Ich schließe so eben einen Brief an Euch beide, aber indem ich an Manuel den Brief schließe fällt mir ein daß ich den Brief der lieben Sybel nicht durch dritte Hand gehen lassen will. Du erhälst ihn also mit einem Vorläufer – der Dir den weiteren und breiteren Inhalt meines Briefs im Kurzen mittheilen soll. Ich habe die Fürstin Gallizin geb. Fürstin Suvaroff als eine arme unglückliche Schwester bei uns aufgenommen! Sie ist bei ihrem längeren Aufenthalt in der französischen Schweiz und Paris zur evangelischen eigentlich reformirten Kirche mit ihrer ältesten Tochter übergetreten. Nun sind ihr vom Kaiser und der Hierarchie der Griechischen Kirche ihre Töchter entrissen – sie ist ihres Vermögens beraubt – sie sollte nach Sybirien und durfte sich noch aus Gnaden im Ausland ihr Exil selbst erwählen – Sie suchte hier eine christliche Familie – eine stille Wohnung – Graf Schlieffen und Goßner verfielen auf mich und so schwer mir der Entschluß war in meine stille Häuslichkeit eine Fürstin aufzunehmen, so mußt ich es doch aus Gottes Hand so annehmen – sie war an mich ge- wiesen! – Sie hat um ihres Glaubens willen alles verloren. Sie ist arm und krank und einsam Liebe bedürftig – „nehmt Euch der Heiligen Nothdurft an!“2 – Ihre sanfte liebenswürdige – obwohl doch fürstliche Persönlichkeit – ihr Glaubensmuth, das Gefühl christlicher Gemeinschaft, hat mich zu ihr hingezogen – sie ist so offen gegen mich – ich bin die Vertraute ihrer Schmerzen über die sie sich sonst gegen niemand ausspricht, Sie will Niemand sehen – begnügt sich mit der gelben Stube zum Schlafen und Wohnen, im Vorzimmer schläft ihre Jungfer, eine Berlinerin, die ein gutes Mädchen ist und mir keine Störung macht – So leben wir denn nun schon 8 Tage zusammen – 3 Tage blieben mir zu den Einrichtungen und Vorbereitungen – Diese Unruhe und ihr Einzug. Die Noth all ihren Reichthum von Silber und Garderobe unterzubringen machte mir viel zu schaffen – Mein Haushalt war wie eine umgestürzte Schachtel – ich habe nur das nöthigste unten behalten können, die Hälfte meiner Sachen sind auf dem Boden – doch die Liebe kann alles – und ist erfinderisch – ich habe jetzt alles allerliebst eingerichtet und untergebracht – mit entlehntem Meubelar mir geholfen.
Und wenn Ihr kommt findet Ihr auch noch Platz – Ein Stübchen parterre wurde mir schon angebothen, zu einem Gastzimmer für Euch – Sie geht aber wahrscheinlich nach 2 – 3 Monaten – wenn der Kaiser sie bis dahin nicht begnadigt und ihr die Rückkehr erlaubt, nach Paris. Manuel wird Dir meinen Brief in dem ich ausführlicher alles schreibe, und auch einen Brief den sie an mich schrieb schicken3 – Ich erklärte was ich aus christlicher Liebe thue, laß ich mir nicht bezahlen, ich wollte nur von ihr so viel annehmen, als mein Haushalt durch ihre Anwesenheit mehr kostet als sonst, wöllte sie mehr geben, so sollte sie es dem Krankenhaus geben – und wirklich finde ich für meine Armen ein offenes Herz, bereit zu geben an ihr, sie war schon einmahl mit mir im Kranken Haus – hat, wo sie war, die Spitäler besucht. Goßner glaubte eine Elisabeth4, die uns alle beschämen soll, an ihr zu gewinnen, aber dazu ist sie zu kränklich und doch noch zu vielseitig – für die Kunst – Politik – eine feine gebildete geistreiche Französin – sie sah in ihren Salons in Paris die ersten Künstler Philosophs Dichter und Menoniten – Sie ist aber jetzt ganz in der evangelischen Kirche – sie hat alle Consessionen kennen lernen – und hält sich nun an unsichtbare Kirche Christi und an Sein Wort – Ich erstaune über ihre Bibel Kenntniß – – Ihr Glaubensmuth ist der einer Märthirin5 – nur steht die Fürstin und ihre Bildung und die Vielseitigkeit ihrer Interessen, das Chaos ihrer Verhältnisse in denen sie noch verwickelt ist, im Wege und läßt die arme Seele nicht zur Ruhe kommen – Mein armes Herz muß viel in sich aufnehmen – dazu die äußere Unruhe der vielen Bedürfnisse. Sie ist zwar sehr einfach anspruchslos und gut – bittet mich ich sollte so thun als ob sie nicht da wäre – begreift aber nicht, daß sich nicht alles von selbst macht – Nun hab ich mir aber durch eine Aufwärterin eine Gehilfin verschafft und habe ein gutes unverdrossenes Mädchen – und habe mich selbst in meinen veränderten Haushalt gefunden und habe wieder neuen Muth und Kraft und Freudigkeit – Meine körperlichen Kräfte waren wieder ein wenig gesunken nun aber seh ich wieder ganz wohl aus und habe vielleicht nun mehr Ruhe, als wenn ich mit der guten Sybel im Kranken Haus wirthschafte. Die Fürstin ist sehr leidend und der Ruhe bedürftig die letzte 3 Tage ganz bettlägerig – die andern Tage liegt sie bis Mittag ißt um 5 Uhr allein – dazwischen bittet sie mich auf eine Stunde – die Abende kömmt sie gern zu mir, spielt auf einem …6 Instrument mit Wirtuisität7. So viel seit 8 Tagen!8