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Maria Helena Susanna Hegel, geb. Tucher, an Karl Hegel, Berlin, 14. November 1846

Heute den 14ten November2 reichen wir uns wohl im Andenken des lieben theuren Vaters im Geiste die Hand! – Ihr meine lieben Söhne seit mir ein Theil von ihm selbst – und ein liebes Vermächtniß, das mich zu einer reichen Mutter macht – dafür danke ich Gott! – Wie dunkel lag vor 15 Jahren die Zukunft vor mir, und wie gnädig hat der Herr bis hieher geholfen! – Wie verschwindet im Strom der Zeit das Einzelne, was uns in der Gegenwart oft so schwer und gewichtig erscheint – und wir erfassen hier und dort schon den Gedanken der Liebe, die über dem Allen nach weisem Rath Alles führet und leitet und die uns den Schmerz nicht erlassen kann, der wie der Vater sagt: die Geburtsstädte eines neuen Geistes3 – ist. – – Ja mein Herz ist heute im Andenken an das was mir durch Hegel geschenkt und durch seinen Tod entrissen, mehr zum Lob und Dank, als zur Trauer gestimmt. Was dem Ewigen angehört, ist das Bleibende – Es fällt mir hier ein, was Löhe in seinem Buch von der Kirche4 schreibt – es ist ein Gedanke der mir so lieb geworden ist.

Die da leben im Herrn und die Ihm auser dem Leibe schauen – die da pilgern und die daheim sind – sind nicht zwei getrennte Heerden sondern Eine – was sie trennt ist etwas Vergängliches das täglich mehr hinweggeräumt wird – was sie vereint ist mehr und Größeres als was sie trennt“5

So leben wir mit unseren Seligen schon in der Zeit, schon in der Ewigkeit und fühlen uns gleichen Looses mit denen die überwunden haben – wenn auch die Zeit und das Leben uns noch in die Schule nimmt und uns erst noch für den Himmel erzieht –

Die Erfahrungen in letzter Zeit waren die schmerzlichsten meines Lebens – aber ich glaube ich habe aus diesen Erfahrungen gelernt, es um so ernster zu nehmen mit mir selbst –

Möchten Dich solche Erscheinungen von Heuchelai und Gesinnungslosigkeit und Lüge unter dem Deckmantel der Frömmigkeit und die Schönseligkeit derer die von dem süßen Geschmack himmlischer Brosamen doch nicht gekräftigt und geheiliget werden, und wenn auch ein mahl ein Mann Gottes wie Goßner schwach erfunden wird – Dich nicht in Deinen Zweifeln bestärken – – das verhüte Gott! – Er lasse Dir im allerinnersten Deines Herzens erfahren – daß der Glaube, der Eines mit Gott ist, uns zu seligen Kindern Gottes macht, eine Gotteskraft ist die uns reiniget und heiliget; – wo ich solche Frucht nicht sehe – da such ich nur eine erheuchelte oder eingebildete Frömmigkeit –  –

Die Hochwächter ist nun schon im Kranken Haus eingezogen und hat Goßner die Bedingung gemacht, daß kein Dritter zwischen ihr und ihm stehen soll – sie erfaßt ihre Aufgabe mit großem Ernst und ich hoffe sie wird den rechten Tact finden und Goßners Vertrauen gewinnen. Manu meint ich würde ihre Vertraute seyn und das vierte oder fünfte Wagenrad bleiben, aber darüber sind wir schon Eines geworden, daß ihre Stellung eine viel glücklichere ist, wenn sie allein mit Goßner und Ida zu thun hat. Wie gerne will ich auf alle persönliche Theilnahmen verzichten, wenn nur das Rechte geschieht. Born haben noch einen Brief mit ohnmächtigen Drohungen – „sie zu verderben“ an Therese geschrieben. Er forderte die Zurücksendung seiner Briefe und ihr die Beilage aus den Händen zu reißen – ich hab sie wiederum beruhigt und ihr gerathen ihm seine Briefe uneröffnet zurück zu schicken.

Unsere liebe Apothekerin kann ich nicht fürs 6 Klinikum gewinnen, da sie nicht ganz vom Kranken Haus entlassen und nur auf einige Zeit zu einer Prediger Familie verreist ist – Ich hab ihr wohl den Vorschlag gemacht und sie würde sich glaub ich ganz dazu eignen, aber theils war sie schon durch ihr Versprechen gebunden, theils möchte sie nicht für immer aufs Kranken Haus verzichten. Ich weiß leider auch keinen Andern dazu zu empfehlen, die von uns Entlassenen Brauchbaren sind in anderen Anstalten aufgenommen. Unsere frühere Apothekerin Fräulein Jacobi würde sich etwa dazu verstehen Aufseherin zu seyn aber zu Krankenpflege und Nachtwachen ist sie zu schwächlich – sie ist eine edle ernste Natur kann nach dem Zeugniß von Dr. Riese einen Assistens Arzt ersetzen, so erfahren und umsichtig ist sie als Apothekerin, aber sie ist wie gesagt, schwächlich – soll nächsten Sommer noch einmahl ins Seebaad und führt nun einem unverheuratheten Bruder den Haushalt, daher ich sie nicht unbedingt empfehlen kann –

Die lieben Senfs haben leider auch ihre Cousine Frau von Blankenburg geb. 7 verloren – die Mutter weiß es noch nicht, und scheut sich zu fragen – der Vater ist wieder hier und hat mich sehr herzlich aufgenommen. Lischen war auch unwohl und Ida konnte ich nicht sprechen. Wie viel Schweres hat die liebe Seele zu überwinden nun auch noch den Kummer über den Bräutigam.

Die Frau Professor Becker war freundlichst bei mir um Abschied zu nehmen und bringt Dir diesen Brief mit – Deine Wäsche ist auch angekommen und kostete nur 5 Porto und 2 ½ Accise – da erfuhren wir nun erst die Adresse des Fuhrmanns – ; Möchte Stopwasser der einen andern Fuhrmann aufgefunden und so die Lampe fortgeschickt hat, doch auch einen zuverläßigen Bothen sie anvertraut haben. Ich will flicken was ich noch flicken kann und das Andere an Lumpatschi verschenken.

Affingers haben mir liebe Briefe von Nürnberg mitgebracht. Siegmund ist wieder ganz wohl – auch unseres lieben Georgs Briefe von München aus, in denen ich ihn sehe und höre und mich seiner freue mit Thränen.

Glück zu Deinem vollendetenen 1ten Theil8 – möchtest Du den Lohn, den ich Dir wünsche dafür ernden.

Für Marheinekes Denkmahl wird gesammelt die Meisten unterzeichneten. Manu unterzeichnete für uns beide. Willst Du nicht auch dazu noch Dich unterzeichnen? Nun genug! in treuester Liebe Deine Mutter

Manu und Friederike grüßen Dich schönstens Gustli hat das 2te Zähnchen und wird täglich holdseliger.