So bin ich denn gestern Mittag 1 Uhr glücklich hier angelangt und habe mein liebes Susettchen in die Arme geschlossen. Ich fand sie im Wohnzimmer in den Armen ihrer Mutter, nachdem sie den ganzen Vormittag in banger Erwartung zubrachte. Es war ein seliges Wiedersehen! – Am Nachmittag ging ich noch ein halbes Stündchen mit Gottlieb auf den Christmarkt und in einige Läden, wo ich Weihnachtsgeschenke für die Geschwistern einkaufte. Zu der Bescherung kamen alle die lieben Verwandten, Lina und Friedrich und der Großvater, die Tante Fritz und ihre Kinder mit Kieser und die Frau von Bunnerstein2. Mein Susettchen hatte an unsern Geschenken, Deinem und meinem, eine recht große Freude, und mit der Uhr habe ich gerade einen ihrer Wünsche getroffen; ich hätte es sehr bedauert, wenn ich sie nicht gleich mitgebracht hätte.
Ich sage Dir nichts von dem Glücke der Liebenden, das Du auch so verstehst.
Heute morgen waren wir alle zusammen in dem St. Jacobs-Kirchlein, um die Predigt des Pastors Pirkheuer zu hören; ich saß mit Susettchen unten, die Eltern oben im Chor. Die Predigt war eine recht schöne Festpredigt, zu dem schönen heiteren Wintertage, wo das liebe Nürnberg von der Sonne so hell beglänzt erscheint. Wir sind von da zusammen in des Vaters Studierzimmer auf der Amtsstube gegangen3, um Dir sogleich zu schreiben und sitzen jetzt nebeneinander allein an einem Tisch in diesem.
Die Finger sind mir aber in der Kirche so steif geworden, daß ich nur schwer aus der Stelle komme.
Wir denken und sprechen oft von Dir, liebste Mutter, von Manuel und Friederike, und sagen uns, daß auch Ihr in Gedanken bei uns seid.
Wenn Du kannst, so schreibe doch noch einige Worte an uns zum neuen Jahr, damit wir hören, wie Dir Deine Ausfahrt zu Manuel bekommen ist; wir sind deshalb nicht ohne Besorgnisse, dessentwegen wir von Dir selbst beruhigt werden müßten.
Meine Reise war sehr kalt, doch nicht gerade beschwerlich. Nur zum Mittagessen konnte ich in Leipzig nicht gelangen, da der Zug erst kurz vor ½ 5 Uhr ankam und der andere vom Altenburger Bahnhof schon um 5 Uhr wieder abging. Es blieb nur eben noch so viel Zeit übrig, um mich mit 2 Tassen Caffee zu erwärmen; und nicht anders erging‘s mir am Abend in Reichenbach, wo ich eben mein Glas Bier erhielt, als der Postillon zur Abfahrt blies. In Plauen konnte ich mich 3 Stunden ausruhen, bis es um 4 Uhr morgens weiter nach Hof ging; kurz vor Lichtenfels hatten wir das Unglück, eine arme alte Frau auf dem Bahnwege überzufahren. – Von Gottlieb wurde ich auf dem Bahnhofe in Empfang genommen; Onkel Siegmund kam erst etwas später von seinen Geschäften nach Hause.
Heute Mittag sind wir bei den Großeltern und was die folgenden Tage bringen, weiß ich noch nicht – für Susettchen und mich ist es ziemlich einerlei, wo wir sind, da wir doch jedenfalls zusammen sind und uns um die Anderen nicht viel kümmern. Sie wird Dir selbst besser ausdrücken können, als ich, was so ein liebendes Paar empfindet4; ich gestehe, daß ich darüber nicht gern viele Worte mache, wenn auch nicht die Zeit drängte, diese Zeilen abzuschließen, damit wir den Brief noch zur rechten Zeit vor 12 Uhr auf die Post bringen können. – Tausend Grüße an Immanuel und Friederikchen; ich umarme Dich, liebste Mutter.