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Karl Hegel an Georg Waitz, Erlangen, 9. September 1875

Theurer Freund!

Bei Abfassung meines beifolgenden Votums1 über die Preisertheilung habe ich recht peinlich empfunden, eine wie mißliche Sache es ist, unter eine Reihe von ziemlich gleichstehenden Werken deren Verdienste gegeneinander abzuwägen und eines vor dem anderen zu bevorzugen. Wäre es nicht geboten eine solche Entscheidung zu treffen, so möchte man sich ihr am liebsten ganz entziehen. Denn es liegt immer etwas Incommensurables zwischen den Bearbeitungen gänzlich verschiedener Stoffe, denen sie sich anzupassen haben. Und dazu kommt, daß die Arbeiten der Preisrichter selbst von der Beurtheilung ausgeschlossen sind. Wer würde sonst nicht, im gegenwärtigen Falle, zuerst an Ihre Verfassungsgeschichte denken? Dieser mißliche Umstand tritt uns jetzt zum ersten mal in Bezug auf Ranke entgegen. Ich glaube nicht, daß er jetzt übergangen werden darf, nachdem er bisher aus einen bloß äußeren Grunde übergangen worden ist. Ihnen liegt noch die schwierige Aufgabe ob, das Endurtheil des Preisgerichts zu formuliren.2

Für die freundliche Übersendung des 6. Bandes Ihrer Verfassungsgeschichte sage ich Ihnen meinen herzlichen Dank. Höchst erfreulich ist das rüstige und rasche Fortschreiten dieses Grund legenden, unendlich schwierigen und mühsamen Werks. Möchte es Ihnen vergönnt sein, dasselbe noch glücklich zum Ende zu führen!

Ihre Übersiedlung nach Berlin ist jetzt nahe herangekommen. Wie schwer muß Ihnen die Trennung von dem geliebten, freundlichen und stillen Göttingen werden! Von meinem Bruder, den ich auf der Durchreise sah, hörte ich von Ihrem Aufenthalt in Wildbad; die Kur hat ihn doch recht angegriffen, doch lassen sich die guten Folgen derselben erwarten. Wir haben hier unterdessen die Hochzeit meiner Tochter Anna gefeiert, das junge Paar3 reist gegenwärtig noch in die Schweiz und ich bin mit meiner Familie kurze Zeit in dem nahen Muggendorf gewesen. Meine Tochter Luise Lommel hat mich vor wenigen Tagen mit einem zweiten Enkel beschenkt.4

Zu Ende des Monats sehen wir uns in München wieder; hoffentlich kommt auch Ranke zum letzten Mal, wie er, wenn auch nicht sicher, versprochen. Ich bringe den ersten Band der Cölner Chroniken mit, der jetzt im Druck beinahe vollendet ist.5 Über den Fortgang der Monumente werde ich Näheres von Ihnen hören.

Mit herzlichen Grüßen an Ihr ganzes Haus und den besten Wünschen für dessen Übersiedlung in die deutsche Hauptstadt
freundschaftlich
der Ihrige
Carl Hegel.