich heute Vormittag auch besucht hat und in 8–10 Tagen zurück reist – Ich kann Dir auch sagen daß ich Gottlob recht wohl bin – das ist Dir doch das liebste, das weiß ich –

Frau von Senft und die Mädchen grüßen Dich auch. Ida kränkelt an Bleichsucht. Sie machens aber bedenklicher als es ist.

Nun darf ich aber meine Bertram nicht länger allein lassen – Ich hatte gestern so vielerlei ermüdende Besuche nach meiner Rückkehr von der Kirche von Marheinekes Begräbniß und wills doch auch nicht heute aufgeben an Dich zu schreiben damit der Brief am Geburtstag bei Dir ist.

So leb dann wohl lieber theuerer Sohn!

Gott segne Dich und behüte Dich! Dieß und noch mehr erbittet von Gott Dein treues

Mutterherz.