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Karl Hegel an Georg Waitz, Rostock, 18. Mai 1859

Verehrtester Freund!1

Wenngleich, wie Sie mit Recht bemerken, man sich in gegenwärtigen turbulenten Zeiten nicht auf weitaussehende friedliche Unternehmungen einlassen kann, so denke ich doch in dem meinigen fortzufahren, so lange es nicht schlimmer kommt, und so lange namentlich noch die dafür nötigen Geldmittel verfügbar sind. Dann allerdings bedarf ich dabei der Mithülfe Anderer in verschiedenen Richtungen. Fürs erste ist das gestreute Material der handschriftlichen Städtechoniken in Bibliotheken und Archiven aufzusuchen und zu sichten. Dann und zugleich ist mit der Bearbeitung der Chroniken einzelner Städte der Anfang zu machen, um daran sofortige Herausgabe vorzubereiten. In letzterer Beziehung darf ich im allgemeinen wohl auf die mit der Ortsgeschichte vertrauten Localhistoriker rechnen; doch habe ich bereits erfahren, daß ich solchen allein die Arbeit nicht überlassen kann und wesentlich selbst mit Hand anlegen muß. Da ich dies aber nicht an vielen Orten zugleich thun kann, sondern nur an wenigen und dabei durch meinen Beruf als Professor immer gebunden bin, so brauche ich historisch gebildete und zuverlässige Mitarbeiter, denen ich dieses Geschäft übertragen oder mit welchen ich mich darin theilen kann. Noch mehr aber ist dies der Fall für das Geschäft des Aufsuchens und Sammelns des Materials in den verschiedenen Bibliotheken und Archiven von Deutschland, und gerade auf diesen Theil der zur Einleitung des Unternehmens dienenden Arbeiten habe ich vorerst am meisten Gewicht zu legen, um eine Übersicht über den Umfang der Sache zu gewinnen und danach den Plan anzulegen. Um mich jedoch nicht gleich hierbei wieder ins Unübersehbare und Weite zu verlieren und um bis zur nächsten Herbstsession zu einem gewissen Abschluß zu kommen, will ich mich bis dahin auf einige Kreise von Oberdeutschland, – Franken, Schwaben, Baiern – beschränken, während ich gleichzeitig die Herausgabe der2 Chroniken von einigen der bedeutendsten Städte, wie Nürnberg, Augsburg usw.3 vorbereiten, womit im Laufe des nächsten Jahres begonnen werden könnte.

Seit Anfang dieses Monats habe ich nun den Ihnen wohlbekannten Dr. von Kern als Mitarbeiter angenommen. Sybel hat ihn mir empfohlen; in dem er sich auch auf Ihre Kenntniß und Häussers von seiner Tüchtigkeit berief, und ich habe allen Grund mit dem freilich noch wenigen, was er mir bisher geliefert, zufrieden zu sein. Ich brauche gerade einen Mitarbeiter in München das heißt Baiern, und so war es mir besonders erwünscht, daß sich dort ein solcher befand. Neben diesem könnte aber sehr wohl auch ein zweiter Beschäftigung finden, und ich nehme deshalb Ihre Empfehlung des Dr. Junghans vorläufig mit Dank an. Er ist mir schon aus seiner Druckschrift vortheilhaft bekannt und was Sie mir weiter über ihn mittheilen, läßt mir seine Mitwirkung bei meinem Unternehmen ganz besonders erwünscht erscheinen. Mit Recht bemerken Sie selbst, daß ihm ein bestimmtes Anerbieten, nämlich ein solches, welches beide Theile auf längere Zeit hin bände, nicht schon jetzt gemacht werden könnte; aber ich halte es wohl für möglich, ihn vorläufig in diesem Sommer mit meinem Unternehmen zu beschäftigen, wenn er schon jetzt dazu bereit wäre, und das Weitere wird sich dann finden. Also bitte ich mir zuvörderst mitzutheilen, ob Junghans gegenwärtig frei von anderen Aufgaben und nicht an einen bestimmten Aufenthalt gebunden ist, so daß ich ihm ohne Rücksicht darauf sein Arbeitssold zutheilen könnte. Ferner wünsche ich noch über zwei andere Punkte von Ihnen Auskunft zu erhalten. Ich möchte wissen, was für ein Landsmann Junghans ist und wo er seine Bildungsschule durchgemacht hat? Dann möchte ich erfahren, unter welchen Bedingungen er zu gewinnen sein würde? Ich meine nicht sowohl, daß er deshalb schon selbst zu befragen wäre, als daß ich im Allgemeinen für die Honorirung meiner Mitarbeiter einige Anhaltspunkte des Maßstabs gewinnen möchte. Ich werde dann erst recht übersehen können, wie weit meine Mittel reichen. Ich bitte Sie also mir zu sagen, was Junghans bisher für seine Arbeiten unter Lappenbergs Leitung erhalten hat?, vermuthlich doch ein Fixum mit Zeitdauer? Ferner, wie hoch beläuft sich die Remuneration der jüngeren Mitarbeiter bei den Monumenten? und besonders noch, wie wird es bei den Reisen derselben gehalten? werden da Diäten ausgesetzt? oder wie sonst die Kosten gedeckt? – Auch mit Dr. von Kern habe ich darüber bis jetzt noch nichts Bestimmtes ausgemacht, was in diesem Fall deshalb nicht nöthig war, weil derselbe ohnehin den Sommer über in München zubringen wollte. –

Ihre Grüße kann ich nur theilweise bestellen. Aegidi ist und – bleibt, wie er uns eben erst ganz unerwartet angezeigt hat, in Berlin anderweitig beschäftigt. Es wir ihm wahrlich schwer werden, sich wegen dieses plötzlichen Desertirens, unserer Universität und Regierung gegenüber, zu rechtfertigen, Rößler ist erst vor Kurzem aus München zurückgekehrt, wo er im Glück der Liebe geschwelgt hat – Sie wissen doch, daß er sich mit einer ! Fräulein Heres verlobt hat und bald heiraten will. Er hat große Dinge für unsere Historische Commission im Sinn, zu denen ich jedoch bis jetzt noch kein großes Vertrauen fassen konnte. Sagen Sie mir doch, ob wirklich von Droysens Berufung nach Berlin die Rede ist? man liest so eben in den Zeitung, daß Friedrich von Raumer selbst den Antrag auf Errichtung eines neuen Lehrstuhls der Geschichte an der philosophischen Facultät gebracht hat, ohne Zweifel um das Provociren zu spielen. Nach meiner unumstößlichen Meinung sollten kein Anderer als Sie dorthin.

Leben Sie wohl.
Freundschaftlichst
der Ihrige
Hegel.